Cover
Titel
Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner


Autor(en)
Hilmes, Oliver
Erschienen
Berlin 2007: Siedler Verlag
Anzahl Seiten
494 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lothar Machtan, Universität Bremen

Das Interesse an den Zelebritäten von Bayreuth scheint ungebrochen. Erst vor wenigen Jahren hat die Wiener Autorin Brigitte Hamann ein materialreiches Buch über die unbelehrbare Hitlerfreundin Winifred Wagner (1897-1980) vorgelegt, deren Beitrag zur bizarren Familiengeschichte der Wagners nun ein jüngerer Kollege gleichsam nach rückwärts verlängert. Der Autor war 2002 mit einer wissenschaftlich kaum beachteten Arbeit über die Gustav-Mahler-Rezeption promoviert worden, hatte dann aber mit einer kurzweiligen Lebensbeschreibung der Alma Mahler-Werfel im deutschen Feuilleton von sich reden gemacht, die er als eine „Witwe im Wahn“ erfrischend lebensnah portraitierte. Nun ist die legendäre Wagner-Gattin und -Witwe Cosima (1837-1930) an der Reihe, der sich Oliver Hilmes mit ebenso schwungvollem Pinsel annimmt wie der vorgenannten. Diese Bedienung des großen Publikumsgeschmacks muss kein Manko sein, solange der Stil nicht das Argumentative allzu sehr in den Schatten stellt. Schauen wir also, was Hilmes uns überaus süffig zu erzählen weiß.

Im ersten Teil der mit vielen Bildern illustrierten Cosima-Biografie finden wir vorzugsweise pointierte Zusammenfassungen und punktuelle Ergänzungen dessen, was uns die einschlägige Wagner-Literatur über den Lebensweg dieser außergewöhnlichen Frau schon mehr oder weniger deutlich mitgeteilt hat: zunächst ihre lieblose Kindheit als uneheliche Tochter des Jahrhundertpianisten Franz Liszt in Paris; dann ihre unglückliche Zweckehe mit dem Star-Dirigenten Hans von Bülow in Berlin, aus der sie 1864 floh, um sich mit dem streitbaren Komponisten-Schwarm des bayerischen „Märchenkönigs“ Ludwig II., Richard Wagner, einzulassen. Diesem auch von ihr vergötterten Tonkünstler gebar sie drei Kinder – neben den beiden mit Bülow gezeugten –, bevor Richard sie schließlich nach einem veritablen Scheidungsdrama 1870 ehelichte. An Wagners Seite half sie nach Kräften mit, das Theaterexperiment der Opernfestspiele in Bayreuth zu begründen und gegen mannigfache Risiken abzusichern. Darüber hinaus arrangierte sie ihrem anspruchsvollen Gatten einen überaus ansprechenden und wohl distinguierten Lebensalltag in der sagenhaften Villa Wahnfried, erzog ihre fünf Trabanten mit Herz und Umsicht – immer darauf bedacht, dass der einzige Sohn Siegfried einst in den (riesigen) Fußstapfen seines berühmten Vater möge wandeln können. Über diesen Lebensabschnitt bis zum dramatischen Tod des Meisters in Venedig, der Cosima 1883 mit erst 45 Jahren zur Witwe machten, sind wir wie gesagt auch schon vor Hilmers unterhaltsamer Darstellung recht gut im Bilde gewesen. Neues dagegen findet sich auf den gut 200 Druckseiten des Buches, die sich mit den fast 50 Lebensjahren nach Richard Wagners Tod auseinandersetzen.

In diesem zweiten Teil des Buches vermittelt uns der Autor beachtenswerte Einblicke in das ästhetische, gesellschaftliche und politische Selbstverständnis der nun zur Grande Dame avancierenden Testamentsvollstreckerin. Er zeigt auf, wie Cosima lernte, ihrer selbst gewählten Mission nach allen Seiten hin gerecht zu werden, nämlich: dem musikalischen und literarischen Werk ihres Mannes, mit dem sie sich total identifizierte, zu einer gesteigerten Beachtung, ja Bewunderung bei den gesellschaftlichen, namentlich aber auch bei den geistigen und politischen Eliten zu verhelfen. Darüber hinaus erfahren wir, wie sie aus den Festspielen auf dem grünen Hügel ein ebenso exquisites wie exklusives Highlight elitärer Festkultur im Kaiserreich und nicht zuletzt ein florierendes Familienunternehmen mit sich selbst als auratischem Fixpunkt machte. Schließlich werden wir mit den verhängnisvollen Folgen einer politisch-ideologischen Tendenzverschiebung in der Wagner-Rezeption konfrontiert, für die Cosima die Weichen stellte. Will sagen: Wenn Bayreuth zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem „Mekka der Ultrarechten“, der Wagner-Kult zu einem „Kult des aggressiven Deutschlandnationalismus“ und der Antisemitismus zu einem Markenzeichen des ideologisch einflussreichen so genannten Bayreuther Kreises wurde, der dann nur folgerichtig in Adolf Hitler schon 1923 den kommenden Mann zu erblicken glaubte, so zeichnet dafür nicht zuletzt Hilmes’ „Herrin des Hügels“ verantwortlich (S. 16f.). Mit dieser dezidierten Personalisierung eines Phänomens aus der Kulturgeschichte des Politischen ist freilich die wichtigste Frage an die Erfolgsgeschichte dieser Frau noch nicht beantwortet, nämlich: Was hatte Frau Cosima Wagner – immerhin selbst ein uneheliches Künstler-Kind, eine „Ehebrecherin“ und schließlich Gattin und Witwe eines extravaganten, politisch eher revolutionär gesinnten Tonkünstlers –, dass sogar sittenstrenge gekrönte Häupter stramm konservativer Provenienz ihr huldigten, ja den gesellschaftlichen Verkehr und geistigen Austausch auf Augenhöhe mit ihr suchten? Hilmes bringt ein paar nette Zitate von kompetenten Zeitzeugen, die ihr Charme, Intelligenz, die Kunst der fesselnden Unterhaltung und perfekte Umgangsformen, ja eine aristokratische Wesenheit zubilligen. Eine sendungsbewusste Dame tritt in diesen Quellenzeugnissen auf, die es meisterhaft verstand, Wind um sich selbst zu machen. Diesen Befund kritisch ergänzend fügt der Biograf hinzu: „Cosimas Aura als ‚Meisterin’ und legitime ‚Gralshüterin’, ihr organisatorisches Geschick sowie ihre ideologische Hartnäckigkeit setzten die politische Wirkungsgeschichte Bayreuths […] in Gang“ (S. 284). So weit, so gut; so unterhaltsam, so interessant. Aber erklärt das wirklich schon das Erfolgsgeheimnis dieses starken Willens zum Wagner-Mythos? Die Antwort lautet: nein.

Um die Suggestivkraft der Cosima’schen Richard-Wagner-Exegese in höchsten und allerhöchsten Kreise zu ermessen, hätte der Autor sehr viel intensiver auf ihre festen Freundschaften mit entsprechenden Repräsentanten jener Kreise eingehen müssen, denen sie eben nicht allein als Hohe Priesterin des Wagnerismus gegenübertrat, sondern auch als einfühlsame (Lebens-)Beraterin, kluge Kommentatorin, unaufdringliche Schmeichlerin und nicht zuletzt als zarte Einflüsterin ihrer Herzenswünsche, deren Überredungskünste gar nicht hoch genug zu veranschlagen sind. Vor allem beherrschte sie die Kunst des Schreibens und der Konversation auf geistig hohem und zugleich bestrickendem Niveau, an dem sich offenbar viele Adressaten erlabten – übrigens halten Cosimas Briefe bis heute sprachliche Delikatessen bereit. Das könnte man beispielsweise an der ziemlich komplett überlieferten Korrespondenz mit dem Erbprinzen und späteren Fürsten Ernst von Hohenlohe-Langenburg zeigen, der ein sehr einflussreicher Wilhelminer war: Als zeitweiliger Regent im Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha, hoher politischer Beamter im Auswärtigen Dienst, Reichstagsmitglied und naher Verwandter diverser europäischer Herrscherfamilien bot sich dieser kunstsinnige Aristokrat für eine moralische Eroberung der ambitionierten Cosima geradezu von Haus aus an, und es wäre reizvoll zu studieren, wie es ihr gelang, aus der hingebungsvollen Pflege und unermüdlichen Neubefruchtung dieser Beziehung über Jahrzehnte hinweg diverses Kapital für ihr Bayreuth-Projekt zu schlagen. Wie man auch umgekehrt sehen muss, dass die zumeist politisch wenig liberalen Meinungsäußerungen dieses (und anderer) fürstlichen Briefpartner(s) durchaus ihrerseits Einfluss auf Cosimas Weltbild gewannen. Sie wurde also in manchem Denken und Meinen erst von anderen zu dem gemacht, was sie dann wirkungskräftig zu vermarkten verstand, ja als Gralsweisheit erscheinen ließ. Auch die Korrespondenz mit der Großherzogin Luise von Baden, der Lieblingstante Kaiser Wilhelms II., würde über diesen dialektischen Mechanismus wertvolle Aufschlüsse liefern. Und das sind nur zwei Namen aus dem sehr viel größeren Freundeskreis, der natürlich auch nicht blaublütige „Fürsten“ aus der Hochkultur ihrer Zeit mit einschloss – eine Spezies übrigens, die sie ebenfalls vortrefflich zu „nehmen“ wusste. Kurzum, diese Frau hatte Format, und man kann sehr gut nachvollziehen, dass wohlmögende Männer ihr gern einen Gefallen taten. Bei Hilmes werden dieser sozialkulturelle Nährboden und auch der psychologische Hintergrund, die das „Reich“ dieser „Herrin“ überhaupt erst ermöglichten, nicht hinreichend prägnant kenntlich gemacht. Was wohl darauf zurückzuführen ist, dass der Autor an einer tiefenhermeneutischen Durchdringung der in großen Mengen überlieferten Ego-Dokumente nicht besonders interessiert war.

