U. v. Alemann u.a. (Hgg.): Intellektuelle und Sozialdemokratie

Titel
Intellektuelle und Sozialdemokratie.


Herausgeber
von Alemann, Ulrich; Cepl-Kaufmann, Gertrude; Hecker, Hans; Witte, Bernd
Erschienen
Anzahl Seiten
220 S.
Preis
€ 15,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
PD Dr. Gerd Dietrich, Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Geschichtswissenschaften

Eine kleine aber solide Broschüre, eine unscheinbare aber inhaltsreiche Publikation zu einem Thema, das seit Platon immer wieder erregt: das Verhältnis von Geist und Macht. Hier sind die Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung zusammengefaßt, die im Dez. 1999 in Kooperation der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Friedrich-Ebert-Stiftung/ Akademie der Politischen Bildung stattfand. Trotz des großen historischen wie inhaltlichen Umfangs der Thematik wird ein methodisch gut aufbereitetes und wissenschaftlich sehr informatives Material vorgelegt. Im Vorwort stellen Ulrich von Alemann und Bernd Witte das Forschungsprojekt der Geschichte des Verhältnisses von politischer Kultur und Intellektuellen vor, dessen erstes Ergebnis diese Tagung darstellt. Hans Hecker referiert in der Einleitung wichtige Thesen der Tagung und verweist auf das beiderseitige Mißtrauen, das Intellektuelle und Politik in Deutschland stets miteinander verband. Thomas Meyer gibt sodann eine Einführung zum Thema: Intellektuelle Politik und Sozialdemokratie, in der er zum Nachdenken über den Wandel im Verhältnis von Intellektuellen und Politik anregt. Während in der alten Struktur einer diskursiven Öffentlichkeit die Intellektuellen eine moralische und kommunikative Rolle spielten, tritt an diese Stelle in der gegenwärtigen Mediendemokratie allmählich die des Medienberaters: der Meisterdenker verwandelt sich in den Meisterdarsteller. Gleichwohl kann auf die Fundamentalkritik bzw. die radikale Kritik (A.Etzioni) der Intellektuellen in der modernen Gesellschaft nicht verzichtet werden. - Das folgende Material ist in drei historische Epochen gegliedert und wird jeweils von einem Überblicksbeitrag eingeleitet, dem zwei Fallbeispiele folgen.

Sektion I behandelt Intellektuelle und soziale Frage im Kaiserreich. Gangolf Hübinger zeigt, daß Intellektuelle als Sozialfigur erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts identifizierbar werden. Er befragt die vier Teilkulturen der deutschen Gesellschaft nach ihren Abgrenzungen und Differenzierungen unter dem Gesichtspunkt sozial engagierter Intellektueller und deckt die Spannungen auf, die bürgerliche Intellektuelle in der Arbeiterbewegung, als Sprecher und Beobachter zugleich, auszuhalten hatten. Thomas Welskopp stellt den Wandel der Intellektuellen in der frühen deutschen Sozialdemokratie vom "Arbeiterintellektuellen" über den "sozialdemokratischen Bohemien" zum "Chefideologen" dar. Entgegen der verbreiteten Ansicht, Intellektuelle - vom arbeitslosen Privatdozenten über den kleinen oder mittelständischen Unternehmer bis zum Arbeiter, der sich als begabter Autodidakt seine Bildung erarbeitete - wären ein Fremdkörper in der frühen Sozialdemokratie gewesen, führt er den Nachweis, daß sie den eigentlichen Kern der frühen Bewegung gebildet haben. Walter Fähnders erläutert die Dispositionen der literarischen Intelligenz im ausgehenden 19.Jahrhundert: den fundamentalen Dissens sowohl zum Bürgertum als auch zur Sozialdemokratie, der in der Selbstnobilitiering der Naturalisten und ihrer sozialistischen und anarchistischen Anrainer als Avantgarde begründet war. Zugleich riefen sie jedoch mit ihren Werken, als Paradebeispiel gilt Gerhart Hauptmanns: Die Weber, eine enorme politische Wirkung hervor.

