M. Wedel: Kolportage, Kitsch und Können

Cover
Titel
Kolportage, Kitsch und Können. Das Kino des Richard Eichberg


Autor(en)
Wedel, Michael
Erschienen
Anzahl Seiten
146 S.
Preis
€ 13,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Horst Claus, University of the West of England, Bristol

Richard Eichberg (1888-1952) war mit 101 Titeln einer der erfolgreichsten Regisseure und Produzenten der deutschsprachigen Filmgeschichte. Von Mitte der 1910er-Jahre an gehörten seine Arbeiten zwei Jahrzehnte lang zum Populärsten, was die Kinos im In- und Ausland ihrem Publikum an Ablenkung, Amüsement und spannender Unterhaltung zu bieten hatten. Obgleich über die Grenzen Deutschlands hinaus von Einfluss und Bedeutung, sucht man seinen Namen in einschlägigen internationalen Filmnachschlagewerken wie „Halliwell’s Who’s Who in the Movies“, Ephraim Katz’ „Film Encyclopedia“ oder David Thomsons „New Biographical Dictionary of Film“ vergebens.1

Auch in der deutschsprachigen Filmgeschichtsschreibung erscheint Eichberg nur am Rande. Der Grund ist dem Titel dieser empfehlenswerten Monographie zu entnehmen, die in der Reihe der „Filmblatt-Schriften“ des „Berlin-Brandenburgischen Centrums für Filmforschung – CineGraph Babelsberg“ erschienenen ist: „Kolportage“ und „Kitsch“ gehören trotz stetig wachsenden akademischen Interesses an der Populärkultur immer noch zu jenen Themenbereichen, denen der Geruch des Minderwertigen, bestenfalls Zweitrangigen anhängt, da sie als das Gegenteil von „Kunst“ gelten. Ähnlich steht auch das etablierte und erfolgreiche „Können“ immer wieder im Schatten des Neuen und des nicht selten amateurhaften Experiments, dessen „Originalität“ zunächst umjubelt, häufig jedoch schnell vergessen wird. Umso erfreulicher ist es, dass sich der Filmwissenschaftler Michael Wedel mit der vorliegenden Studie erstmals der Mühe unterzogen hat, Leben, Karriere und Werk dieses Könners der populären Unterhaltungskunst nachzuzeichnen und zu dokumentieren.

Wie viele seiner Berufskollegen begann der in Berlin geborene und einer deutsch-schwedischen Gastwirtsfamilie entstammende Richard Eichberg seine Karriere als Schauspieler in der Provinz. Seine ersten Erfahrungen beim Film sammelte er als ungenannter Darsteller in Tonbildern von Oscar Messter und Alfred Duske. 1914 gehörte er zu den Mitbegründern eines Filmunternehmens und legte mit dessen erster Produktion sein Debüt als Filmregisseur ab. Ab 1916 trat er mit seiner eigenen Eichberg-Film GmbH auch als Produzent auf und machte sich vor allem als Spezialist für Melodramen und Kriminalfilme einen Namen, ehe er Mitte der 1920er-Jahre auf leichte Gesellschaftskomödien, Sensations-, Ausstattungs- und Operettenfilme umschwenkte. Wirkungsvoll vermischte er diese Genres und zielte dabei darauf ab, ganz unterschiedliche Effekte beim Publikum zu erreichen.

Als Produzent und Regisseur gilt Eichberg als Entdecker einer bemerkenswerten Reihe weiblicher Stars, die jeweils eine Zeit lang im Mittelpunkt seiner Filme standen. Dazu gehören Ellen Richter, Lee Parry, Lucy Doraine, Xenia Desni, La Jana und vor allem Lilian Harvey. Ab 1922 produzierte er seine Filme in Zusammenarbeit mit dem Münchener Emelka-Konzern, ab 1926 mit der Ufa und – nachdem diese ihm Lilian Harvey abgeworben hatte – ab 1929 mit der Londoner British International, für die er seine ersten Ton- sowie Sprachversionenfilme herstellte. 1933 zog er sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten auf seinen Zweitwohnsitz in der Schweiz zurück und arbeitete häufiger im Ausland. Nach Fertigstellung des zweiteiligen Indienfilms „Der Tiger von Eschnapur“ (1937) und „Das indische Grabmal“ (1937) siedelte er 1938 in die USA über, erwarb nach der schweizer auch die amerikanische Staatsbürgerschaft und beteiligte sich hauptsächlich an Operetten- und Musicalproduktionen in New York. Sein Versuch, nach Kriegsende an die früheren Filmerfolge anzuschließen, misslang.

Michael Wedel charakterisiert Eichberg als einen „Regisseur der bewegten Massen und exzessiven Emotionen – auf und vor der Leinwand“ (S. 13). In dieser Eigenschaft bekannte sich Eichberg rückhaltlos zum Geschäftsfilm und stellte seinen Kontakt zum Publikum durch die lockere Umsetzung von Konventionen her. Auf der Suche nach dem Grund für die Popularität des Regisseurs rücken für Wedel mit dem Operettenfilm und dem Melodrama zwei von Eichberg hervorragend beherrschte „Genres ins Blickfeld, in denen Musik und Körpergefühl – affektive Wirkung, nicht symbolische Bedeutung – die entscheidenden Rollen spielen.“ (S. 22-23) Von zeitgenössischen Rezensenten immer wieder hervorgehoben wurden Eichbergs ausgeklügelte, temporeiche Spannungsdramaturgie, Erotik und Exotik und die aufwendige Ausstattung seiner Filme. Als zentrale Merkmale erscheinen seine „spektakulären Actioneinlagen, pathetisch gesetzten Lichteffekte und klimaktisch inszenierten Massenszenen. Die Stimulation der Sinne auf allen Ebenen wird hier höher veranschlagt, als Stoff und Erzählkohärenz.“ (S. 24) Derart auf Effekt und Wirkung ausgerichtete Unterhaltung führte dazu, dass Eichberg von der Kritik nach einer von ihm selbst bei Dreharbeiten verwendeten Redewendung häufig als „Pi-Pa-Po-Regisseur“ abgetan wurde.