So bleibt das Buch eine kurzweilige, doch nicht sehr tief bohrende Lektüre für alle diejenigen, die immer schon einmal einen unverstellten Einblick hinter die Kulissen der „Bayreutherei“ erhalten wollten, wie sie von Cosima Wagner mit soviel Grandezza ins Blendwerk gesetzt wurde. Die Aussichten, die diese Dekuvrierungen eröffnen, sind freilich nicht gerade erfreulich, denn uns begegnet neben der reaktionären Ideologisierung eines musikalischen Meisterwerkes, neben notorischem Antisemitismus und großer Geldgier vor allem eines: Kabale oder – um ein Lieblingswort des Autors zu bemühen – „Heugabelduelle“. Wir schauen in so manchen menschlichen Abgrund: von der verleugneten Homosexualität des Wagner-Sohnes Siegfried über die heiklen Ehehindernisse der Töchter, von denen eine wegen Aufmüpfigkeit sogar von der Mutter verstoßen wurde, bis hin zur mutmaßlichen Syphilis-Erkrankung von Houston Steward Chamberlain, den Schwiegermutter Cosima noch zum ideologischen Kopf des Bayreuther Clans promovierte, bevor sie sich selbst 1906 krankheitsbedingt aus der Leitfigur-Rolle verabschiedete.

Das mag alles wichtig sein zu wissen. Aber der Autor erklärt uns nicht, warum eigentlich. Das ist schade. Es gibt ja versierte Psychopathographen, die z.B. der Auffassung sind, dass Geschlechtskrankheiten in ihren Anfangsstadien zu einer nachgerade enthemmten Steigerung der Produktivität führen können.1 Mit einer solchen Hypothese ließe sich in der Tat ein ganz neuer interpretatorischer Zugriff auf das ja leider politisch nicht wirkungslos gebliebene Hetzschrifttum von Chamberlain gewinnen, in dem Hilmes immerhin „das neue Machtzentrums des Clans“ (S. 364) nach Cosima erblickt. Doch das ist mit dem Autor gesprochen „eine andere Geschichte“ (S. 435) – eine der vielen anderen Geschichten, denen noch nachzugehen wäre. Hilmes hat Recht, die Familiengeschichte der Wagners ist „eine ganz große Oper“ (S. 17), und man kann sich mit seiner durchaus zeitgemäßen, hübschen Re-Inszenierung besonders spektakulärer Akte ohne weiteres zufrieden geben – und zur nächsten Urlaubslektüre greifen. Man kann das interessante Buch aber auch als Aufforderung lesen, einzelne Probleme im verborgenen Lebenszusammenhang dieser so prominenten Familie noch intensiver zu erforschen und zu überdenken, als Hilmes dies getan hat – tun wollte.

Anmerkung:
1 Vgl. Anz, Thomas, Autoren auf der Couch? Psychopathologie, Psychoanalyse und biographisches Schreiben, in: Klein, Christian (Hrsg.), Grundlagen der Biographik, Stuttgart/Weimar 2002, S. 87-106; hier S. 90.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension