G. Strotdrees u.a. (Hgg.):Wolfgang Schiffer: Bauern-Bilder

Titel
Wolfgang Schiffer: Bauern-Bilder. Fotografien aus 50 Jahren Landwirtschaft


Herausgeber
Strotdrees, Gisbert; Topüth, Heinz-Günter
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
€ 20,35
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rita Gudermann, Arbeitsbereich Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Freie Universitaet Berlin

Ein Bauer mit Nickelbrille, Schirmmütze und kariertem Hemd schaut ein wenig verkniffen über seine Schulter in die Kamera. Es sitzt auf einem hölzernen Leiterwagen, dessen Diagonale das Bild in zwei Hälften teilt. Im Hintergrund, ein wenig unscharf, ist auf den zweiten Blick ein Gespann bei der Feldarbeit zu sehen, und erst auf den dritten Blick erkennt man: Die Eggen werden von zwei Kühen gezogen.

Dieser mehrschichtige Bildaufbau, der sich dem Betrachter erst nach und nach erschließt, ist charakteristisch für die Fotos des promovierten Volkswirts und Agrarjournalisten Wolfgang Schiffer (1927-1999). Eine Auswahl der besten Schwarz-Weiß-Fotografien aus einem Lebenswerk von 780.000 Bildern präsentieren Gisbert Strotdrees und Heinz-Günter Topüth in dem Bildband "Bauern-Bilder" der Öffentlichkeit. Es handelt sich um Reportage-Fotos von überlegter Ästhetik, also Dokumentarfotos im besten Sinne des Wortes. Der Aufbau der Bilder folgt strengen ästhetischen Kriterien. Wiederholt werden graphische Elemente, insbesondere die Diagonale, zur Strukturierung eingesetzt. Sie dokumentieren den Wandel der ländlichen Welt seit 1949, nehmen sowohl die harte körperliche Arbeit als auch die neuen technischen Errungenschaften ins Visier. Schiffer fotografierte auf Wiesen und Äckern, in Ställen und Milchkammern, auf Viehauktionen, Bauernversammlungen und Pressekonferenzen. Bei allem dokumentarischen Wert aber lassen seine Fotos Menschen lebendig werden, ohne sie und das Landleben zugleich zu verklären. Die abgebildeten Menschen sind kräftige Charaktere, Männer und Frauen mit zumeist ernsten Gesichtsausdrücken, sie sehen aus, als würden sie ihr Tagwerk bewältigen. Ihre vielsagenden Blicke wirken nicht gestellt - der Fotograf hatte offenbar ein entspanntes Verhältnis zu seinen Motiven.

Trotz der durch geschicktes Spiel mit Schärfe und Unschärfe hergestellten Nähe zum fotografierten Gegenstand erscheint sie sehr fremd, diese bäuerliche Wirtschaftswelt. Etwa die 1950er Jahre, in der ein Hoferbe noch nahezu uneingeschränkte Macht über seinen Betrieb hatte. Die Hungerjahre waren gerade vorbei, aber die Erfahrung steckte noch tief in den Knochen. Doch die Landleute, überwiegend aus dem westfälischen Raum stammend, blickten optimistisch in die Zukunft, konnten sich z.B., wie aus den Bildern deutlich wird, über eine neue Melkmaschine begeistern. Und auch die Fotos aus den 60er, 70er und 80er Jahren wirken wie Einblicke in eine schon viel länger untergegangene Welt, obwohl in ihnen die Traktoren und sonstigen Landmaschinen dominieren.

Schiffer gelingt es, die Würde des Arbeitslebens auf den Film zu bannen, indem er seinem Gegenstand - oft romantisiert, oft abgewertet - mit Sympathie begegnet und ihm angemessenen Respekt zollt. Durch die häufige Verwendung einer Kameraperspektive unterhalb der Augenhöhe erscheinen die Fotografierten allerdings manches Mal ein wenig heroisch. Doch da gibt es auch diese Momente von subtiler Ironie. Schiffer hat das Gefühl für den richtigen Augenblick - in dem die prämierten Schweine geradezu tänzerisch im Gleichtakt die Beine heben und zugleich die stolzen Treiber mit ihren Stöcken einen Reigen um ihre schwergewichtigen Ballerinen bilden.

Auch politische Themen erhalten durch Schiffers Kamera eine untergründige zweite Botschaft: Da posiert der Landwirtschaftsminister Jochen Borchert, selber Bauer, mit weißem Hemd und Schlips im Kornfeld - Schiffer nimmt die ganze Szene mitsamt den Fotografen ins Visier und vermeidet es so, der von den Medien beförderten Selbststilisierung des Ministers auf den Leim zu gehen. Kurz, es sind Bilder, die auch beim zweiten und dritten Betrachten noch Interessantes zu bieten haben.

Von unaufdringlicher Sachlichkeit sind auch die Texte, die sich, sorgfältig formuliert, redigiert und gesetzt, der Präsentation des Bildmaterials unterordnen. Während Klaus Herrmann, Agrarhistoriker und Leiter des Deutschen Landwirtschaftsmuseums in Stuttgart-Hohenheim, sich mit 50 Jahren Wandel in Ackerbau, Landtechnik und Tierhaltung befasst, wirft Gisbert Strotdrees, Historiker und langjähriger Redakteur beim 'Landwirtschaftlichen Wochenblatt Westfalen-Lippe' in Münster, ein Schlaglicht auf die Präsentation der Landwirtschaft in Öffentlichkeit und Politik. Von Heinz-Günter Topüth, dem Chefredakteur der Fachzeitschrift 'top agrar', stammt ein kurzes biographisches Porträt des Fotografen und Kollegen Wolfgang Schiffer. Es handelt sich nicht um wissenschaftliche Texte, sondern um solche, die die bäuerliche Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einem breiten Publikum bekannt machen oder in Erinnerung holen wollen. Insgesamt ist das Werk so aussagekräftig wie manche wortreiche Studie - ob es schließlich auf einem 'coffee-table', einem wachstuchbedeckten Küchentisch oder einem Tisch in einem historischen Seminar landet.

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