L. C. Dubin: The Port Jews of Habsburg Trieste

Titel
The Port Jews of Habsburg Trieste. Absolutist Politics and Enlightenment Culture


Autor(en)
Dubin, Lois C.
Reihe
Stanford Studies in Jewish History and Culture
Erschienen
Anzahl Seiten
XI + 335 S.
Preis
$ 49.50
ISBN
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Wyrwa, Technische Universität Berlin

Wenn die aktuelle historische Forschung zur Geschichte der Juden die italienisch-jüdische Geschichte sträflich vernachlässigt hat, so gilt dies ebenso für eine so aufschlussreiche und vielfältige jüdische Gemeinde wie Triest. Als adriatische Hafenstadt des Habsburgischen Vielvölkerstaates lag Triest im Schnittpunkt der italienischen, deutschen und slawischen Kultur, und dieser kosmopolitische Ort verband die mitteleuropäische mit der mediterranen Welt.

Seit dem späten 14. Jahrhundert zu Habsburg gehörig, erhielt Triest in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen Freihafen, und Menschen aller Nationen und Religionen wurden eingeladen, sich in der Stadt niederzulassen und Handel zu treiben. Die Eröffnung des Freihafens führte, wie Lois C. Dubin in ihrer von Yosef Hayim Yerushalmi mitbetreuten Dissertation ausführt, zu einer expliziten Toleranzpolitik gegenüber religiösen und ethnischen Minderheiten, und damit wurde Triest für Juden, griechisch- und serbisch-orthodoxe Christen, Protestanten und Armenier attraktiv. Erstaunlicherweise war es gerade die für ihre negative und harsche Haltung gegenüber allen Nicht-Katholiken bekannte Maria Theresia, welche die institutionellen Voraussetzungen für eine multireligiöse, polyethnische und kosmopolitische Bevölkerung in Triest sorgte. Diese Politik führte zu einem raschen Ansteigen insbe-sondere der jüdischen Minderheit und zu einem radikalen sozioökonomischen Wandel der Stadt im 18. Jahrhundert. 1746 hatte Maria Theresia die jüdische Gemeinde als eigenständige und unabhängige Gemeinde eingeführt; im Statut von 1771 bestätigte sie die korporativen Rechte und gleichzeitig erkannte sie in einem Privileg den einzelnen Gemeindemitgliedern individuelle Rechte zu. Die beiden Edikte von 1771 gaben den Juden als Individuen wie auch als Mitgliedern der Gemeindeinstitutionen Rechtssicherheit. An diese Politik knüpfte Maria Theresias Sohn und Nachfolger Joseph an und führte sie in seinen Toleranzedikten weiter. Im Unterschied zu Maria Theresia aber hielt Joseph nicht mehr an der Hegemonie der katholischen Kirche fest, sondern trat dezidiert für Glaubensfreiheit ein. Auf-grund der vorteilhaften Lage der Juden von Triest erließ Joseph kein eigenes Edikt für die adriatischen Hafenstadt – ein Umstand, der einige Verwirrung in der Sekundärliteratur hervorgerufen hat, wie Du-bin betont – sondern erließ eine Hofresolution, in der er die Toleranzpolitik für Triest bestätigte, so dass Dubin für die Triester Juden von einer Kontinuität von den Theresianischen bis zur Josephinischen Edikten spricht.

Die Toleranzpolitik stieß mit ihrem Ziel, Juden zu nützlichen Bürgern zu machen auf fruchtbaren Boden, und die jüdische Gemeinde nahm auch Josephs Erziehungsinitiative auf, so dass 1782 eine neue jüdische Schule eröffnet wurde. Das im aschkenasischen Judentum Mitteleuropas so drängende Sprachproblem indes stellte sich unter den Juden von Triest nicht, da sie, wie die Juden in anderen italienischen Ländern auch, Italienisch sprachen. Vor allem der in Berlin lebende jüdische Aufklärer Hartwig Wessely war es, der mit seinen auf Bitte der jüdischen Gemeinde von Triest verfassten Send-schreiben die dortigen jüdischen Erfahrungen in Europa bekannt machte. Wessely stellte das Triester Judentum als kultviert und aufgeklärt dar, und er war überzeugt, dass ihre Handelserfahrungen zu-sammen mit der italienischen Kultur und Zivilisation sowie dem sephardische Erbe ein Modell für das in seinen Augen unterentwickelte und unkultivierte aschkenasische Judentum bilde.
Die Toleranzpolitik hatte zur Folge, dass auch das 1693 errichtete Ghetto aufgelöst wurde; eine Re-form, die auf jüdischer Seite auch Widerspruch hervorrief, da das Ghetto, so wurde betont, den Juden zugleich Schutz und Sicherheit geboten habe. Eine weitere Konsequenz der neuen Toleranzpolitik war, dass Juden nunmehr zum Militärdienst herangezogen wurden. Die Veränderungen innerhalb der jüdischen Gemeinde und den Wandel der religiösen Praxis, sowie die Herausforderung an die religiö-sen Autoritäten durch neue Heiratsgesetze im Habsburg-Reich analysierend gibt Dubin erhellende Einblicke in die jüdischen Lebenswelten dieser vielfältigen, multikulturellen und von der historischen Forschung allzu lange vernachlässigten Hafenstadt.

Dubins Studie kann sich mit ihrer Konzentration auf diese Stadt nicht zuletzt deshalb als richtungsweisend und innovativ für die weitere Forschung erweisen, als sie grundlegende Annahmen und Hypothesen, von denen die bisherige Literatur zur Geschichte der Emanzipation der Juden in Europa aus-gegangen ist, in Frage stellen bzw. relativieren kann. Gegen die These, dass die Toleranzpolitik der Aufklärungszeit sich allein nach utilitaristischem Kalkül und ökonomischen Nützlichkeitserwägungen gerichtet hätte, kann Dubin zeigen, dass sich in Josephs Toleranzpolitik Fragen des Nutzens, der Moral und einer humanen Politik untrennbar miteinander verknüpft waren. Zweitens stellt Dubins Studie die These in Frage, dass die Emanzipation nur den Juden als Individuen, nicht aber den jüdischen Religionsgemeinschaften zugestanden wurden. Das Beispiel Triest zeigt, dass sowohl die Gemeinden als Korporation wie auch die einzelnen Juden als Bürger gleichgestellt waren. Was die Studie von Dubin darüber hinaus so anregend macht ist der Umstand, dass sie eine Gruppe von Juden in den Blick nimmt, die bisher von der Forschung kaum als eigenständige sozio-kulturelle Formation wahrgenommen worden ist. Während sich die Kategorie der Hofjuden zum Beispiel in der geschichtswissenschaftlichen Literatur als hilfreiches analytisches Konzept erwiesen hat, ist der Begriff der Hafenjuden, wie ihn Dubin vorschlägt, ein Novum, das seine empirischen und methodischen Möglichkeiten an an-deren Fällen noch zu erweisen hat und zu weiteren vergleichenden Studien - mit den jüdischen Gemeinden von Bordeaux, Livorno, Hamburg, Amsterdam, Saloniki und Odessa etwa - geradezu her-ausfordert.

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