M. A. Pluns: Die Universität Rostock 1418-1563

Cover
Titel
Die Universität Rostock 1418-1563. Eine Hochschule im Spannungsfeld zwischen Stadt, Landesherren und wendischen Hansestädten


Autor(en)
Pluns, Marko A.
Reihe
Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, N. F. 58
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
X, 581 S.
Preis
€ 64,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert Gramsch, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

„Ganz gewiß ist es kein historischer Zufall, dass die ältesten deutschen Universitäten von deutschen Landesfürsten begründet sind und nicht von den Ratsherren deutscher Städte. Die neuere Geschichtsschreibung liebt es wohl (nicht immer ohne Beimischung bürgerlich-liberaler Vorurteile) die Städte vorzugsweise als die Träger des Fortschritts im Leben des spätmittelalterlichen Deutschland zu betrachten. Und doch ist ein solches Urteil politisch wie geistesgeschichtlich nur eingeschränkt richtig. […] Der deutsche Territorialstaat, das heißt diejenige politische Macht […], der allein die Zukunft gehörte, hat somit das Universitätswesen bei uns begründet […].“ – Gerhard Ritters 1936 geäußerte Apotheose des fürstlichen Territorialstaates 1 erscheint nach der Lektüre von Marko A. Pluns´ hier zu besprechender Rostocker Dissertationsschrift aktueller, als man es nach dem seither stattgehabten zeitgeschichtlichen und wissenschaftlichen Fortschritt zunächst vermuten würde: Hier muss sich im Jahre 2005 noch immer ein Historiker mit einer herrschenden Meinung auseinandersetzen, in der der Fürstenstaat gegenüber einem kleinkariert denkenden Stadtregiment von Anfang an als historisch überlegen erscheint.

Die 1418/19 gegründete Rostocker Universität zählt zu den ältesten auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Als „reicher hansischer Bürgeruniversität“ kam Rostock im Spätmittelalter eine erstrangige Bedeutung bei der „Akademisierung“ des norddeutschen und skandinavischen Raumes zu, und in der Neuzeit brachte die Alma Mater Rostochiensis immerhin das Kunststück fertig, als „arme mecklenburgische Landeshochschule“ über alle Krisen hinweg fortzubestehen.2 Mit den Zuschreibungen „Bürgeruniversität“ und „Landeshochschule“ ist das Spannungsfeld, in dem sich die Rostocker Universitätsgeschichtsschreibung seit Jahrhunderten bewegte, bereits umschrieben. In einem prägnanten Forschungsüberblick zeigt Pluns auf, wie umstritten die Frage nach den eigentlichen Gründern und Trägern dieser Hochschule bis heute ist (S. 18-24, ferner S. 31-34).

Pluns´ Darstellung soll keine umfassende Universitätsgeschichte sein. Ziel seiner Arbeit ist es allein, „die Beziehungen der Rostocker Hochschule zu den mecklenburgischen Herzögen, zur Stadt Rostock sowie zu den übrigen Hansestädten […] ausführlich und quellennah“ darzustellen (S. 2), um die oben genannte Streitfrage einer Entscheidung zuzuführen. Während hierbei das 15. Jahrhundert eher schlaglichtartig behandelt wird, werden Niedergang und langsamer Wiederaufbau der Hochschule im Reformationszeitalter auf über 300 Textseiten extrem kleinschrittig durchmessen.

Für das 15. Jahrhundert beansprucht Pluns wenig Originalität. Klar erkennbar wird schon bei der knappen Schilderung der Gründungsvorgänge Pluns´ Sympathie für die These, dass Rostock als städtische Gründung anzusprechen ist. Freilich würde gerade angesichts dieser deutlichen Präferenz die frühe und tiefgreifende Krise im Verhältnis zwischen Stadt und Universität in den 1430er-Jahren eine eingehendere Erörterung verdienen (S. 63-71). Sehr viel ausführlicher wird die sogenannte Domfehde 1479-1494 behandelt (S. 78-131): Pluns zeigt, dass im Zuge derselben erstmals landesherrliche Oberherrschaftsansprüche auf die Universität formuliert wurden, wobei auch die historische Fiktion, die Herzöge hätten die Universität gegründet, zuerst auftaucht (S. 96-100). Die Universität sollte, genau wie das damals gegründete Kollegiatstift St. Jakob, ein Hebel stärkerer landesfürstlicher Einflussnahme auf die fast autonome Stadt sein – ein Vorhaben, das jedoch hinsichtlich der Hochschule damals noch weitgehend scheiterte.

