M. Rink: Vom "Partheygaenger" zum Partisanen

Titel
Vom "Partheygänger" zum Partisanen. Die Konzeption des kleinen Krieges in Preussen 1740-1813


Autor(en)
Rink, Martin
Reihe
Europäische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 851
Erschienen
Frankfurt/Main 1999: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
473 S.
Preis
€ 70,60
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Winter, Militärgeschichte, Uni Potsdam Historisches Institut

Mit seiner Münchner Dissertation untersucht Martin Rink die Kontinuitätslinien der Konzeption des "kleinen Krieges" ausgehend vom Zeitalter des Absolutismus über die Epochenschwelle der Revolutionskriege hinaus bis hin zum "revolutionären Krieg" der preussisch-deutschen Truppen von 1813 und dem "Guerillakrieg" des 19. Jahrhunderts. Bislang lagen zu diesem Themenbereich die Studien von Johannes Kunisch 1 zum "kleinen Krieg" und von Werner Hahlweg 2 zum "revolutionären Krieg" vor, die den zeitlichen Rahmen der vorliegenden Arbeit bilden.

In der Arbeit wird deutlich, daß, wie bereits Johannes Kunisch hervorgehoben hatte, die Kriegführung der Revolutionskriege in der Tradition der Entwicklungen des kleinen Krieges des 18. Jahrhunderts stand. Diese Kampfform widersprach in eklatanter Weise dem alleinigen Gewaltanspruch der Herrscher und der verwissenschaftlichten und rationalisierten Kriegführung im Zeitalter des Absolutismus. Charakteristisch hierfür ist in erster Linie der von Gerhard Ritter geprägte Begriff der 'gezähmten Bellona', der eine weitgehende Trennung von zivilem und militärischen Bereich zugrunde legt. Nicht mehr Kriegsunternehmer waren die Akteure des Krieges, sondern die zentralisierte Staatsgewalt, die das Heer gleich einer Maschine nach rationalen Erwägungen aufbaute, versorgte und einsetzte.

Jenseits dieser idealisierten Seite dieses "grossen Krieges" operierten jedoch kleinere und leicht bewegliche Einheiten, deren Aufgabenspektrum mit Aufklärung, Fouragieren, Störung der gegnerischen Nachschub- und Kommunikationswege nur grob umrissen werden kann. Ohne diese "leichten Truppen" wäre die Führung der hoch spezialisierten Armeen des 18. Jahrhunderts nicht möglich gewesen. Das selbständige Operieren der Akteure des kleinen Krieges, die nicht in das reguläre Versorgungssystem der stehenden Truppen einbezogen waren, brachte diese im Einsatz auch immer in den direkten Kontakt mit der Bevölkerung der betroffenen Gebiete, der zwischen "Bedrohung, Schutz und Freundlichkeit" (121 ff.) schwankte. Dieses unabhängige Operieren und die dabei auch auftretende situationsbedingte eigenmächtige Entscheidung über Gewalt standen im Widerspruch zu dem angestrebten Gewaltmonopol des absoluten Staates.

Die Arbeit von Rink gliedert sich in insgesamt neun grössere Abschnitte. Zunächst illustriert der Autor die Erscheinungsformen des kleinen Krieges anhand von drei Beispielen vom Anfangs- und Endpunkt des Untersuchungszeitraums, angefangen bei den leichten Truppen der Habsburger, über die Tirailleurs bei Auerstedt bis hin zur Guerilla Taktik der aufständischen Tiroler im Jahre 1809. In den folgenden zwei Kapiteln werden strukturell "Zeitalter und Militärsystem", sowie "Entstehung und Eigenart" des kleinen Krieges behandelt. Chronologisch werden sodann die einzelnen Entwicklungen untersucht: das "Zeitalter Friedrichs des Grossen", das "Zeitalter der Revolutionen", die "Entwicklung einer neuen Taktik" durch die späteren Militärreformer in den 1790er Jahren, das "Jahr 1809", sowie der "kleine Krieg im Befreiungskampf 1813" . Den Abschluss bildet das Kapitel "Der kleine Krieg - Verwandlung und Kontinuität", in dem der Autor in einer Mischung aus Resümee und Ausblick auf die Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts seit Clausewitz eingeht.

