R. Lützelschwab: Clemens VI. und sein Kardinalskollegium

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Titel
Flectat cardinales ad velle sum? Clemens VI. und sein Kardinalskolleg. Ein Beitrag zur kurialen Politik in der Mitte des 14. Jahrhunderts


Autor(en)
Lützelschwab, Ralf
Reihe
Pariser Historische Studien 80
Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
VII, 509 S.
Preis
€ 59,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Weiß, Institut für Geistes- und Kulturwissenschaften, Hochschule Vechta

Die populäre Vorstellung vom Avignoneser Papsttums ist vor allem von Clemens VI. geprägt worden, und zwar keineswegs im positiven Sinne. Bereits Zeitgenossen wie Francesco Petrarca kontrastierten gern das Bild eines aufwändigen und luxuriösen Hoflebens mit dem bescheidenen Lebensstil Christi und der Apostel. Dass diese Kritik keineswegs ganz unberechtigt war, hat die neuere Forschung bestätigt; allerdings stellt sich eben auch immer mehr heraus, dass die Anforderungen, die an einen Papst gestellt wurden (und werden), sich nun einmal nicht mit der Lebensweise eines frommen Eremiten vereinen lassen. Dass jedenfalls Clemens VI. ein solcher nicht war, ist deutlich.

Lützelschwabs Arbeit, eine von Kaspar Elm und Fritz Wagner betreute Dissertation, ist nicht als Biografie intendiert, der Autor widmet sich vielmehr dem Verhältnis Clemens’ VI. zu seinem Kardinalskollegium. So einfach und sinnvoll diese Fragestellung auf den ersten Blick scheinen mag, so aufwändig stellt sie sich in der Praxis heraus; aus dem 14. Jahrhundert sind derartige Massen an einschlägigem Material erhalten, dass ein solches Thema kaum umfassend zu bewältigen ist. Die Arbeitsleistung des Autors verdient alles Lob. Nicht nur die schon gedruckten Quellen sind zusammen mit der einschlägigen Literatur aufgearbeitet, der Autor hat auch eine zwar nicht unbekannte, aber wenig beachtete Quelle erschlossen und hier erstmals ediert, nämlich diverse Reden des Papstes, worauf noch näher eingegangen wird.

Hervorgehoben sei zunächst das letzte Kapitel des Buches: Unter dem bescheidenen Titel „Kardinalsbiogramme“ (S. 424–496) bietet es eine Prosopografie der Kardinäle Clemens’ VI. Die im Lexikonstil sehr dicht geschriebenen und mit reichhaltigen Literatur- und Quellenangaben unterfütterten Biogramme sind Grundlage und Ausgangsbasis für Lützelschwabs weitere Forschungen gewesen. Sie bieten zugleich ein äußerst nützliches Hilfsmittel für andere Forscher.

Nach einem Überblick über Forschungsstand und Quellenlage erörtert Lützelschwab zunächst die juristische und faktische Stellung der Kardinäle unter Clemens VI., gefolgt von einem biografischen Abriss dieses Papstes im Stile der erwähnten Kardinalsbiogramme. In einem weiteren Kapitel erörtert Lützelschwab dann die rhetorischen Fähigkeiten des Papstes, womit er zugleich dem Zentrum seiner Arbeit zustrebt. Bei den Zeitgenossen galt Clemens VI. als bedeutendster Redner seiner Zeit; seine Predigten, deren Auswertung im Mittelpunkt von Lützelschwabs Studie stehen, sind in über 100 Handschriften über ganz Europa verbreitet. Den Ansprachen, die Clemens VI. an das Kardinalkollegium gehalten hat, hat Lützelschwab besondere Aufmerksamkeit gewidmet – aus gutem Grund, denn nirgendwo sonst ist die Person und das Denken Clemens’ VI. so unmittelbar fassbar und nirgendwo sonst ist seine Beziehung zu den Kardinälen so greifbar wie eben dort. „Collationes“, das heißt feierliche Ansprachen des Papstes an das Kollegium, waren bei zwei Gelegenheiten üblich: bei der Kreation neuer Kardinäle und bei der Rückkehr von Kardinallegaten von ihrer Gesandtschaftsreise. Im Anhang findet der Leser außerdem die schon erwähnte Edition der Collationes Clemens’ VI. anlässlich seiner Kardinalskreationen auf der Basis der Handschrift MS 240 der Bibliothèque Sainte-Geneviève in Paris (S. 381–423).

Dementsprechend liegt der Schwerpunkt von Lützelschwabs Buch in zwei Hauptkapiteln. Das erste ist den Kardinalskreationen gewidmet. Neben den Problemen der Kirchenverfassung, wie der immer heiklen Frage, ob und inwieweit den Kardinälen ein förmliches Recht der Mitsprache und Mitentscheidung zukam, werden auch die realen Zwänge und Motive des Papstes bei seinen Kreationen behandelt und überhaupt die nicht immer spannungsfreien Beziehungen des obersten Pontifex zu seinen engsten Ratgebern und Mitarbeitern beleuchtet. Wenn freilich – wie Lützelschwab hervorhebt – Clemens seinen Willen erfolgreich gegenüber dem Kollegium durchsetzen konnte, so dürfte ein von ihm nur am Rande behandelter Aspekt immerhin eine Rolle gespielt haben: die Großzügigkeit des Papstes in finanziellen und in Pfründenangelegenheiten. Solange allerdings Clemens’ Kommunregister nicht im Druck vorliegen, wird diese Frage im Detail nicht zu klären sein.

Das zweite, noch ausführlichere Hauptkapitel ist den Legationen und damit gleichsam der päpstlich-kardinalizischen Außenpolitik gewidmet. Die ganz Europa umfassende Politik des Avignoneser Papsttums unter Clemens VI. wird hier minutiös nachgezeichnet, anhand eben der Gesandtschaften seiner Kardinäle. Zwei Problemzonen hatte der Papst hier zu beackern: Er versuchte sich als Friedensvermittler im beginnenden Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich, und zweitens war das immer prekäre Verhältnis zu Italien zu klären. Die Beziehungen zum Kirchenstaat, also zum eigenen Reich des Papstes, die norditalienischen Kommunen und das päpstliche Lehensreich, das Königreich Neapel, erforderten hier das Eingreifen der päpstlichen Diplomatie. Als relativ unproblematisch erscheinen dagegen die Beziehungen zum Imperium, jedenfalls nachdem mit der Wahl Karls IV. zum römisch-deutschen König (1346) und dem Tod Ludwigs des Bayern der seit Jahrzehnten andauernde Streit zwischen Papsttum und Reich zu einem Ende gekommen war. Immerhin: Eine etwas eingehendere Würdigung des Verhältnisses Karls IV. zu Clemens VI. – bekanntlich hatten sich die beiden in jungen Jahren am Pariser Hof kennengelernt – hätte man sich doch gewünscht.

Es ist wohl eine Folge der oben geschilderten Schwerpunktsetzung, dass andere Bereiche, die nicht Gegenstand päpstlicher Ansprachen waren, nur am Rande behandelt werden. Man würde doch gerne etwas mehr erfahren, wie sich das normale Alltags- und Zusammenleben von Papst und Kardinälen in Avignon gestaltete; auch die Tätigkeit der Kardinäle im Rahmen der kurialen Administration könnte wohl noch eingehender geschildert werden. Das soll jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass Lützelschwab ein neues Standardwerk zum Avignoneser Papsttum geschaffen hat, das jeder Forscher, der dieses Feld beackert, dankbar benutzen wird.

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