R. Stöber: Kommunikations- und Medienwissenschaft

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Titel
Kommunikations- und Medienwissenschaft. Eine Einführung


Autor(en)
Stöber, Rudolf
Erschienen
München 2008: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
271 S.
Preis
€ 14,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kathrin Fahlenbrach, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Die noch immer junge Geschichte der Medien- und Kommunikationswissenschaften zeichnet sich durch einen von Beginn an ausgeprägten Diskurs der Selbstreflexion aus. Dies liegt vor allem daran, dass das Fach sowohl sozial- als auch geisteswissenschaftliche Wurzeln hat: Während etwa die Medienwirkungs- und Rezeptionsforschung in der Tradition der empirischen Sozialforschung steht, setzen medienkulturwissenschaftliche Theorien und Methoden eher geisteswissenschaftliche Traditionen fort. Die daraus resultierende Vielzahl an Ansätzen, Theorien, Modellen und Methoden ruft bei Laien und Experten das Bedürfnis nach aktualisierenden Übersichten, systematischen Sortierungen und kanonisierenden Selektionen hervor. Daher erscheinen regelmäßig Einführungen in die Kommunikationswissenschaft, in die Medienwissenschaft und nun auch in die Kommunikations- und Medienwissenschaft.

Einen neuartigen Versuch einer solchen Positionierung unternimmt Rudolf Stöber (2008). In seiner Einführung in die „Kommunikations- und Medienwissenschaften“ verfolgt er das anspruchsvolle Ziel, das Fach in die Zukunft hinein als bereits vereinheitlichtes zu denken: als ein Fach, in dem es nicht nur gemeinsame Gegenstände gibt, sondern auch einen terminologischen „Minimalkonsens“ (S. 11) und in dem die Forschungsbereiche der unterschiedlichen Fachrichtungen systematisch ineinander greifen. Angesichts aktueller wissenschaftspolitischer Debatten um die Restrukturierung der medien- und kommunikationswissenschaftlichen Forschungslandschaft und damit verbundener Studiengänge in Deutschland soll dieser Ansatz möglicherweise auch als Vermittlungsvorschlag fungieren. Hat doch die Empfehlung des Wissenschaftsrates von 2007 1, die geistes- und kulturwissenschaftliche Medienforschung wieder in die klassischen Philologien zurückzuführen und das Fach Medienwissenschaft damit weitgehend unter die Kommunikationswissenschaften zu subsumieren, für viel Zündstoff gesorgt und alte Konflikte im Ressourcenkampf neu aufleben lassen. Auch die aktuelle Debatte um die Umbenennung der bisher vorwiegend kommunikationswissenschaftlich ausgerichteten Fachvereinigung Deutsche Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaften (DGPuK), die ihre medienwissenschaftliche Orientierung stärker nach außen tragen möchte, steht im Zeichen wissenschaftspolitisch relevanter Distinktionen zwischen Medien- und Kommunikationswissenschaften. Im jüngsten Positionspapier der DGPuK 2, deren Vize-Vorsitzender Stöber ist, präsentiert diese sich diplomatisch als Repräsentantin einer „Kommunikations- und Medienwissenschaft“, deren Gesamtausrichtung zwar immer noch stark sozialwissenschaftlich geprägt sei, aber auch geprägt von einer breiten Auseinandersetzung mit massenmedialen Phänomenen. Es kann vermutet werden, dass Stöber mit seiner Einführung in die „Kommunikations- und Medienwissenschaften“ Grundzüge eines solchen neu justierten Selbstverständnisses aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht formulieren möchte.