Der Autor schöpft aus einem breiten Fundus an Quellen, der in seiner Fülle überrascht, stellt man die Vernichtung des deutschen Heeresarchivs in den letzten Kriegstagen in Rechnung. Neben der Auswertung themenrelevanter Literatur wurden verschiedene Quelleneditionen, Bestände verschiedener "ziviler" Archive, Nachlässe, Denkschriften, die zeitgenössische Militärpublizistik und militärische Dienstvorschriften herangezogen. Der Autor unterliegt jedoch in weiten Teilen seines Buches der Versuchung, dieses Quellenmaterial in mehr oder weniger langen Passagen direkt in seinem Text zu zitieren. Dies trägt zwar vielfach zur Illustration bei, macht jedoch die Lektüre zu einem bisweilen mühsamen Unterfangen. Eine stärkere Auslagerung der Quellenzitate in den Anmerkungsapparat oder einen separaten Quellenteil wäre hier von Vorteil gewesen. Eine Überarbeitung für den Druck in dieser Hinsicht und die Ergänzung um ein Register wären hier nach Meinung des Rezensenten sinnvoll gewesen, um die Thematik auch einem breiteren Leserkreis zu erschliessen. Der Rezensent hätte sich weiterhin eine prononciertere Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit gewünscht.

Es gelingt Rink nachzuweisen, daß es sich bei der Taktik des kleinen Krieges um eine "uralte" Erscheinung handelt, die lange vor dem Untersuchungszeitraum bekannt war und sich zwischen 1740 und 1813 kaum verändert hat. Hierbei wird deutlich, daß die militärische Führung im Zeitalter des Absolutismus trotz der angestrebten "Norm" des regulierten Krieges bei der Führung der hoch entwickelten Heere immer wieder auf leichte Truppen und die Taktik des kleinen Kriegs zurückgreifen musste. Das Personal der leichten Truppen war mit der Durchführung selbständiger Operationen vertraut, was an die Soldaten und Offiziere völlig andere Anforderungen stellte als dieses bei den regulären Truppen der Fall war, die für den Einsatz in "rangierten Schlachten" ausgebildet worden waren und in eine strikte Befehlshierarchie eingebunden waren.

Martin Rink verdeutlicht die Tendenz, Elemente der Taktik des kleinen Krieges in die regulären Verbände zu integrieren. Am Beispiel Preussens zeigt er, wie dies immer wieder zu einer Erstarrung führte. Zu den Konzeptionen Friedrichs II. bemerkt Rink: "Der kleine Krieg wurde so in der Taktik der Linie nicht nur einbezogen, sondern gewissermassen von ihr aufgesogen."(173) So kam es, daß die gegnerische Kleinkriegführung wiederholt als neuartige Erscheinung empfunden wurde. Letztendlich konnte erst die totale Niederlage der preussischen Truppen 1806 einen fundamentalen Wandel in der preussischen Heeresorganisation und Kriegführung einleiten.

Rink analysiert hier detailreich die Tradition, in der die preussischen Militärreformer standen und stellt diese in den Rahmen des zeitgenössischen militärischen Denkens. Revolutionär war in diesem Zusammenhang nicht die Anwendung einer neuen Taktik, sondern die Einbeziehung politischer, nationaler "Triebkräfte". "Hinter den Schriften zum Volksaufstand von 1808 bis 1813 stand nicht die pragmatische Absicht, eine bestehende Taktik zu verbessern, sondern die, alle Mittel zum Krieg zu mobilisieren." (415) Eine andere Qualität entwickelte der 1809 begonnene Guerillakrieg in Spanien: "Bei der Guerilla, - d.h. beim Landsturmkonzept - handelte es sich nicht nur um einen Volkskrieg, sondern um den kleinen Krieg in strategischer Dimension." (277) Zu einer derart radikalen Konzeption eines allgemeinen Aufstandes, welche die bestehende Ordnung in fundamentaler Weise bedrohte, waren weite Teile des preussischen Offizierskorps und der Beamtenschaft nicht bereit. Hier mündeten die neuen Konzeptionen in eine geregelte "Reform von oben", nicht in eine Revolution.

Rink möchte in seiner Untersuchung jedoch weit über die Beschreibung der Entwicklung der taktischen Konzeption des kleinen Krieges hinausgehen und diesen in den gesellschaftlichen Kontext des 18. und frühen 19. Jahrhunderts einordnen. Relativ breiten Raum räumt er hierbei der Erörterung des "Zeitalters und Militärsystems" ein. Ob jedoch die "vormoderne Gesellschaft" tatsächlich von einer "Atmosphäre der Brutalität" gekennzeichnet war und im Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit die "Abwesenheit eines verbindlichen Rechtssystems für alle" praktisch einen "<Kleinkrieg> aller derjenigen gegeneinander, die sich im Streit um die von ihnen jeweils subjektiv beanspruchten Rechte befanden", bewirkte,(32) muss bezweifelt werden. 3

Inwieweit die Untersuchung der Konzeption des kleinen Krieges geeignet ist, die Disziplinierung als "Säkulartrend des 18. Jahrhunderts" näher zu beleuchten, muss hinterfragt werden. Das Bild des regulierten Militärsystems des 18. Jahrhunderts dient Rink als Projektionsebene, vor der sich die Akteure des kleinen Krieges mit ihrer ungeregelten Kampfweise deutlich abheben. Gerade neuere Forschungen haben jedoch gezeigt, daß das äussere Erscheinungsbild des Militärs nicht unbedingt Rückschlüsse auf den tatsächlichen Grad der Disziplinierung des einzelnen Soldaten in den regulären Truppen erlaubt.4 Wiederholt führt Rink an, daß die zunehmende Disziplinierung der Soldaten - Offiziere wie Mannschaften - letztlich zu einer "verinnerlichten Disziplin" geführt hätte. Dieser Disziplinierungsvorgang habe der militärischen Führung erst eine erhöhte Kontrolle und Durchsetzungsgewalt an die Hand gegeben, auf deren Grundlage die Taktik des kleinen Krieges strategisch nutzbar gemacht werden konnte. Die Antwort, worin die Mittel einer derartigen Disziplinierung der Soldaten bestanden hätten, bleibt der Autor schuldig. Er umgeht dieses Problem mit dem Verweis, daß Regulierung gleichzeitig auch Disziplinierung bedeute, wie sich deutlich auch an den Bestrebungen, den kleinen Krieg in eine regelhafte Form zu bringen, zeigen würde. Schliesslich hätten die Rationalisierung des Verwaltungsapparates und der militärischen und zivilen Infrastruktur zu dieser verbesserten Disziplin geführt.

Unbenommen bleibt, daß die Kommunikations- und Kontrollmöglichkeiten der militärischen Führung im Untersuchungszeitraum deutlich zugenommen hatten. Einwände erhebt der Rezensent jedoch gegen die in diesem Zusammenhang vorgebrachte These, daß eine angeblich in den protestantischen Ländern stärker vorangetriebene Sozialdisziplinierung zu einem "weniger 'revolutionären' Gebaren der Insurgenten preussischer Prägung" im Kampf gegen Napoleon geführt hätten (302) und dies erst das geregelte Zusammenwirken der Landwehr mit den regulären Einheiten möglich gemacht hätte. Einerseits sei hier auf die Forschungen zur Konfessionalisierungsfrage verwiesen. Andererseits lagen die Verhältnisse, welche in Spanien und Tirol zum Aufstand der Bevölkerung führten, grundsätzlich anders als dies beispielsweise in Preussen der Fall war. In beiden Fällen waren dynastische und religiöse Loyalitäten und somit die bestehende Ordnung durch die Besatzungsmächte in Frage gestellt worden. In Spanien waren die Bourbonen durch Napoleon zum Thronverzicht gezwungen worden, in Tirol die Fürstbischöfe von Trient und Chur des Landes verwiesen, der religiöse Kultus staatlich reglementiert worden; selbst der Name Tirol wurde verboten und die gleichnamige Burg verkauft. In Preussen war die bestehende Ordnung nicht in ähnlicher Weise erschüttert worden. Ob die oben beschriebene Argumentation ausreicht, um die erfolgreiche Disziplinierung, damit einen spezifisch preussisch-deutschen Etatismus und letztendlich die Sonderwegsthese zu untermauern, muss mit einem deutlichen Fragezeichen versehen werden.

Ähnliche Einwände sind gegen die These vorzubringen, daß die Regulierung und Disziplinierung schliesslich die "affektbegleitete Aufschaukelung der Leidenschaften zwischen Panduren und Bürgerschützen", wie sie noch 1742 bei der Belagerung von Cham durch den Baron Franz von Trenck zu beobachten war, vermieden hätte. Rink stellt diesem Ereignis die geregelte Belagerung und Einnahme von s'Hertogenbosch unter Beteiligung der preussischen Landwehr 1814 gegenüber. Einerseits lassen sich auch im 18. Jahrhundert geregelte Übergaben unter Beteiligung leichter Truppen finden und andererseits waren auch die Befreiungskriege nicht frei von Exzessen von Landwehrregimentern.

Sinnvoller erscheint es dem Rezensenten, nach den situationsbedingten Ursachen von gewaltsamen Übergriffen und Exzessen im Krieg zu fragen. Daß auch die preussischen Soldaten der Befreiungskriege nicht in dem Masse diszipliniert waren, wie dies das vorgebrachte Beispiel nahelegt, geht beispielsweise aus dem Kriegstagebuch Ludwig von Gerlachs hervor. Dieser berichtet, daß sich die "märkischen Landwehren" bei der Plünderung der französischen Stadt Gembloux am 17. Juni 1815 besonders hervorgetan hätten. Bei der Plünderung von Wavre am folgenden Tag zertreuten sich die Soldaten beim Plündern in die Häuser und liessen sich kaum mehr zusammenbringen. Er erwähnt auch ein Standrecht über einen Husaren, bei dem Scharnhorst offenbar von den Soldaten mit Steinen beworfen wurde. Selbst höhere Offiziere hätten sich der Plünderung nicht enthalten.5 Folgt man den zeitgenössischen Berichten vom Einsatz preussischer Freiwilligeneinheiten, wonach vielfach der Befehl gegeben worden sei, keine Gefangenen zu machen und kein Pardon zu geben, so zeigt dies den bewussten Einsatz von Affekten und Hass im Kampf durch die militärische Führung. Inwieweit diese Affekte im Einsatz noch steuerbar gewesen sind, bleibt zumindest fraglich. Ohne Zweifel unterscheiden sich derartige Vorkommnisse deutlich von den Greueltaten, welche aus dem spanischen Guerillakrieg, oder der neuntägigen Plünderung und Einäscherung Chams 1742 überliefert sind, doch stellt sich die Frage, ob es sich hierbei - wie durch den Autor dargestellt - um ein "reguliertes" Vorgehen handelt, wie die in der vorliegenden Arbeit erwähnte Einnahme von s'Hertogenboch suggeriert.

Die vorgebrachten Einwände sollen nicht die Leistung Rinks schmälern, der mit seiner Arbeit eine fundierte und reichhaltig mit Quellen belegte Entwicklung der Konzeption des kleinen Krieges bis in das frühe 19. Jahrhundert vorgelegt hat.

Anmerkungen·
1 Kunisch, Johannes, Der kleine Krieg. Studien zum Heerwesen des Absolutismus (Frankfurter Historische Abhandlungen, Bd. 4), Wiesbaden 1973.
2 Hahlweg, Werner, Preussische Reformzeit und revolutionärer Krieg, (Beiheft zur Wehrwissenschaftlichen Rundschau), Berlin u. Frankfurt/M. 1962.
3 Zu den landläufigen Vorstellungen vom finsteren gesetzlosen Mittelalter siehe beispielsweise: Althoff, Gerd (Hg.), Die Deutschen und ihr Mittelalter, Darmstadt 1992; oder Boockmann, Hartmut, Tausend Jahre Verlegenheit zwischen Antike und Neuzeit: Vorstellungen vom Mittelalter - Umrisse des Mittelalters, in: Ders./Jürgensen, Kurt (Hg.), Nachdenken über Geschichte. Beiträge aus der Ökumene der Historiker in Memoriam Karl Dietrich Erdmann, Neumünster 1991.
4 Einen Überblick bietet: Nowosadtko, Jutta, Ordnungselement oder Störfaktor? Zur Rolle der stehenden Heere in der frühneuzeitlichen Gesellschaft, in: Pröve, Ralf (Hg.), Klio in Uniform. Probleme und Perspektiven einer modernen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, Köln u.a.1997, S. 5-34.
5 Kriegstagebuch 1815 Ludwigs von Gerlach, in: Hans Joachim Schoeps (Hg.), Aus den Tagen preussischer Not und Erneuerung. Tagebücher der Gebrüder Gerlach und ihres Kreises 1805-1820, Berlin 1966, S. 150 ff. Demnach hätte auch Blücher eine Vorliebe für "schöne kaiserliche Uhren" gehabt. Ebd., S. 155.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension