A. Weindl: Wer kleidet die Welt?

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Titel
Wer kleidet die Welt?. Globale Märkte und merkantile Kräfte in der europäischen Politik der Frühen Neuzeit


Autor(en)
Weindl, Andrea
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte 211
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 289 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen G. Nagel, Historisches Institut, Lehrgebiet "Neuere Europäische und Außereuropäische Geschichte", FernUniversität Hagen

Es ist durchaus ein zweischneidiges Schwert, den Brückenschlag zwischen der politischen Geschichte, noch dazu einer auf normativen Quellen basierenden, zur Wirtschafts- oder Handelsgeschichte zu wagen. Einerseits ist ein solcher sicherlich nötig, will man die Gefahr vermeiden, in konjunkturellen Trends die gesamte Wirtschaftsgeschichte versammelt zu sehen – gerade wenn eine Epoche wie die Vormoderne gänzlich andere Rahmenbedingungen und eine wesentlich schwierigere Quellenlage bietet als die Lieblingsepochen historisch arbeitender Ökonomen. Andererseits verleitet ein solcher Versuch gerne dazu, einen politischen Willen – oder eine politische Taktik – und die realen wirtschaftlichen Entwicklungen versehentlich in Eins zu setzen. Gerade wenn im Sinne einer an Vertragsabschlüssen orientierten Diplomatiegeschichte normative Zeugnisse im Mittelpunkt der Analyse stehen, kann die Quellenbasis für ökonomische Zusammenhänge auf Dauer zu einseitig werden. Andrea Weindl versucht diesen Gefahren in ihrer Kölner Dissertation, die 2007 in der Schriftenreihe des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz erschienen ist, auf zweierlei Weise zu entkommen. Zum einen versteht sie völkerrechtliche Vertragsabschlüsse dezidiert als Ausgangs- oder Endpunkt einer Entwicklung, was bei aller Selbstverständlichkeit keineswegs immer der Fall ist. Zum anderen dreht sie die Blickrichtung, die normalerweise verfolgt wird, um und fragt nach dem Einfluss von Marktentwicklungen auf Staaten und ihr politisches Handeln. Dabei ist ein in mancherlei Hinsicht gutes und auch wichtiges Buch entstanden, das allerdings nicht frei von Diskrepanzen zwischen theoretischem Anspruch und analytischer Wirklichkeit ist.

Weindls Untersuchung ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil sie einen Beitrag dazu liefert, die Globalisierung bereits in der frühen Neuzeit anzusiedeln. Ob man diesen weniger ausgreifenden, dünner verflochtenen, gleichwohl dynamischen und richtungweisenden Zusammenhang als „Proto“- oder als „richtige“ Globalisierung bezeichnen möchte, ist dabei zweitrangig. Wichtig ist die globale Qualität ökonomischer Beziehungen, die Weindl für ihren Untersuchungszeitraum überzeugend herausstellen kann. Sie wendet sich dabei gegen die Aussage von Wirtschaftshistorikern wie Kevin O’Rourke und Jeffrey G. Williamson, dass Globalisierung die Integration internationaler Gütermärkte meint, die wiederum internationale Preiskonvergenz voraussetzt. Da eine solche vor 1820 nicht existierte, so diese Sichtweise weiter, könne erst im 19. Jahrhundert von Globalisierung die Rede sein. Andrea Weindl stellt ihrerseits die Frage nach der Entstehung nationalstaatlicher Rahmenbedingungen dagegen, die zweifelsohne eine Entwicklung der frühen Neuzeit darstellt. Abermals kommt sie so zu einer Umkehrung: Nicht das Fehlen bestimmter Verhältnisse ist aus ihrer Sicht ein Argument gegen eine Globalisierung in der frühen Neuzeit; vielmehr ist dieser Unterschied ein Argument dafür, dass man nicht mit den Kriterien des 19. Jahrhunderts gegen die Existenz einer Globalisierung zu dieser Zeit argumentieren kann.

