M. Nooke: Für Umweltverantwortung und Demokratisierung

Cover
Titel
Für Umweltverantwortung und Demokratisierung. Die Forster Oppositionsgruppe in der Auseinandersetzung mit Staat und Kirche


Autor(en)
Nooke, Maria
Erschienen
Anzahl Seiten
461 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Klein, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Nicht nur in Berlin, Jena oder Leipzig haben Oppositionsgruppen den Staat und die in der DDR herrschende SED herausgefordert. Auch in der „Provinz“, wo derartige Aktivitäten stets riskanter als in den größeren Städten waren und in der Regel auch eher mit Sanktionen belegt wurden, hat diese Auseinandersetzung stattgefunden. Dort schienen für die Staatsorgane in den 1980er-Jahren noch Spielräume kontrollfreier Repression offen geblieben zu sein, die sich ansonsten in diesem Jahrzehnt mehr und mehr zu schließen schienen. Maria Nooke hat mit ihrer Untersuchung des Forster Ökumenischen Friedenskreises (ÖFK), dem sie selbst angehörte, einen wichtigen Beitrag zur Regionalgeschichte der späten DDR-Opposition vorgelegt, welcher die besondere Situation oppositionellen Engagements jenseits der „DDR-Metropolen“ in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre nachvollziehbar werden lässt. Es wird unter anderem ersichtlich, wie stark die Regionalbindung der Forster Gruppe deren Antriebe für die Erhaltung ihres durch die Lausitzer Kohlevernutzung bedrohten Lebensraumes bestimmte.

Die Arbeit von Maria Nooke ist noch in anderer Hinsicht wertvoll: Sie hat über die erwähnte Anatomie eines Friedenskreises im Bereich der selten untersuchten „Provinz“ hinaus in ihrer Untersuchung Methoden der soziologischen Biographieforschung angewandt. Auf diese Weise erhält der Leser über die „Kollektivbiographie“ einer oppositionellen Formation hinaus ein sehr anschauliches Bild von verschiedenen individuellen Motivationslagen, Lebenswegen, Erfahrungswirkungen und Wahrnehmungsformen, die ins Wechselverhältnis gesetzt werden mit der Kollektivgeschichte des Forster Friedenskreises. Auch dieser Zugang ist im Feld der mikrohistorischen Studien zu oppositionellen Gruppen in der DDR heute noch eher selten. Man kann sich nur wünschen, dass der Arbeit von Maria Nooke und den ihrer Analyse vorangegangenen Untersuchungen wie die von Marianne Subklew-Jeutner oder Torsten Moritz1 noch weitere folgen mögen.

Unter den wenigen oppositionellen Vereinigungen der 1980er-Jahre auf dem Gebiet des heutigen Brandenburgs dürfte mit Maria Nookes Kollektivbiographie des Forster Kreises die wichtigste Gruppierung dieser Region charakterisiert worden sein. Und der erstaunte Leser ihrer Monographie erfährt, dass dieser Kreis, dessen Arbeit sich auf den ersten Blick kaum von der anderer Friedenskreise zu unterscheiden schien, in vielerlei Hinsicht gravierend anders verfasst war, als die Mehrheit solcher Gruppen.

Bis 1985 gab es im Raum Forst lediglich einzelne Friedensmanifestationen, getragen von einem Pfarrer, einem Vikar und einem Mitglied einer freikirchlichen Gemeinde vorwiegend im Rahmen der jährlichen Friedensdekade. Nooke bezeichnet die Praxis, einer infolge staatlichen Drucks veranlassten amtskirchlichen Teilzensur etwa von Friedensausstellungen nachzugeben und so die Provokation abzuschwächen bzw. Bereitschaft zu zeigen, den Forderungen des Staates entgegenzukommen, „[als] bis zum Ende der DDR typisch für die Forster Akteure“ (S. 96). Auch die gemeindekirchlichen Aktivitäten zur Begleitung der vom Umsiedlungsprozess betroffenen Menschen waren damals eher verhalten und verzichteten auf die Problematisierung der DDR-Braunkohle-Politik. Erst ein im Januar 1986 gegründeter „Ökumenischer Friedensarbeitskreis Forst/Lausitz“ widmete sich in selbständigen Arbeitsgruppen den Themen Friedenserziehung, Umweltverantwortung, Probleme der dritten Welt. Er orientierte sich an der bewährten Struktur seit Jahren arbeitender Berliner Gruppen. Die Tätigkeit des „nur teilweise aktionsfähigen Friedensarbeitskreises“ (S. 121) scheint aber namentlich durch das Agieren des neuen Pfarrers Ingolf Kschenka, seiner intensiven Jugendarbeit und seinen Verbindungen nach Ungarn und Polen sowie seinen Beziehungen nach Berlin, an Brisanz gewonnen zu haben.

So registrierte der gegen Kschenka eröffnete Operative Vorgang (OV) eine im Forster Pfarrhaus abgehaltene Arbeitstagung des Berliner Friedenskreises aus Friedrichsfelde vom Sommer 1987. Dieser Berliner Kreis war gerade im Begriff, auf die im Folgejahr geplante IWF- und Weltbank-Tagung in Westberlin in Zusammenarbeit mit Westberliner Kampagnegruppen auch in Ostberlin mit der Vorbereitung einer Protestwoche zu reagieren. Bei Nooke bleibt dies unerwähnt – dieses Ereignis spielte dann im Forster Kreis tatsächlich auch keine Rolle , während die „Schuldenkrise“, die IWF-Politik und die Verwicklung der Ostblockländer in den internationalen Waffenhandel DDR-weit problematisiert wurden und 1988 in der „Potsdamer Erklärung“ oppositioneller Gruppen gegen IWF und Weltbank gipfelten. Maria Nooke lenkt den Blick auf andere Unterschiede des Forster Kreises gegenüber dem oppositionellen Mehrheitsspektrum: So gab die Unruhe infolge des Reaktor-GAUs im ukrainischen Tschernobyl 1986 dem Physiker Günter Nooke Gelegenheit, dies während der Friedensdekade zu thematisieren. „In seinen Argumentationen und Aussagen unterschied Nooke sich dabei von denen anderer Kritiker.2 Er plädierte für eine ideologiefreie differenzierte Diskussion der Folgewirkungen der Reaktorkatastrophe und wandte sich sowohl gegen pauschale Panikmache in der alternativen Friedens- und Umweltszene als auch gegen die Bagatellisierung durch die Verantwortlichen der DDR.“ Noch im Mai 1989 sprach er sich gegen „die undifferenzierte Forderung nach dem Verbot aller Kernkraftwerke“ aus (S. 298).

Maria Nooke beschreibt, wie die Auseinandersetzungen um die Haltung amtskirchlicher Verantwortungsträger, die Ende 1987 teilweise dem staatlichen Druck zur Verhinderung von Konzertauftritten Freya Kliers und Stefan Krawczyks nachgaben, auch in der Forster Region die Politisierung der immer entschlossener auftretenden Akteure in den Gemeinden und im Forster Friedensarbeitskreis beschleunigte. So war es folgerichtig, dass 1988 auch in der Forster Region der erste Versuch des Vertriebs eines Informationsblatts namens „Aufbruch“ erfolgte. Dies geschah in strikter christlicher Rückbindung an den konziliaren Prozess der Ökumenischen Versammlung. Getragen wurde diese sich entwickelnde Form einer Gegenöffentlichkeit nunmehr vom im Februar 1988 gebildeten „Ökumenischen Friedenskreis der Region Forst“ (ÖFK). Auf diese Weise also erfolgte in dieser Region Forst später als in den „Metropolen“ die Konstituierung einer veritablen oppositionellen Formation. Deren Themen waren Demokratisierung, Menschenrechte und die lokale Problematik des Braunkohleabbaus.

Nun schildert Maria Nooke für den Kreis Forst ausführlich das, was sich offenbar in allen Bezirken der DDR hinsichtlich des staatlichen Agierens gegenüber oppositionellen Gemeindekirchenkreisen abspielte: den (nicht selten erfolgreichen) Versuch einer Einbindung leitender amtskirchlicher Verantwortungsträger in die staatliche Abwehrstrategie zur stellvertretenden Disziplinierung von oppositionellen Akteuren im kirchlichen Raum. Parallel dazu wurden die Herausgeber des Informationsblattes in Einzelgesprächen unter Druck gesetzt und (anstelle des Strafrechts) das Ordnungs- und Druckgenehmigungsrecht in Anschlag gebracht. Bei der dabei im Mittelpunkt stehenden Herausgabe des „Aufbruch“ durch den ÖFK wählten die Akteure anders als etwa einige Berliner Gruppen den Weg der namentlichen Herausgeberschaft jenseits aller konspirativen Praktiken und unter Berufung auf die Legalität der Aktivitäten des Kreises als offizieller Teil der kirchlichen Arbeit. Dass die nötige Drucktechnik allerdings in Einzelaktion konspirativ beschafft wurde und die Umstände dieser Beschaffung den anderen an der Herstellung des Blattes beteiligten Akteuren verborgen blieb, wird an anderer Stelle (S. 248) nur beiläufig erwähnt. Der erste bewusste Schritt des ganzen Forster Kreises jenseits der Legalität bestand in der Verteilung eines Flugblatts am 17.9.1989 mit dem Aufruf der gerade gegründeten Vereinigung „Demokratie Jetzt“, welcher der ÖFK am 4.10.1989 beizutreten beschloss.

Auch die Gruppenstruktur des ÖFK war anders als die anderer Friedenskreise: Der gewollt hermetische Mitgliederkreis von 16 Personen verpflichtete sich sogar einem geschäftsordnungsgeregelten Prozedere, „um nicht unterwandert zu werden“ (S. 222). Ebenso war ihr strikter Bezug auf den christlichen Glauben und die Betonung ihrer kirchlichen Bindung in anderen gemeindekirchlichen Friedenskreisen eher ungebräuchlich, weil dort die Öffnung auch gegenüber religiös nicht gebundenen Teilnehmern zum oppositionellen Selbstverständnis gehörte und den gesellschaftspolitischen Anspruch vieler Kreise ausdrückte. Maria Nooke verweist beim ÖFK dann auch darauf, dass dessen Mitglieder sich nicht in erster Linie als politisch, sondern in ihrem Handeln als von ihrem christlichen Selbstverständnis bestimmt verstanden (etwa S. 242) – wogegen das Handeln der Gruppe aber zweifelsohne eminent politisch war. Zur Institution Kirche hieß es 1988 bei Günter Nooke, diese sei die „einzig relevante Opposition in einem totalitären Staat“ und er „stellte die religiöse Bezogenheit über die Zugehörigkeit zu einem politischen System“ (S. 304). In Abgrenzung zum Gros anderer oppositioneller Gruppen betont Maria Nooke überdies, dass der Kreis weder als anarchistisch noch als „subkulturell“ noch als den weit verbreiteten alternativen Sozialismusvorstellungen oder einem „Dritten Weg“ verhaftet anzusehen sei (S. 341f). Gegenüber der gut nachvollziehbaren praktischen Arbeit und den Aktionen des ÖFK, welche sich kaum vom Durchschnitt dessen unterschieden, was seit Jahren bereits zum Standard der alternativen Gruppierungen in der DDR gehörte, ist wenig Konkretes zur internen Diskussion einer gesellschaftspolitischen Perspektive oder Zielprogrammatik innerhalb des Kreises zu vernehmen. Mitunter ist hinsichtlich einzelner Mitglieder von „systemoppositionellen“ Bestrebungen die Rede, vieles Geschilderte deutet auf einen vorwiegend ökologisch-bewahrenden Gruppenkonsens hin; die eindeutige Zielrichtung einer „Demokratisierung“ der Gesellschaft war, wie Maria Nooke schreibt, nicht mit der Benennung des Ziels der Einführung einer parlamentarischen Demokratie verbunden (S. 342). Die anderswo und namentlich in Berlin stattgefundenen, zum Teil erbitterten Auseinandersetzungen um die zukünftige Gestalt der Gesellschaft, in deren Veränderungsprozess man einzugreifen gedachte, haben im ÖFK offenbar kaum stattgefunden. Eher waren taktische Differenzen über die Methoden bei der Verwirklichung bestimmter Projekte zu konstatieren. Am konkretesten ist noch die Charakterisierung der Autorin, dass man im ÖFK „die rechtlichen Möglichkeiten weitgehend auszuschöpfen und ‚an der Innenseite der Legalität zu beulen‘“ sich vorgenommen hatte (S. 342). Man war im vorwiegend legalistisch gestimmten Forster Kreis bis zur Produktion des erwähnten Flugblatts weit entfernt von der anderswo verwirklichten Erwägung, die Staatsmacht auch jenseits der Legalität bewusst herauszufordern. Dies hätte natürlich nur konspirativ realisiert werden können, anderenfalls wäre der Bestand der Gruppe innerhalb des kirchlichen Kontextes gefährdet gewesen. Vielmehr bemerkt Maria Nooke, „dass mit dem Begriff ‚Heimat‘ der Hintergrund des politischen Engagements dieser Gruppe charakterisiert werden kann“ (S. 342).

Interessant ist die von Maria Nooke vorgenommene „Typisierung“ im Resultat ihrer sozialbiographischen Analyse von vier Mitgliedern des ÖFK, zu denen mit Günter Nooke der später prominenteste Akteur dieses Kreises gehört. In allen Biographien spiegelt sich die Dominanz der christlichen Sozialisationsinstanz. Vorgestellt werden zunächst der „Aktionist“ und der „Sinnsucher“, welche sich nach dem Zerfall des ÖFK 1990 in einem „Eine-Welt-Laden“ engagierten. Bemerkenswerterweise differenziert Maria Nooke dann zwischen dem „Interessenvertreter“ und dem „Politiker“, wobei im ersten Fall vom nachrevolutionären Lebensweg eines Kommunalabgeordneten und Kirchenfunktionärs, im zweiten Fall von Günter Nooke die Rede ist. Dieser prägte maßgeblich den ÖFK, welcher, wie Maria Nooke schreibt, für ihn „die Funktion [hatte], den Rahmen zu bilden für sein politisches Engagement“, das ihn vom Demokratischen Aufbruch über das Bündnis 90 und das BürgerBündnis schließlich 1996 in die CDU führte. In dieser persönlichen Biographie sei das Basiskriterium, die persönliche Glaubwürdigkeit, der Karrierechance nachgeordnet.

Anmerkungen:
1 Marianne Subklew-Jeutner, Der Pankower Friedenskreis. Geschichte einer oppositionellen Gruppe innerhalb der evangelischen Kirchen in der DDR 1981-1984, Osnabrück 2004. Torsten Moritz, DDR-Opposition in Ostberlin. Die Umweltbibliothek. Unveröffentlichte Diplomarbeit am Fachbereich Politische Wissenschaften der Freien Universität Berlin 1993.
2 Maria Nooke erwähnt hier den Berliner Appell „Tschernobyl wirkt überall“, welcher sowohl mit der zivilisationsgefährdenden Atompolitik in Ost und West als auch mit der verfehlten Energiepolitik der DDR abrechnete.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch