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Titel
Logik der Willkür. Die Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle in der SBZ/DDR 1948-1958


Autor(en)
Horstmann, Thomas
Reihe
Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 3
Erschienen
Köln 2002: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
504 S.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
André Steiner, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Eines der Grundprobleme staatssozialistischer Planwirtschaften stellte das Informationsproblem dar. Den zentralen Wirtschaftsinstanzen fehlten die für eine Lenkung der Gesamtwirtschaft adäquaten Informationen. Die sich im Planungsprozess ergebenden Informationen waren verfälscht. Auf die Preise wurde als unabhängige Informationsquelle und dezentrales Regulierungsinstrument bewusst verzichtet. Als alternative Informationsquelle kamen deshalb nur eigene Kontrollmechanismen in Frage. Zwar hatte die Wirtschaftsbürokratie die Tätigkeit der ihnen nachgeordneten Wirtschaftseinheiten zu kontrollieren und darüber zu berichten. Dabei trat aber eine Divergenz zwischen Kontroll- und Aneignungsrechten auf. Den Verantwortlichen kam der Nutzen aus ihrer Kontrolltätigkeit nicht zugute; sie konnten ihn sich nicht aneignen. Daher vernachlässigten sie die Kontrolle und widmeten sich den ihnen wichtiger erscheinenden Dingen, wie der operativen Lenkung ihres Verantwortungsbereichs und den im Planungsprozess erforderlichen Verhandlungen. Als Reaktion darauf waren behördeninterne und externe Instanzen geschaffen worden, die sich ausschließlich Kontrollaufgaben zu widmen hatten und damit faktisch anhand der Aufdeckung von Missständen bewertet wurden. Zum einen setzte ihnen jedoch die zur Verfügung stehende Kapazität Grenzen, so dass ihnen die Vielzahl der Produktionsfunktionen unzugänglich bleiben musste. Zum anderen erwuchsen solche Kontroll- und Informationskanäle nicht endogen aus den wirtschaftlichen Aktivitäten selbst und boten damit wiederum vielfältige Ansatzpunkte für verfälschende Interessen.

Eine solche Kontrollinstanz stellte die von 1948 bis 1963 bestehende Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle (ZKSK) dar. In der Phase der Etablierung des stalinistischen Herrschaftssystems und dabei der Planwirtschaft in der SBZ/DDR spielte sie eine berühmt-berüchtigte Rolle als ein Instrument, mit dem unter dem Deckmantel des Wirtschaftsrechts von der SED Enteignungen durchgesetzt wurden. Nach der Formierung des staatssozialistischen Systems bis 1952/53 wandelte sie sich mehr und mehr zu einer die Wirtschaft kontrollierenden Institution. Ihrer Geschichte von 1948 bis 1958 wendet sich nun Thomas Horstmann in seiner am Graduiertenkolleg für Rechtsgeschichte an der Universität Frankfurt am Main entstandenen und an der Universität Bamberg angenommenen Dissertation zu. Weshalb er die Jahre 1958 bis 1963 nicht mit in die Untersuchung einbezogen hat, erscheint allerdings nicht ganz einsichtig, vergibt er doch so die Chance, eine Gesamtgeschichte vorzulegen, und lässt zudem die Frage offen, weshalb die ZKSK 1963 zugunsten der neu gegründeten Arbeiter-und-Bauern-Inspektion aufgelöst wurde.

Im ersten Kapitel geht er zunächst auf die Entstehung der ZKSK in der SBZ im Jahr 1948 ein und arbeitet die Traditionslinien zur Volkskontrolle heraus, die auf eine Idee von Lenin zurückging. Danach wurde die ZKSK in einer Phase wachsender "Agentenhysterie" als Instrument der SED-Spitze gegründet, um Enteignungen über das Strafrecht durchzusetzen. Das blieb auch bis 1953 ihre vornehmliche Aufgabe. Das sowjetische Vorbild hatte dabei insbesondere eine legitimatorische Funktion. Die Initiative zur Gründung dieser Institution ging aber vor allem auf Ulbricht zurück. Mit dem Erlass eines auf sowjetischen Vorgaben beruhenden Statuts für die ZKSK im Jahr 1953 wandelten sich die Institution und ihre Aufgaben. Ihre Kompetenzen als Untersuchungsorgan wurden eingeschränkt. Von einer extra-legalen sollte sie zu einer formaleren Arbeitsweise übergehen. Sie wurde jetzt mehr und mehr zu einer - in dem Zeitraum ihrer Existenz wohl der entscheidenden - Kontrollinstanz für die Wirtschaft in dem oben dargestellten Sinne.

Diese Entwicklung wurde nach den Erkenntnissen Horstmanns von dem "Neuen Kurs" zwar gefördert, war aber nicht durch ihn ausgelöst worden. Das zweite Kapitel beleuchtet die Organisationsstruktur, die personelle Zusammensetzung und die "Kaderpolitik" der ZKSK. Dabei zeigt sich, dass sie in der ersten Phase ihres Bestehens von kommunistischen Altfunktionären dominiert wurde, die nur niedrige formale Bildungsabschlüsse hatten und keine Fachleute waren. Mit dem Erlass des Statuts kam es 1952/53 auch zu einem grundlegenden Personalwechsel. Drei Viertel der alten Mitarbeiter schieden aus, und fachlich besser ausgebildetes Personal wurde eingestellt. Im gesamten Zeitraum waren alle politischen Mitarbeiter und nahezu alle technischen Kräfte Mitglieder der SED. Die mit dem Statut von 1953 steigenden Anforderungen an potentielle Mitarbeiter - politische Zuverlässigkeit bei vorhandenem Fachwissen und praktischen Erfahrungen - konnte immer weniger eingelöst werden, was auch durch die Konkurrenz verschiedener Institutionen um diese gefragten "Kader" verstärkt wurde.

Das dritte Kapitel widmet sich den Möglichkeiten und Grenzen des Einflusses der ZKSK im Zusammenhang mit den öffentlich inszenierten Verfahren gegen Textilunternehmer in Glauchau-Meerane 1948 und den "Konzernprozessen" in Dessau und Bernburg 1950. Dabei wird die Zusammenarbeit der ZKSK mit Partei, Justiz, Polizei und Staatssicherheit offen gelegt. Zudem arbeitet Horstmann heraus, dass die Arbeit der ZKSK an keinerlei rechtsstaatliche Prinzipien gebunden war und ihre Mitarbeiter auch vor offenen Rechtsbrüchen nicht zurückscheuten.

Über diese spektakulären Aktionen hinaus analysiert das vierte Kapitel die alltägliche Arbeitsweise der ZKSK. Hier gerät nun deren Hauptarbeitsfeld, die Wirtschaftskontrolle, in den Blick. Die von den Kontrolleuren entdeckten "Verfehlungen" von Betriebsleitern führt Horstmann zutreffend an erster Stelle auf die in ihrer Tätigkeit im staatsozialistischen Wirtschaftssystem angelegten Zielkonflikte zurück. Zur Interpretation greift er Ansätze aus der Neuen Politischen Ökonomie bzw. der Neuen Institutionenökonomik (NIÖ) auf, wobei er aber den neueren Forschungsstand sowohl zur Anwendung dieser Theorien auf die staatssozialistische Wirtschaft als auch zur betrieblichen Realität in der frühen DDR nur unzureichend rezipiert. Für letztere verweist er auf einen Aufsatz zu den Sowjetischen Aktiengesellschaften, deren Wirklichkeit sich von der der "volkseigenen" Betriebe erheblich unterschied, die Horstmann hier aber eigentlich im Blick hat.

Ebenso sind seine Einwände gegen die Anwendung bestimmter Theoreme aus der NIÖ auf die real existierende Planwirtschaft in den Arbeiten von Janós Kornai oder Helmut Leipold längst berücksichtigt worden, die hier aber nicht herangezogen werden. Ebenso geht seine Argumentation, dass die Modellannahme, wonach der Staat infolge zu hoher Kontrollkosten die Unternehmen nicht überwachen könne, nicht zutreffe, in die Irre. Er begründet das mit den zahlreichen in den Quellen dokumentierten staatlichen Eingriffen und der Existenz verschiedener Kontrollinstanzen und deren schierer Größe (S. 313f.). Jedoch übersieht er dabei, dass es bei der Modellannahme um die unendlich hohen Kosten vollständiger (!) Kontrolle geht. Insofern belegt sein Argument eher die mit wachsender Kontrolldichte exponentiell zunehmenden Kontrollkosten.

Zudem arbeitet Horstmann das oben bereits angeführte strukturelle Grundproblem der mangelnden endogenen Informationsgrundlagen in diesem Wirtschaftssystem nur ungenügend heraus. Er übernimmt aus dem Regulationsansatz von Jacques Sapir vor allem die Ambivalenz von expliziten und latenten Praktiken im System zur Beschreibung des Agierens der ZKSK und der anderen Akteure mit ihr. Auf die Grenzen seines Gedankenmodells, in dem sehr verschiedene theoretische Ansätze nebeneinander herangezogen werden, weist Horstmann teils selbst hin. Dem Rezensenten erschien es inkonsistent und zu zerfasert, was eine gewisse Ratlosigkeit erzeugte. Vielversprechender erschiene ihm eine konsequent institutionenökonomische Analyse des Platzes der ZKSK im Wirtschaftssystem der DDR. Auch die von Horstmann besonders betonte Differenz zwischen expliziten und latenten Praktiken der ZKSK könnte in dieser Perspektive als formale bzw. informelle Regel diskutiert werden.

Schließlich werden im fünften Kapitel die Aktivitäten der ZKSK auf der lokalen Ebene am Beispiel Sachsens dargestellt und das Gedankenmodell noch einmal auf seine Tragfähigkeit überprüft, wobei vor allem die Widersprüchlichkeit zwischen den Forderungen der Zentrale in Berlin und den lokalen Erfordernissen aufscheint. Schließlich fragt das sechste Kapitel auf Basis von Selbstzeugnissen und mündlichen Befragungen danach, inwieweit die ZKSK den Lebenslauf ihrer Mitarbeiter bestimmte.

Trotz der Einwände hat Horstmann insgesamt eine interessante, auf einer breiten archivalischen Quellengrundlage beruhende Schrift vorgelegt, wobei vor allem sein theoretischer Anspruch hervorzuheben ist. Sie regt zu weiteren Diskussionen und Forschungen an, die dann auch auf andere Kontrollinstitutionen im Wirtschaftssystem der DDR gerichtet sein sollten. Insbesondere denjenigen, die sich für die Funktionsweise des staatssozialistischen Wirtschaftssystems interessieren, sei dieser Band empfohlen.

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