Für ein solches Unternehmen hat er sich entschieden, „dekonstruierend“ vorzugehen – allerdings nicht, wie er betont, im Derrida’schen Sinne, sondern in der Tradition des kritischen Rationalismus: „Um die Grenzen der Erkenntnis herauszuarbeiten, werden die Theorien nicht schematisch nacheinander dargestellt, sondern deren Kernbegriffe und -konzepte systematisch behandelt.“ (S. 14) Dazu gliedert er seine Einführung in drei große Kapitel: (1) Konzepte und Modelle, (2) Befunde und Theorien, (3) Methoden und Quellen. Nun macht es neugierig, wie er diese durchaus klassische Aufteilung, die ähnlich in anderen Einführungen auf eine der beiden Fachrichtungen gerichtet war, integrativ entwickelt. Zumal Stöber selbst auf die noch immer existierende Disparatheit zwischen ihnen hinweist: „Es gibt genügend Schnittpunkte, um die Teildisziplinen in diesem Band gemeinsam vorzustellen – selbst wenn die Gemeinsamkeit sich bisweilen darin erschöpft, die gleichen Gegenstände (hier: Kommunikation, Medien und Öffentlichkeit) zu behandeln und dabei unterschiedlicher Ansicht zu sein.“ (S. 14) Um genau diesen noch recht schmalen Grad an Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, sichtet Stöber die gemeinsamen Gegenstände und ‚dekonstruiert’ ihre unterschiedlichen Perspektivierungen.

Im ersten Kapitel stehen verschiedene Konzepte und Modelle zu den Phänomenen ‚Kommunikation’ und ‚Medien’ im Vordergrund und damit die Kerngegenstände beider Fachrichtungen. Besondere Aufmerksamkeit widmet Stöber dabei informationstheoretischen Kommunikationsmodellen, die ihre Wurzeln in nachrichtentechnischen Forschungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben. Da sie die komplexen Wechselwirkungen sowohl in der interpersonalen als auch in der massenmedialen Kommunikation unzureichend berücksichtigen und Kommunikation als einfachen Übertragungsprozess zwischen einem Sender und Empfänger modellieren, sind sie vielfach kritisiert worden. Leider geht Stöber auf diese Kritik kaum ein. Interessanterweise ergänzt er diese linearen Kommunikationskonzepte allerdings mit dem verhaltenspsychologischen Kommunikationsmodell von Paul Watzlawick. Vor dem Hintergrund von Watzlawicks Erkenntnis, dass Menschen das Verhalten anderer immer kommunikativ deuten und zwar vor dem Hintergrund subjektiver Voraussetzungen, führt Stöber den Aspekt der gleichzeitigen Reflexivität von Wissen und Wahrnehmung auf beiden Seiten der Kommunikation ein. Eine ähnliche Reflexivität findet er auch bei dem viel gescholtenen informationstheoretischen Modell von Shannon und Weaver, nämlich im Rollentausch von Sender und Empfänger: „[…] Kommunikation hängt mit dem Einen, dem Anderen und den Rückwirkungen auf den Einen zusammen. Das lineare Modell Claude Shannons ermöglicht Ähnliches durch den Rollentausch von Sender und Empfänger: Aus dem Sender wird der Empfänger und umgekehrt“. (S. 23) Im Aufzeigen solcher Schnittstellen zwischen ganz unterschiedlichen Denkrichtungen, zeigt sich ein wesentlicher Mehrwert von Stöbers dekonstruktivem Vorgehen.

Zum Phänomen ‚Medien’ unterscheidet Stöber ontologische und soziale Konzeptionen. Als wichtigste Autoren ontologischer Medienkonzeptionen, die das „Wesen der Medien“ (S. 48) zum Gegenstand haben, führt Stöber Marshall McLuhan und Friedrich Kittler an, die beide die Materialität von Medien sowie ihre kommunikative und wahrnehmungslenkende Struktur zur Grundlage ihrer Medientypologien nehmen. Diesen beiden stellt er die besonders unter Medienhistorikern beliebte Typologie von Harry Pross zur Seite, der im Hinblick auf die Entwicklung medialer Vermittlungstechniken primäre, sekundäre und tertiäre Medien unterscheidet. Diese technik- und materialitätsorientierten Ansätze ergänzt er durch den Verweis auf Dispositiv- und Apparatus-Theorien, welche auch die diskursiven Kontexte und kulturellen Praktiken berücksichtigen, mit denen technische Massenmedien in unmittelbarer Wechselwirkung stehen.

Für die „sozialen Konzeptionen“ von Medien präsentiert Stöber dann eine eigene Systematik (zumindest fehlen hier Hinweise auf andere Autoren), die an verschiedene Prämissen der genannten ontologischen Modelle anschließt. Hierbei greift er vor allem die Medientypologie von Pross auf und unterscheidet „Proto-, Basis- und Verbreitungsmedien“ (S. 55ff.), die er medienhistorisch herleitet. Die Systematik hat damit die Ausbildung spezifischer kommunikativer Funktionen von Medien im Laufe ihrer Geschichte zum Gegenstand. Nach dem „Matroschka-Prinzip“ (S. 63) fügen sich hierbei nach Stöber die Einzelmedien zu einem multimedialen Gesamtzusammenhang, in dem sich ihre verschiedenen Funktionen und technisch-materialen Adressierungsstrukturen ergänzen. Stöber erklärt damit, warum wir uns bereits auf der Grundlage weniger Kernkompetenzen in einer fortlaufend differenzierenden Medienlandschaft zurecht finden: „Wer eine Sprache versteht, kann Radio hören; wer lesen kann, dem sind Bücher, die Presse und das Internet zugänglich; Bilderkompetenz erleichtert das Verständnis von Film und Fernsehen etc.“ (S. 64) Dieses „Inklusionsmodell“ (S. 63), in dem sich laut Stöber wesentliche Aspekte kommunikations- und medienwissenschaftlicher Medienbegriffe verbinden (S. 62), stellt ein theoretisches Kernelement auch für die weitere Einführung dar.

Im zweiten Kapitel zu „Befunden und Theorien“ führt Stöber auf der Grundlage seiner Systematik in „Entstehung, Struktur und Kontext der Medien“ (S. 89ff.) ein. Dieses ausführliche medienhistorische Kapitel beschreibt detailliert die verschiedenen Differenzierungsphasen. Um die sozialen Kontexte von Verbreitungsmedien zu erklären, bezieht Stöber dann wieder andere Autoren explizit mit ein. Die Feld-Theorie von Pierre Bourdieu, die Kritische Theorie von Adorno und Horkheimer oder Luhmanns Systemtheorie etwa werden als einschlägige Referenzen vorgestellt, wenn es darum geht, die kulturellen, ökonomischen, staatlichen und rechtlichen Kontexte von Medienkommunikation zu analysieren.

Im dritten Kapitel werden schließlich einschlägige kommunikations- und medienwissenschaftliche Methoden vorgestellt. Auch hierbei verfolgt Stöber das anspruchsvolle Ziel, erste Ansätze einer fächerübergreifenden Methodenübersicht zu formulieren. Hierzu schlägt er zunächst eine grundlegende Unterscheidung von Methoden nach ihrem Formalisierungsgrad vor (S. 173). Auf dieser sinnvollen Grundlage führt Stöber zunächst gründlich in die formalisierten Verfahren der Kommunikationswissenschaften ein. Seine Übersicht zu den weniger formalisierten Methoden einer aus seiner Sicht vor allem textwissenschaftlichen Medienforschung fällt daneben recht selektiv aus. Im Vordergrund stehen hermeneutische Verfahren der Text- und Quellenanalyse, wie sie traditionellerweise in den Literatur- und Geschichtswissenschaften entwickelt wurden und die auch auf Medienphänomene angewandt werden können. Als genuin medienwissenschaftliche Methodik wird vor allem die klassische Film- und Fernsehanalyse dargestellt, wie sie im deutschsprachigen Raum einschlägig von Knut Hickethier geprägt wurde.

Trotz der an solchen Stellen deutlich zum Vorschein kommenden kommunikationswissenschaftlichen Präferenz Stöbers ist sein Ansatz einer dekonstruktiven Erarbeitung kommunikations- und medienwissenschaftlicher Kernbereiche und eines fächerübergreifenden Common Sense – auch als Dokument zum Stand dieser Debatte – ausgesprochen aufschlussreich. Gerade im Kontext der aktuellen Selbstverständnisdebatten kann er helfen, das Verhältnis zwischen Kommunikations- und Medienwissenschaften weiter auszuloten.

Anmerkungen:
1 Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Kommunikations- und Medienwissenschaften in Deutschland. Drucksache 7901-07, Oldenburg, 25.5.2007, vgl. <http://www.wissenschaftsrat.de/texte/7901-07.pdf>, (8.5.2009).
2 Selbstverständnispapier der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK), verabschiedet auf der Mitgliederversammlung am 1. Mai 2008 in Lugano, vgl. http://www.dgpuk.de/index.cfm?id=3376>, (8.5.2009).

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