D. Bathrick u.a. (Hrsg.): Visualizing the Holocaust

Cover
Titel
Visualizing the Holocaust. Documents, Aesthetics, Memory


Herausgeber
Bathrick, David; Prager, Brad; Richardson, Michael D.
Reihe
Screen Cultures: German Film and the Visual
Erschienen
Rochester 2008: Camden House
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
£ 40.00/$ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Elm, Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft, Goethe-Universität, Frankfurt am Main

Der Sammelband fügt sich in die Diskurse um die bildliche Darstellung und Darstellbarkeit des Massenmords an den europäischen Juden ein. Man kann ihn von seinem Anliegen her in einer inhaltlichen Kontinuität zu so ambitionierten Werken wie dem von Saul Friedländer herausgegebenen Buch „Probing the Limits of Representation“ (Cambridge 1992) sehen. Die meisten Beiträge gehen der Frage nach, wie inmitten massenmedial distribuierter Holocaust-Darstellungen angemessene Formen des Umgangs mit diesem Thema aussehen könnten. Durch die überwiegende Beteiligung US-amerikanischer Literaturwissenschaftler bietet der Band neben einem breiten Spektrum an bild-, film- und literaturwissenschaftlichen Zugängen gleichzeitig einen Einblick in die dortige Diskussion. Die Aufsätze basieren auf einer vom Institute for German Cultural Studies der Cornell University unterstützten Tagung.

Der erste Beitrag des Mitherausgebers Brad Prager geht der Frage nach, ob und wie die von Tätern gemachten Fotografien der historischen Erinnerung dienlich sein können. Entgegen dem unter anderem von Claude Lanzmann ausgesprochenen Verbot einer Nutzung von Täterbildern versucht Prager einen möglichen Zugang zu dem Bildmaterial zu entwickeln. Die Fotos sollen gegen die bei der Aufnahme vertretene Perspektive gelesen werden. Prager weist auf den erinnerungsspezifischen Zugang durch den heutigen Rezipienten hin, der seine Perspektive an das Bild heranträgt. In der literarischen Verarbeitung bei W.G. Sebald, auf die Prager näher eingeht, führt dies in einem Fall dazu, dass der detailvergrößerte Abdruck eines Bildes der vermuteten Mutter (aus dem NS-Propagandafilm zum Ghetto Theresienstadt) im Roman zur Chiffre eines Erinnerungsbildes wird – ein Bild also, von dem man nicht recht sagen kann, ob es den Wünschen des Betrachters entspringt, der seine Mutter wiederfinden will, oder ob es einen tatsächlichen historischen Verweis enthält. Das Changieren zwischen historischer Evidenz, Allegorien eines Abwesenden und projektiven Erinnerungsleistungen ist oft nicht auflösbar.

Der Beitrag Daniel H. Magilows setzt die von Prager aufgeworfene Problematik anhand der Fotografien des Warschauer Ghettos fort, die der Wehrmachtssoldat Heinrich Jöst im September 1941 an einem freien Tag gemacht hatte. Jöst entschloss sich erst Anfang der 1980er-Jahre, offenkundig aus finanziellen Gründen, die Bilder zu veröffentlichen. Dazu kontaktierte er den Journalisten Günther Schwarberg, der Jöst interviewte und die Bilder 2001 schließlich in einem Fotoessay-Band publizierte. Die Bilder fanden schnell internationale Anerkennung als dokumentarischer Zugang zu den Verbrechen der Deutschen im Warschauer Ghetto. Magilow kann nun zeigen, dass der durch die Untertitelungen der Bilder evozierte Zeugenschaftsblick vermutlich mehr ein retrospektiver Blick mit heutigem Wissen und heutigen Wertmaßstäben ist und weniger der zeitgenössische Blick Jösts.

Elke Heckner stellt mit der Besprechung der einflussreichen Arbeiten von Marianne Hirsch und Daniel Libeskind zwei Ansätze vor, die der intergenerationellen und leiblichen Dimension traumatischer Erschütterung Rechnung tragen. Das Trauma lässt keinen sicheren Beobachterstandpunkt zu, was bei Libeskind in der von schiefen Ebenen, Rissen und Leerräumen durchzogenen Architektur erfahrbar wird, während die „Postmemory“-Theorie Hirschs den generationell fortwirkenden Aspekten nachspürt. Beide Ansätze, der architektonische und der wissenschaftlich-analytische, wenden sich von einem rein kognitivistischen Umgang mit traumatischen Erfahrungen ab und betonen zugleich die Differenz heutiger Akteure zur Opfer- und Tätergeneration.

Lisa Nicoletti nimmt sich mit der visuellen und musealen Darstellung von Anne Frank einer Opferikone des Holocaust an. Ihre These für den US-amerikanischen Kontext ist, dass sich die erinnerungskulturellen Inszenierungen Anne Franks mit der Suche nach verschwundenen und entführten Kindern vermischen, was an eine der Grundängste breiter Bevölkerungsschichten rühre. Dabei fördere der pädagogische wie museale Kontext nicht nur Empathie, sondern bringe häufig identifikatorische Aufladungen mit sich, die Nicoletti anhand verschiedener Kunstprojekte thematisiert.