Eingebettet in den chronologisch-biographischen Rahmen der Studie sind die Produktionshintergründe von Eichbergs Filmen sowie deren kritische Aufnahme durch die zeitgenössische Presse. Angesichts des umfangreichen Oeuvres des Regisseurs verzichtet Wedel auf Detailanalysen und beschränkt sich bei Hinweisen auf einzelne Filme auf knappe Inhaltsangaben und genrespezifische Merkmale. Im Rahmen einer Monographie, die Neuland betritt, ist das eine sicherlich vertretbare Vorgehensweise, die in diesem Fall allerdings auch grundsätzliche Überlegungen über Kernfragen zur deutschen Filmkultur zwischen den Weltkriegen auslöst. Bei einem Regisseur, der spielerisch mit Konventionen umgeht und auf diese Weise dem Publikum, das mit diesen Konventionen vertraut ist, zuzwinkert, drängt sich hier fast zwangsläufig der Gedanke auf, was denn in jener Zeit als konventionell verstanden wurde. Das hieße, Machart, Themen und Motive der Filme im Kontext der Forschung zum populären Kino der 1920er-Jahre noch genauer zu untersuchen und zu fragen, wodurch sich diese liberalen, weltoffenen Konventionen von denen nachfolgender Perioden unterscheiden.

Bei Eichberg bedient die Komödie offensichtlich nicht nur herkömmliche Zuschauerwartungen, sondern besitzt durchaus gesellschaftskritisches Potential. So spielt er beispielsweise mit Geschlechterrollen, indem er clevere, tatkräftige junge Frauen, die Jazz-Babes, ins Zentrum rückt und sie Konflikte austragen lässt mit Vertretern einer älteren, stocksteifen Generation und deren Beharren auf gesellschaftlichen Konventionen. Anderswo liefert er sympathische Beschreibungen der Konsumkultur, des Amerikanismus und des Hedonismus als Gegenbild zur preußischen Moral. Im „Fürst von Pappenheim“ (1927) feiert er mit dem Cross-Dressing, das Geschlechterrollen zumindest zeitweilig umkehrt, ein Männerbild fernab der in anderen deutschen Filmen vor 1945 immer wieder als Vorbild hingestellten soldatischen Stahlnatur. Aus diesem Blickwinkel betrachtet erzählen Eichbergs Filme eine andere Kulturgeschichte der Moderne als die Werke des so genannten Goldenen Zeitalters des deutschen Films von Regisseuren wie Friedrich Wilhelm Murnau und Fritz Lang, die als deutsches Kulturerbe gefeiert werden. Die Erforschung des insbesondere vom Provinzpublikum stark frequentierten Unterhaltungsfilms deutscher Provenienz fristet dagegen im Schatten der Klassiker weiterhin ein kümmerliches Dasein.2

Wedels kompakte, eingängige Einführung in die Arbeiten eines Könners und Spezialisten regt an, die von Filmhistorikern gern vergessenen leichten Genres in den Blick zu nehmen. Der Band enthält zusätzlich Presseverlautbarungen, in denen Eichberg sich 1918 kritisch zu den antideutschen Propagandafilmen der Alliierten im Ersten Weltkrieg äußert, die Reaktionen der Kritik auf seinen Monumentalfilm „Monna Vanna“ (1922) kommentiert und sich für die Ausbildung des Filmnachwuchses stark macht. Einen breiten Raum nimmt die vorbildliche, solide recherchierte Filmographie ein, die neben den üblichen Stabs-, Produktions-, Zensur- und Uraufführungsangaben Auszüge aus zeitgenössischen Rezensionen sowie Hinweise auf überlieferte Werbematerialien, Plakate und Drehbücher enthält. Als besonders nützlich für zukünftige Forschungsarbeiten erweist sich die Nennung jener Filmarchive, in denen Eichberg-Filme überliefert sind.

Wie bereits Wedels Mitte der 1990er-Jahre erschienene, nach gleichem Muster aufgebaute Max Mack-Monographie3 hat diese Publikation Modellcharakter und sei als Vorlage für weitere Arbeiten über zu Unrecht vergessene Persönlichkeiten der deutschsprachigen Filmgeschichte wärmstens empfohlen.

Anmerkungen:
1 Halliwell’s Who’s Who in the Movies, John Walker (Hrsg.), 13. Aufl. London 1999; Katz, Ephraim, The Film Encyclopedia, 2. Aufl. New York 1994; Thomson, David, The New Biographical Dictionary of Film, 4. Aufl. New York 2002.
2 Eine positive Ausnahme bildet etwa der Band von Jürgen Kasten und Armin Loacker (Hrsg.), Richard Oswald. Kino zwischen Spektakel, Aufklärung und Unterhaltung, Wien 2005.
3 Wedel, Michael, Max Mack. Showman im Glashaus, Berlin 1996.

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