Sektion II ist dem Thema: Die linken Intellektuellen und die gespaltene Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik gewidmet. Helga Grebing konstatiert, daß auch die freie Luft der Republik das Mißtrauen gegenüber den Intellektuellen nicht aufbrechen konnte, daß auch im liberalen Klima kein Brückenschlag zwischen bildungsbürgerlicher Avantgarde und Arbeiterbewegung gelang. Einerseits übte die russische Revolution eine große Faszinationskraft auf linke Intellektuelle aus, was im Zusammenhang mit der KPD das Dilemma der Distanzierung und Spaltung vertiefte, andererseits ist auch die Diskrepanz zwischen der Sozialdemokratie und den ihr nahestehenden linken Intellektuellen in der Weimarer Republik größer geworden. Sehr aufschlußreich sind die elf gruppenspezifischen Positionen linker Intelligenz, die Grebing herausarbeitet. Wolfgang Bialas analysiert drei Facetten des schwierigen Verhältnisses Weimarer Intellektueller zur Politik: zum ersten linksintellektuelle Äußerungen zum Verhältnis von Politik und Geist, zum zweiten die Diskussionen um den Begriff und die Reichweite des Politischen und die wechselseitigen Distanzierungen der Parteien und der Intellektuellen. Zum dritten rekonstruiert er Karl Mannheims Argumentationsfigur des freischwebenden Intellektuellen als Versuch einer Vermittlung der Positionen und an die Sozialdemokratie adressiertes Angebot. Elke Suhr beschäftigt sich mit dem Kult um Lenin, mit der Faszination, die von der singulären Führerfigur ausging, und mit den utopistischen Gedankenexperimenten der Intellektuellen, womit auch die großen Menschenopfer der Revolution verdrängt wurden. Sie läßt eine lange Reihe von Publizisten aus dem linken wie dem rechten Lager Revue passieren und weist nach, daß hier einer der Orte war, wo sie sich trafen, und daß diese Idealisierung Lenins auch noch nach 1945 unter den westdeutschen Linken weiterwirkte.

Sektion III stellt sich der komplizierten Beziehung von Sozialdemokratie und Intellektuellen seit 1945. Helmut Mörchen konzentriert sich auf das Verhältnis: Sozialdemokratie und Schriftsteller. Während die Partei Kurt Schumachers und Erich Ollenhauers keine sonderliche Anziehungskraft ausübte und sich nur wenige zum Engagement verleiten ließen, wuchs insbesondere mit der Person Willy Brandts die Parteinahme der Schriftsteller in der Öffentlichkeit. Sie war der Notwendigkeit eines politischen Wechsels geschuldet, blieb aber letztlich nur eine begrenzte Hilfeleistung von außen und hat die Unsicherheiten im Umgang miteinander nicht verkleinert. Sabine Cofalla liefert als Musterfall hierfür das Verhältnis der "Gruppe 47" zur SPD nach. Adenauers Kommunismusvorwurf an jede nur latente Opposition und Erhards Verunglimpfung der Intellektuellen insgesamt verwiesen politikwillige Intellektuelle von vornherein an die SPD. Es war nicht die Attraktivität der SPD, sondern ihre Position als einzige Alternative, die Mitglieder der "Gruppe 47" zu ihrer Unterstützung in den 60er Jahren animierte. Aber bezeichnenderweise änderte sich ihre skeptische, zwiespältige Haltung gegenüber der SPD auch nicht, als Willy Brandt auf Grund seiner Biographie und intellektuellen Offenheit wie mit seiner Ostpolitik ein neues Angebot machte. Petra Weber exemplifiziert jenes Verhältnis nun an den beiden Parade - Intellektuellen der SPD: Carlo Schmid und Adolf Arndt. Ihr Eintritt in die SPD war die Konsequenz der Erfahrungen, die sie unter dem NS-Regime gemacht hatten. Sie beherrschten zwar meisterhaft die Rolle des Nomotheten wie des politischen Pädagogen, blieben aber im politischen Alltagsgeschäft weitaus weniger erfolgreich. Deshalb und nicht zuletzt wegen ihrer hohen intellektuellen Ansprüche blieb stets eine gewisse Distanz zur Partei bestehen.

Im Schlußvortrag denkt Johano Strasser über die Rolle und Aufgabe der Intellektuellen in Folge des Epochenbruchs 1989/1990 nach. Bisher habe 1989 bei den meisten deutschen Intellektuellen nicht viel mehr als einen Modenwechsel erzeugt und von einer intellektuell anspruchsvollen Verarbeitung der DDR-Vergangenheit kann nicht die Rede sein. Auch wenn vom Selbst- und Sendungsbewußtsein des linken Intellektuellen kaum etwas übrig geblieben ist, könne die Intellektuellenrolle nicht durch Experten ersetzt werden. Zur Sicherung der politischen Kultur bleibt intellektuelle Gesellschaftskritik notwendig, die eigentlichen Fragen nach der Zukunft unserer Gesellschaft sind aber noch weitgehend unerörtert. Auswahlbibliographie wie Sach- und Namensregister beschließen diesen vorzüglichen schmalen Band.

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