Entsprechend liegt der Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf dem 17. Jahrhundert. Zusätzlich eingegrenzt wird der Fokus auf die englischen Beziehungen zu den iberischen Expansionsmächten Spanien und Portugal. Trotz der global formulierten Fragestellung ist eine solche exemplarische Auswahl sicherlich unumgänglich – und wenn dies so ist, dann ist auch die gewählte durchaus sinnvoll zu begründen. Dennoch fällt natürlich auf, dass gerade in diesem Jahrhundert das „goldene Zeitalter“ der Seehandelsmacht Niederlande anzusiedeln ist, deren Bedeutung in der Darstellung gerade angesichts des die europäischen Grenzen überschreitenden Ansatzes etwas zu kurz kommt. Schließlich spielten in diesem Jahrhundert zumindest hinsichtlich Asiens Portugal und Spanien unter den europäischen Mächten nur noch in der zweiten Liga – ganz im Gegensatz zu den Vereinigten Provinzen. Zwangsläufig verfolgt Weindl eher eine atlantische Ausrichtung, wodurch die aus europäischer Sicht wichtigsten Textilmärkte dieser Zeit sicherlich abgedeckt werden. Wer jedoch die Frage „Wer kleidet die Welt?“ in den Mittelpunkt stellt, kommt um die Erkenntnis nicht herum, dass die aufnahmefähigsten Märkte dieser Art während des 17. Jahrhunderts im Süden und Osten Asiens lagen – auch wenn europäische Lieferanten sie erst im 19. Jahrhundert Erfolg versprechend bedienen konnten. In Teil I, der unter dem Titel „Märkte, Mächte und Menschen“ die Rahmenbedingungen und globalen Handelsverbindungen zwischen 1500 und 1700 vorstellt und hinsichtlich Umfang, Bedeutung und Quellenorientierung vor allem eine einleitende Skizze darstellt, fallen die vermittelten Kenntnisse zur komplexen asiatischen Handelswelt zu allgemein aus; die Darstellung wird dadurch eher zum groben Holzschnitt als zu einem filigranen Gebilde. Letzteres darf sicherlich nicht unbedingt erwartet werden (denn welche Doktorandin ist schon Universalistin?), aber ersteres wird den vielschichtigen Verhältnissen sicherlich nicht gerecht. Dies ist insofern besonders wichtig, da hier der Marktcharakter des asiatischen Handels verloren geht und so die Aussagekraft des gewählten Fokus für Fragen nach dem Weltmarkt eingegrenzt wird. Die Beschränkung auf die iberisch-britische Rechtsaushandlung wirkt vor diesem Hintergrund noch exemplarischer, als es die europäische Perspektive bereits erkennen lässt. Die Studie bleibt insofern eurozentrisch und muss es wohl auch bleiben. Offen bleibt nur die Frage, ob auf diesem Weg ein Weltmarkt zu erklären ist.

Aus genau dieser eurozentrischen, ibero-britisch ausgerichteten Perspektive bezieht der eigentliche Hauptteil der Untersuchung, der unter dem Titel „Globale Märkte in den Beziehungen Englands zu den Staaten der iberischen Halbinsel“ die relevanten zwischenstaatlichen Kontakte und Verträge thematisiert, dann durchaus seine Stärken. Die umfassende Quellenkenntnis der Autorin erlaubt – dieses Mal tatsächlich filigran – eine akribische Rekonstruktion der verästelten diplomatischen Entwicklungen, die zur Situation zu Beginn des 18. Jahrhunderts führten, welche die Autorin sicherlich zu Recht im Benthuen-Vertrag repräsentiert sieht. Dabei bleibt die Darstellung keinesfalls auf der staatlichen Ebene stecken; vielmehr werden durch die sorgfältige Differenzierung der Akteure und Interessengruppen, insbesondere im englischen Überseehandel, die Möglichkeiten der Diplomatie im ökonomisch bestimmten Umfeld tatsächlich transparent. Dies ist im Ergebnis hoch einzuschätzen, da Erklärungen für viele Entwicklungen angeboten werden, die eine strikte Trennung der in ökonomische und politische Geschichtsbereiche so sicherlich nicht erkennen ließe. Allerdings knüpft die Autorin letztendlich zu große Erwartungen an ihren eigenen Erklärungsansatz. Wie sie selbst betont, unterliegen Vertragsabschlüsse nicht ausschließlich stringenten Strategien, weder politischen noch ökonomischen. Daher spiegelt sich in ihnen auch nicht ungebrochen der Markt – die angesprochene Umkehrung der Blickrichtung stößt irgendwann zwangsläufig an ihre Grenzen.

Dennoch liegt mit der Studie von Andrea Weindl ein wichtiger Beitrag zu einem umfassenden Verständnis des 17. Jahrhunderts vor. Umfassend vor allem deshalb, weil dieses Jahrhundert entscheidende Umbrüche und Entwicklung eben auf mehreren, politischen wie ökonomischen Ebenen aufzuweisen hat, deren voneinander getrennte Betrachtung stets nur lückenhafte Bilder erzeugen kann. Es ist natürlich nur verständlich, dass eine solche Arbeit nur ein Beitrag sein kann und exemplarisch, in gewisser Weise auch eurozentrisch bleiben muss. Innerhalb dieses Rahmens überzeugt Studie sowohl methodisch als auch argumentativ, wenn sie auch nicht mit der umfassenden Erklärungskraft gesegnet ist, die der Titel suggerieren möchte. Insofern liegt die Bedeutung des Buches weniger in dem, was es zur Globalisierungsgeschichte beiträgt, trotz einiger Verdienste auch in dieser Hinsicht, als vielmehr in der Verbindung zweier Teildisziplinen, die sich häufig noch immer ebenso gerne wie unverständlicherweise aus dem Weg gehen.

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