Drei Beiträge vertiefen die Diskussion um die visuelle (Un-)Darstellbarkeit des Holocaust durch Rekurs auf Autoren wie Lyotard, Jameson, Adorno oder Didi-Huberman und mit unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich Lanzmanns Positionierung zum Bilderverbot. Sven-Eric Rose zeigt, wie Auschwitz bei Jameson und Lyotard auf je eigene Weise zur Unterfütterung ihrer Theoriegebäude herangezogen wird. In Abgrenzung dazu verteidigt er Didi-Hubermans Plädoyer zur kontextualisierten Verwendung der von Angehörigen des Sonderkommandos in Auschwitz gemachten Aufnahmen gegenüber den Einwänden Lanzmanns. Der Beitrag von Michael D’Arcy greift unter anderen Vorzeichen auf die Debatten um Lanzmanns „Shoah“ zurück und präzisiert dessen ‚Bilderverbot’, das sich auf den herkömmlichen filmischen Realismus und die Montage von dokumentarischen Aufnahmen beziehe. D’Arcy führt in seinem filmtheoretisch versierten Beitrag aus, wie Lanzmann sich einer bestimmten Lesart der phänomenologischen Argumentation Sartres bedient, wenn er davon spricht, dass seine Bilder die Imagination der Zuschauer herausforderten und gleichzeitig – durch die fotografischen Elemente des Films – auf eine Realität jenseits der symbolischen Ordnung verwiesen. Der dritte Beitrag von Karyn Ball bezieht das Bilderverbot auf die Rezeption von „Schindlers Liste“ in Deutschland. In den teilweise scharfen Kritiken an Spielbergs Film sieht die Autorin ein vulgarisiertes Verständnis von Adorno und Lanzmann am Werk, das in einer Art negativer Theologie gründe. Darüber hinaus gebe es ein unreflektiertes Fortwirken von NS-Wochenschauen, das in den heftigen Reaktionen auf die dokumentarische Ästhetik von Spielbergs Film zum Ausdruck komme – eine These, die durch die wenigen zitierten Belege eher fragwürdig bleibt (vgl. S. 178f.).

Drei weitere Aufsätze beschäftigen sich mit selbstreflexiven Filmen, die je besondere Wege der Visualisierung und Thematisierung des Holocaust eingeschlagen haben. Eric Kligerman befasst sich mit Alain Resnais’ „Nacht und Nebel“ und der deutschen Übersetzung der Filmtexte durch Paul Celan, die wiederum Spuren in dessen poetischem Werk hinterlassen hat. Darcy C. Buerkle nimmt sich der Dokumentation „Der Spezialist“ von Eyal Sivan und Rony Braumann an und bezieht deren zurückhaltende Formensprache auf diejenige von Arendts „Eichmann in Jerusalem“. Jaimey Fisher untersucht die filmischen Arbeiten des jüdischen Ungarn Péter Forgács, die sich meist privater Aufnahmen aus den Jahren 1920–1950 bedienen und als eine Art Film-Tagebücher angelegt sind, dem Projekt Lanzmanns in gewisser Weise entgegengesetzt. Fisher diskutiert die Dokumentation „Free Fall“, die 8-Millimeter-Filme des jüdischen Geschäftsmanns und Künstlers György Pető aus den Jahren 1937–1945 kompiliert. Laut Fisher gelingt es dabei, eine Gegenperspektive zur nationalsozialistischen Biopolitik und Darstellung der Juden zu entwickeln.

Die beiden letzten Beiträge wenden sich dem Verhältnis von Humor oder Tragikomödie und der Darstellung des Holocaust zu. David A. Brenner vergleicht die Holocaust-Komödien „Zug des Lebens“ von Radu Mihaileanu und „Das Leben ist schön“ von Roberto Benigni. „Das Leben ist schön“ biete eine Erlösungsgeschichte an und bleibe in den selbstreferentiellen Bezügen unzureichend (S. 263). Dagegen gelinge es Mihaileanu, klischeehafte Darstellungen zu unterlaufen – durch die artifizielle Figur des Dorfnarren Shlomo, die Parodie des Jiddischen und weitere intermediale Elemente wie etwa die Verweise auf Norman Jewisons Filmadaption von „Fiddler on the roof“. Brenners genauere Betrachtung von „Zug des Lebens“ steht in eigentümlichem Kontrast zu einer etwas voreingenommen wirkenden Lesart von „Das Leben ist schön“. Der abschließende Beitrag des Mitherausgebers Michael D. Richardson unternimmt eine rezeptionsgeschichtliche Betrachtung der Darstellung Adolf Hitlers in amerikanischen Film- und TV-Komödien, ausgehend von Chaplins „The Great Dictator“ und Ernst Lubitsch „To Be or Not to Be“. Richardsons kenntnisreicher Ausflug durch die amerikanische Filmgeschichte veranschaulicht seine These, dass die Hitlerdarstellung im amerikanischen Erinnerungsdiskurs vorwiegend der eigenen moralischen Bestätigung in Abgrenzung von einem absolut Bösen diene, das durchaus verulkt werden könne. Diese These könnte man trotz oder gerade wegen der Filme „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ und „Der Untergang“ vermutlich auch für den deutschen Erinnerungsdiskurs formulieren.

Einige Beiträge des Sammelbandes wirken etwas theoretisch überladen. Bedenkt man jedoch die durchweg transdisziplinären Ansätze, mit denen die Autorinnen und Autoren ihre Themen auf hohem Niveau bearbeiten, wird die theoretische Problematik deutlich, der sich die Beiträge aussetzen. Dabei wird die komplexe Geschichte einer visuellen Historiografie des Holocaust entfaltet, die sich zu Recht immer weiter auffächert. Der Band liefert methodologisch zwar keine ganz neuen Einsichten, bietet aber eine Vielzahl theoretischer Zugänge und hilfreicher Beispiele.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch