H. W. de Jong u.a. (Hrsg.): Pioneers of Industrial Organization

Titel
Pioneers of Industrial Organization. How the Economics of Competition of Monopoly took shape


Herausgeber
de Jong, Henry W.; Shepherd, William G.
Erschienen
Cheltenham 2007: Edward Elgar
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
£ 95,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arndt Christiansen, Philipps-Universität Marburg

Die Dogmengeschichte verliert im „Mainstream“ der volkswirtschaftlichen Forschung und Lehre leider zunehmend an Bedeutung.1 Umso mehr ist das Erscheinen des vorliegenden Buchs zu begrüßen. Es handelt von den „pioneers, the scholars who have created the economics field known as ’industrial organization’“ (S. XIX). Es geht mit anderen Worten um die Rekonstruktion der Entwicklung des genannten Teilgebiets anhand der zentralen Personen. Daher ist erstens zu bestimmen, was genau als ’industrial organization’ gelten soll. De Jong und Shepherd wählen eine sehr breite – und dadurch etwas unbestimmte – Abgrenzung. Sie nennen lediglich Wettbewerb und Monopolmacht als zentrale Konzepte und stellen den Anwendungsbezug („public-policy side“) besonders heraus, unter den sie Wettbewerbspolitik im engeren Sinne („Antitrust“) und die Regulierung natürlicher Monopole ebenso fassen wie die Deregulierung und öffentliche Unternehmen (S. XIX). Zweitens sind die Bedingungen für die Qualifikation als „Pionier“ und damit die Aufnahme in den Band zu formulieren (S. XXII-XXIV). Die Herausgeber fordern einen innovativen Beitrag zur theoretischen oder empirischen Forschung oder zur Gestaltung von Politik(en), der im Zeitraum von 1870 bis etwa 1985 geleistet wurde. In Frage kommen zudem nur (ausgebildete) Ökonomen.

Die erste Hälfte des Buches ist inhaltlich Europa gewidmet und wurde von De Jong als Herausgeber verantwortet. Auf seinen Rückblick zu den Vorläufern der Wettbewerbsökonomik bis ins Jahr 1200 (S. 6-24) folgen sechs länderspezifische Kapitel. Die ersten beiden wurden ebenfalls von De Jong verfasst, die anderen von Wettbewerbsökonomen aus den jeweiligen Ländern. Dazwischen eingestreut finden sich einige Kurzbiografien zu ausgewählten Forschern wie den wohl unvermeidlichen Giganten Adam Smith und Alfred Marshall (S. 25f. bzw. S. 124f.). Der Beitrag zum deutschen Sprachraum liefert eine kenntnisreiche Darstellung einzelner Ökonomen, und zwar im wesentlichen Johann von Thünen, Carl Menger, Joseph A. Schumpeter, Ernst Heuß sowie Erhard Kantzenbach (S. 27-49). Es folgen eigenständige biografische Skizzen zu Heinrich von Stackelberg, Ernst Heuß, Erich Hoppmann und Erhard Kantzenbach, allesamt verfasst von Peter Oberender und Thomas Rudolf (S. 50-55). Hieran verwundern etwas die Doppelungen. Weiterhin fällt die weitgehende Nichtbeachtung anderer Forscher auf. Exemplarisch sei hier nur Walter Eucken genannt. Er wird von De Jong und daneben in zwei der Kurzbiografien am Rande erwähnt. Eucken war zwar zweifellos kein Industrieökonom im engeren Sinne, aber dies gilt zum einen mindestens ebenso für Smith, Say, von Thünen oder Menger, die alle recht ausführlich gewürdigt werden. Zum anderen enthält Euckens Werk unter anderem mit seinem Vorschlag für ein unabhängiges „Monopolamt“ durchaus Innovationen im Sinne des hier besprochenen Buchs.2 Weitere erwähnenswerte Wettbewerbsökonomen ließen sich ohne große Mühe aufzählen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Kapitel zu England von Michael A. Utton (S. 111-123). Es beinhaltet drei aneinandergereihte Biografien von Marshall (ebenfalls doppelt) sowie Philip Sargent Florence und Edward A. G. Robinson. Hier sucht man z.B. Francis Y. Edgeworth oder Arthur L. Bowley trotz ihrer Beiträge zur Oligopoltheorie vergeblich. Allerdings ist die Existenz von Lücken noch kein Grund zu übermäßiger Kritik an dem Buch. Sie sind vielmehr unvermeidlich und daher zu akzeptieren. Zu bemängeln ist jedoch, dass man viel über die ausgewählten Autoren, aber relativ wenig über die Zusammenhänge zwischen ihren Werken oder die Bezüge zu anderen Forschern erfährt. Auch der realwirtschaftliche Hintergrund findet kaum Beachtung. Dies gilt weniger für die übrigen Länder-Kapitel, und zwar zu Frankreich von Jacques De Bandt, zu Italien von Patrizio Bianchi und zu Skandinavien von Nicolai J. Foss und Peter Møllgaard. Ihnen gelingt es jeweils, die Darstellung über die Beiträge einzelner „Pioniere“ hinauszuführen, Querverbindungen aufzuzeigen sowie den weiteren ökonomischen und politischen Hintergrund zu skizzieren. Die Kapitel gewinnen damit an Aussagekraft und Verständlichkeit.

Der zweite Teil des Buches wurde von William G. Shepherd als Herausgeber betreut und bezieht sich auf Nordamerika. Sein Aufbau unterscheidet sich deutlich vom ersten Teil. Zudem scheint er sich enger an die oben beschriebenen Vorgaben zu halten. Das beginnt mit dem einleitenden Überblick von Shepherd, der alle knapp einhundert (!) identifizierten US-amerikanischen und kanadischen „Pioniere“ – einschließlich seiner selbst – aufführt (S. 147-167). Vierzig von ihnen werden anschließend in Kurzprofilen ausführlicher gewürdigt. Aus der Länge der Beiträge ergibt sich, dass Joe S. Bain als der mit Abstand wichtigste Wettbewerbsökonom angesehen wird. Es folgen George J. Stigler, Frederic M. Scherer und Gardiner C. Means sowie anschließend John B. Clark, John M. Clark, Edward H. Chamberlin, Walter Adams, Richard E. Caves, der Herausgeber William G. Shepherd und Dennis C. Mueller. Durch die Vielzahl (und Kürze) der Beiträge wirkt dieser Teil insgesamt wie ein Personenlexikon. Positiv fällt der hohe Informationsgehalt der Beiträge auf. Sie folgen zudem (weitgehend) derselben Struktur. Zuerst werden die jeweiligen Innovationen der „Pioniere“ stichwortartig genannt, es folgen persönliche Daten und schließlich eine genauere Beschreibung ihrer Forschungen. Zuletzt werden die zentralen Publikationen aufgelistet.

Auch hier fehlen jedoch einige Forscher, die man in einem solchen Werk erwartet hätte. Zudem zeigt sich eine deutliche Selektivität. So sind (nur) diejenigen Forscher ziemlich vollständig berücksichtigt, die mit der so genannten Harvard School assoziiert werden. Vereinfacht gesagt arbeit(et)en diese im Rahmen des vor allem von dem bereits erwähnten Bain entwickelten Struktur-Verhalten-Ergebnis-Paradigmas und des wettbewerbspolitischen Leitbilds des „funktionsfähigen Wettbewerbs“.3 Ihnen wird üblicherweise die so genannte Chicago School gegenübergestellt. Aus deren Reihen findet mit George J. Stigler, Harold Demsetz und Sam Peltzman nur ein absolutes Minimum an Forschern Erwähnung. Kurz erwähnt werden zudem Frank H. Knight und Henry C. Simons sowie Ronald H. Coase, Lester Telser und John McGee. Gänzlich unerwähnt bleiben etwa Yale Brozen, Richard A. Posner, Frank H. Easterbrook oder Robert H. Bork. Ähnlich unterrepräsentiert ist die so genannte Neue Industrieökonomik („New industrial organization“, NIO), die sich – wiederum grob vereinfacht – aus der Ablehnung des Struktur-Verhalten-Ergebnis-Paradigmas seit den 1970er-Jahren entwickelt hat.4 Als „Pioniere“ kämen spontan etwa Timothy F. Bresnahan oder David M. Kreps, Paul Milgrom, Robert H. Porter, Donald John Roberts und Robert B. Wilson in Frage. Insgesamt leidet der nordamerikanische Teil somit unter einer ausgeprägten Einseitigkeit, die zu einer verzerrten Darstellung des Gebiets führt.

Auch wenn kritische Anmerkungen bisher diese Rezension prägten, so bedeutet das keinesfalls, dass das Buch keine lohnende Lektüre ist. Im Gegenteil wird mit den Texten ein ebenso spannendes wie notwendiges Anliegen verfolgt. Systematische Abhandlungen über die Dogmengeschichte der Wettbewerbsökonomik sind nämlich bislang Mangelware. Zu diesem Thema liegen lediglich einige verstreute und zum Teil recht alte Artikel sowie Monografien und Sammelbände mit zentralen Originaltexten vor. Viele der jüngeren Lehr- und Nachschlagewerke verzichten dagegen auf eine dogmengeschichtliche Einführung. Sie sind darüber hinaus auch sehr sparsam mit Verweisen auf ältere Literatur. Dabei bleibt die Beschäftigung mit der Dogmengeschichte nach wie vor wichtig. Sie zeigt immer wieder, dass viele vermeintlich neue Entwicklungen tatsächlich schon einmal bekannt waren. Sie gerieten bedauerlicherweise in Vergessenheit oder – schlimmer noch – werden schlichtweg ignoriert. Hier kann das vorliegende Buch Abhilfe schaffen. Darüber hinaus bietet es interessanten Lesestoff und macht neugierig auf die angerissenen Werke der „Pioniere“.

Anmerkungen:
1 Vgl. Blaug, Mark, No History of Ideas, Please, We're Economists, in: Journal of Economic Perspectives, 15 (2001), S. 145-164.
2 Vgl. Eucken, Walter, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Eucken, Edith; Hensel, K. Paul (Hrsg.), 6. Aufl., Tübingen 1990.
3 Vgl. Kantzenbach, Erhard; Kallfass, Hans Hermann, Das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs–workable competition-, in: Cox, Helmut; Jens, Uwe; Markert, Kurt (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbs. Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, München 1981, S. 103-127; Audretsch, David B. Divergent Views in Antitrust Economics, in: Antitrust Bulletin, 33 (1988), S. 135-160.
4 Vgl. als Überblicke Schmalensee, Richard; Willig, Robert D. (Hrsg.), Handbook of Industrial Organization, Vol. 1 and 2, Amsterdam 1989; Armstrong, Mark; Porter, Robert H. (Hrsg.), Handbook of Industrial Organization, Vol. 3, Amsterdam 2007.

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