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Titel
Der vergällte Alltag. Zur Streitkultur im 18. Jahrhundert


Autor(en)
Haack, Julia
Reihe
Menschen und Kulturen. Beihefte zum Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 6
Erschienen
Köln 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
317 S.
Preis
€ 38,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Angela Strauß, Universität Potsdam

Die Freiburger Dissertation von Julia Haack behandelt Zank, Zwist und Zwietracht in der Frühen Neuzeit. Wie der Untertitel ankündigt, beschränkt sich das Thema auf die Streitkultur des 18. Jahrhunderts. Der Autorin geht es um die „Störungen zwischenmenschlicher Beziehungen, die eine solche Schärfe erreichten, dass sie gerichtsanhängig wurden“ (S. 9). Dazu wertete sie Prozessakten der Gerichte Stralsund und Freiburg sowie Spruchakten der Juristischen Fakultäten der Universitäten Rostock und Tübingen aus. Die herangezogenen 750 Fälle wählte Julia Haack „problemorientiert“ (S. 31) aus. Das heißt, sie wählte nur jene Fälle aus, die sich nach ihrer Auffassung umfassend analysieren ließen. Für die Analyse ordnete sie die Gerichtsakten nach vier Sachverhalten, nämlich Beleidigungen, Nachbarschaftskonflikte, Trauungs- und Scheidungsangelegenheiten sowie schließlich Erbrecht. Systematisch legt Haack in einem jeweils einführenden Kapitel den Konfliktbereich dar. In diesem erläutert sie die allgemeine Bedeutung des Streitgegenstandes, beschreibt den typischen Verlauf und führt statistische Ergebnisse an. Zur Illustration ihrer Argumentation zieht sie wiederholt Einzelfälle heran.

In den Zusammenfassungen der Kapitel des ersten Teils dieser Dissertation werden folgende Gedanken geäußert: (1) Die in allen Lebensbereichen auftretenden Beleidigungen übertrugen Sachkonflikte in einen Ehrenhandel. In diesen Fällen wurde eine grundsätzliche Regelung angestrebt. (2) Die Streitigkeiten zwischen Nachbarn waren hingegen eher auf Konsens und Kompromiss ausgerichtet. Sie wurden durch Veränderungen im Alltag verursacht, die von den Menschen eine sofortige Reaktion verlangten. (3) Bei Paaren zog sich der Streit oft hin, bevor sie wegen einer Ehescheidung letztlich vor Gericht zogen. (4) Erbschaftsstreitigkeiten dauerten lange, weil sie mehrere Instanzen durchliefen und hinter ihnen komplizierte Familienverhältnisse standen. Nicht erst bei diesem letzten Konfliktbereich wird deutlich, dass Auseinandersetzungen oft in andere Bereiche hineinreichten.

Im letzten Kapitel vergleicht die Autorin die Streitfälle der vier Sachbereiche übergreifend und schließt ihre Arbeit mit der Formulierung von Ergebnissen ab. Zentral ist die Überlegung, dass die frühneuzeitliche Gesellschaft „konfliktfähig“ (S. 278) war und dass keine regionaltypischen Unterschiede auftraten. Zu den Ergebnissen gehört es auch, dass sich viele Handlungsmuster zeigten. Die Autorin betont, dass es Anstrengungen gab, Streit zu schlichten und außergerichtlich zu vermitteln. Zu den Lösungen, die dem letzten Schritt, also der Gerichtshandlung, vorausgingen, gehörten eigenmächtige Handlungen wie etwa das Verlassen des Ehepartners. Gleichwohl hielten soziale Strukturen und mentale Dispositionen Männer und Frauen nur selten davon ab, einen Gerichtsprozess anzustrengen – woran sich auch jene „Konfliktfähigkeit“ der Gesellschaft zeigen mag. Zu den Aussagen in der Schlussbetrachtung zählt auch die Erklärung, dass „körperliche Gewalt [...] gewöhnlicher als heute [war] und [...] schneller angewandt [wurde]“ (S. 279). Die Ergebnisse decken sich mit dem im gleichen Verlag erschienenen Sammelband „Streitkulturen“.1 Nicht nur deshalb steht die Bedeutung dieses Forschungsfeldes außer Frage.

Hinterfragen lassen sich Aufbau und Zugang der Arbeit. Dem Leser werden zahlreiche Fälle vorgelegt, die ihn jedoch wegen ihrer Ähnlichkeit zu ermüden drohen. Des Weiteren erscheinen die dazwischen artikulierten Schlussfolgerungen holzschnittartig. Losgelöst stehen die Kommentare zwischen den Darlegungen der Fälle, etwa beim Streit über den Zank: „Die Analyse der Akten legt die Vermutung nahe, dass die Länge der Prozesse mehr auf die Haltung und Vorgehensweise der in die Auseinandersetzungen involvierten Parteien, denn die säumige Arbeit der Gerichte bzw. der Spruchkollegien zurückzuführen ist“ (S. 225). Kausalitäten oder Begründungen werden selten angeboten.

Der Aufbau der Arbeit ergibt sich möglicherweise aus dem herausfordernden Zugang. Als Ausgangspunkt steht der Titel „Der vergällte Alltag“, der wiederkehrende Formen von Streit ankündigt. Kritisch anzumerken ist, dass die Suche nach Mustern anhand der Quellengattung der Gerichtsakten den Blick auf die Akteure und auf Konflikte ohne rechtlichen Bezug verstellt. Erstens erscheinen Auseinandersetzungen, die nicht vor dem Gericht ausgetragen wurden, nicht als Streit. Zum Zweiten fließt die Wahrnehmung der Beteiligten überhaupt nicht ein oder allenfalls gefiltert durch das Gutachten- und Urteilssystem. Wenn die Darstellung von Streit in den Gerichtsakten primär auf die Durchsetzung der Interessen der beteiligten Streitparteien ausgerichtet war, stellen Streitbeschreibungen der Autorin zufolge nur strategische Argumente dar. Diese Einwände schmälern aber nicht das Verdienst der Autorin, zahlreiche Gerichtsfälle zusammengetragen und zusammengefasst zu haben. Die Suche nach den Streitformen muss indes weitergehen. Die Arbeit darf als Anregung verstanden werden, um sich beispielsweise mit der Bedeutung von Gefühlen auseinanderzusetzen und die ideengeschichtlichen Vorstellungen von Streit zu verifizieren.

Abschließend sei angemerkt, dass die Abbildung auf dem Umschlag keinen erkenntlichen Bezug zum Thema Streitkultur bietet. William Hogarths Stich „Tom Rakewell im Gefängnis“ (1735), das vorletzte Bild aus der achtteiligen Serie „Der Werdegang eines Wüstlings“, veranschaulicht nämlich weder eines der vier untersuchten Streitfelder noch ein in der vorliegenden Arbeit erläutertes Verhalten.

Anmerkung:
1 Magnus Eriksson / Barbara Krug-Richter (Hrsg.), Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16. - 19. Jahrhundert), Köln 2003; Rezension in Sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8 - <http://www.sehepunkte.de/2004/07/4602.html>.

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