Genau wie fast alle anderen deutschen Universitäten, durchlebte Rostock in der Reformationszeit eine tiefe Krise. Den Bemühungen um den Wiederaufbau der Hochschule zwischen 1532 und 1563 widmet Pluns zwei Drittel seines Buches. Er zeigt die Zögerlichkeit der Ratspolitik auf, die durch das leidige Geldproblem, aber auch durch das Festhalten an einem im hansischen Umfeld zunehmend unpopulär werdenden altgläubigen Bekenntnis der Hochschule belastet wurde. Die herzogliche Politik nimmt sich dagegen, bei allen Schwankungen, energischer aus. Als sich die Fürsten schließlich sogar zu einer gemessen an früheren Verhältnissen sehr großzügigen Dotation der Hochschule bereitfanden, konnten sie die Oberhoheit über die Hochschule gegenüber der Stadt durchsetzen. Jetzt, im 16. Jahrhundert, zeigte der fürstliche Territorialstaat tatsächlich seine Stärke. Möglich wurde dies auch aufgrund der veränderten Haltung der übrigen Hansestädte, die ihr Engagement als Verteidiger der Rostocker Freiheit im Laufe der Auseinandersetzungen immer mehr reduzierten.

Das Hauptergebnis von Pluns´ Studie, Rostock sei von seiner Gründung und mittelalterlichen Geschichte her eine Stadtunversität gewesen (wobei man die tragende Rolle der übrigen Hansestädte, etwa Lübecks, auf der Basis personengeschichtlicher Befunde sicher noch weiter konturieren könnte) und habe seine Weiterexistenz in der Frühen Neuzeit wesentlich dem nunmehr erwachten stärkeren fürstlichen Herrschafts- und Nutzungsinteresse sowie seinem gesteigerten (auch finanziellen) Engagement verdankt, erscheint wohlbegründet. Der „Glaubenskrieg“ um den Charakter der Rostocker Hohen Schule könnte damit eigentlich als entschieden gelten – wenn dies nicht der Fall sein sollte, dann freilich deshalb, weil Pluns´ Arbeit hinsichtlich der diesbezüglich entscheidenden Frühgeschichte der Universität doch noch manche Wünsche offen lässt.

Sehr viel schwerer hingegen wiegt ein anderer Mangel. Der Autor erliegt bei seiner Ereignisschilderung der Verführungskraft einer allzu großen Materialfülle, die er in höchst ermüdender Weise vor dem Leser ausbreitet. Über hunderte Seiten berichtet er von endlosen Verhandlungen, zitiert ausgiebig Gutachten, Stellungnahmen, Positionspapiere, ohne anscheinend auch nur eine Einzelheit auszulassen. Der Blick für das Wesentliche kommt ihm dabei völlig abhanden: Immer wenn man hofft, jetzt endlich Zeuge des entscheidenden Verhandlungsdurchbruchs geworden zu sein, zerrinnt dieses Zwischenergebnis wieder im Nichts. Da dürfte sich selbst dem akribischsten Historiker der ketzerische Gedanke aufdrängen, es zuweilen doch gar nicht so genau wissen zu wollen.

Es mag ein gewisser Erkenntnisgewinn darin liegen, jene unendlich langsamen und oft gänzlich ergebnislosen Entscheidungsfindungsprozesse der Vormoderne gewissermaßen in „Echtzeit“ zu erleben (siehe etwa S. 258-267, 300-304, 309-317, 346f. und öfter). Lesen möchte man so etwas eigentlich nicht und würde den Autor lieber darum bitten, sich auf zweierlei zu beschränken: 1.) Eine stringente Darstellung der relevanten Entscheidungen und Ereignisse und 2.) eine Analyse jener merkwürdigen Kommunikationskultur, die er da so breit und unreflektiert schildert. Eine solche Analyse wäre schon allein deswegen hochinteressant und nützlich, weil der Fall an sich durchaus paradigmatisch sein könnte. Verhandlungsführung in der Vormoderne sah wahrscheinlich sehr oft so aus. Als Beispiel sei hier nur die Entschuldigungspraxis sowie das Ignorieren von Zusagen genannt (z.B. S. 327 u. 462). Das ist nicht einfach nur Nachlässigkeit, sondern dahinter steckt System. Verzögern als politische und juristische Praxis – „ich will so viel thun, als ich kann, ich wills wol aufziehen und in die Harre spielen [...] wol zehen Jahr, oder noch wol länger“, legt Luther einem Juristen in den Mund (WATR VI, Nr. 7024) – darüber erfährt man bei Pluns so einiges. Da moderne Historiker aber nicht mehr ganz so viel Sitzfleisch haben wie frühneuzeitliche Diplomaten, wäre es besser gewesen, der Autor hätte sich in diesem Punkt nicht ganz so sklavisch an seine Quellenvorlagen gehalten.

Anmerkungen:
1 Ritter, Gerhard, Die Heidelberger Universität. Ein Stück deutscher Geschichte, Bd. 1: Das Mittelalter 1386-1508, Heidelberg 1936, S. 32 u. 35.
2 Asche, Matthias, Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der Frühen Neuzeit (1500-1800) (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 52), Stuttgart 2000.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension