W. L. Bernecker u.a. (Hrsg.): España: Del consenso a la polarización

Cover
Titel
España: del consenso a la polarización. Cambios en la democracia española


Herausgeber
Bernecker, Walther L.; Maihold, Günther
Reihe
Bibliotheca Ibero-Americana 113
Erschienen
Anzahl Seiten
446 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frederik Schulze, Freie Universität Berlin

Dieser sorgfältig edierte Sammelband stellt aktuelle politische Entwicklungen in Spanien vor. Er ist aus einer Tagung des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit in Berlin im März 2006 hervorgegangen und enthält 18 spanischsprachige Beiträge deutscher und spanischer Autoren. Im Blickpunkt stehen die Regierungszeiten der konservativen Regierung von José María Aznar (Partido Popular [PP], 1996-2004) und der sozialistischen Regierung unter José Luis Rodríguez Zapatero (Partido Socialista Obrero Español [PSOE], seit 2004). Die überwiegend politologische Ausrichtung der Veröffentlichung spiegelt sich in der Zusammensetzung der Autoren wider, von denen acht Politologen und fünf Zeithistoriker sind. Für Historiker sind sowohl die zahlreichen zeitgeschichtlichen Darstellungen als insbesondere auch die Abschnitte zur Erinnerungspolitik und zum spanischen Umgang mit dem Franco-Regime von Interesse. Ausgangspunkt des Sammelbandes ist die Veränderung der politischen Kultur im Spanien der letzten Jahre. Der seit der „transición“, also dem Übergang vom Franco-Regime zur Demokratie, herausgebildete politische Konsens sei seit 2000 durch eine allumfassende Polarisierung in Frage gestellt worden, die sich nicht nur auf politische Auseinandersetzungen beschränke, sondern die gesamte spanische Gesellschaft erfasse. Vor allem in ihrer zweiten Amtszeit, als sie von einer absoluten Mehrheit getragen wurde, habe die Regierung Aznar die traditionellen Wege spanischer Politik verlassen. Die jetzige sozialistische Regierung habe dann viele Entscheidungen der Vorgängerregierung wieder revidiert, was die Konflikte weiter verschärft habe. Es sei von einer „crispación“ zu sprechen, also einer Verhärtung der politischen Fronten. Ziel des Bandes ist es, die Polarisierung in den verschiedenen Politikfeldern darzustellen und ihre geschichtliche Entwicklung aufzuzeigen.

Die Aufsätze sind in vier thematische Blöcke gruppiert. Die ersten fünf Beiträge widmen sich der spanischen Außenpolitik. Der Ökonom und Europapolitiker Ángel Viñas gibt zunächst einen Überblick über die Rolle Spaniens in der Europäischen Union. Walther L. Bernecker beschäftigt sich in seinem informativen Beitrag ebenfalls mit dem Verhältnis zwischen Spanien und Europa. Während sich in der zweiten Amtszeit Aznars Spanien von seiner traditionell europafreundlichen Politik entfernt habe – hier seien eine verstärkte transatlantische Ausrichtung mit Teilnahme am Irakkrieg sowie das Bestreben zu nennen, aus Spanien einen „global player“ zu machen, ohne aber beispielsweise auf Infrastrukturhilfen der EU zu verzichten – sei mit der Zapatero-Regierung wieder die Rückkehr in die Mitte der EU vollzogen worden. Spanien konzentriere sich momentan auf eine eigenständige Position gegenüber den USA und engagiere sich stärker im Mittelmeerraum. Diesen Punkt greift Eduard Soler i Lecha anhand einer Darstellung der politischen Unterschiede in den Beziehungen zu Marokko und mit einer Bewertung des EU-Mittelmeer-Gipfels in Barcelona im Jahre 2005 auf. Die Flüchtlingsproblematik im Mittelmeerraum behandelt er dabei etwas knapp. Carlos Malamud und Susanne Gratius beschreiben die spanische Außenpolitik zu den Amerikas und verorten hier einen weiteren Politikwechsel der sozialistischen Regierung, die sich wieder stärker um Lateinamerika bemühe.

Die Suche nach einem neuen spanischen Selbstverständnis bildet den zweiten Themenkomplex. Die Politologen Rogelio Alonso und Andreas Baumer beschäftigen sich mit dem spanischen Umgang mit dem Terrorismus. Alonso skizziert die Auseinandersetzung im Umfeld des 11. März 2004, als bei islamistisch motivierten Anschlägen in Madrid 191 Menschen starben und in deren Folge die konservative Regierung abgewählt wurde, da sie die Anschläge wider besseres Wissen der baskischen Separatistenorganisation ETA anzulasten versuchte. Alonso schildert außerdem die Debatte um die Friedensverhandlungen mit der ETA, die am 22. März 2006 nach einem von der ETA ausgerufenen Waffenstillstand aufgenommen wurden. Während Alonso sich eher skeptisch zu den Verhandlungen äußert, sieht Andreas Baumer die Chance für Frieden und kritisiert den auf Emotionen abzielenden ablehnenden Diskurs des Partido Popular. An den beiden Artikeln wird leider eine Schwäche der allzu nahen Zeitgeschichte deutlich, denn wesentliche Inhalte sind teilweise schon wieder überholt: Mittlerweile hat die ETA den Waffenstillstand gebrochen und Anfang Oktober 2007 wurde die Führungsspitze der ETA-nahen Partei Batasuna verhaftet. Von besonderem historischen Interesse ist die Vergangenheitsaufarbeitung in Spanien, der sich die folgenden zwei Artikel annehmen. Alberto Reig Tapia beginnt mit einer Darstellung des spanischen Umgangs mit Erinnerung an den Bürgerkrieg und die Franco-Ära. Während die 1976 verstärkt einsetzende Debatte bis 1996 im Wesentlichen eine akademische geblieben sei, habe sie sich in der Regierungszeit Aznars zu einer Debatte mit breiterer öffentlicher Beteiligung gewandelt. Tapia widmet sich dann dem revisionistischen „neofranquismo“, wobei sein Beitrag in eine allzu deutliche Abrechnung mit Aznar und Historikern wie Pío Moa mündet. In teilweise beißender Kritik stellt Tapia Aznar als Neofrankisten dar, der Geschichtsklitterung betrieben habe. Auch wenn Tapia hehre Motive leiten mögen, wird doch sein Artikel selbst unfreiwillig zu einem anschaulichen Beispiel der „crispación“. Sören Brinkmann beschäftigt sich ebenfalls mit der Erinnerungskultur in Spanien, konzentriert sich aber auf die Diskurse der Opfer und die politische Instrumentalisierung von Geschichte. Ihm geht es darum zu zeigen, dass die spanische Gesellschaft im Gegensatz zur Politik auf Konsens und ausgleichende Vergangenheitsaufarbeitung bedacht ist.

Der rote Faden der Polarisierung zieht sich auch durch Ulrich Winters Beitrag zur Kulturpolitik und durch den dritten Hauptabschnitt zur Innenpolitik. Axel Kreienbrink exemplifiziert dies für die Einwanderungspolitik, die er zunächst ab 1978 darstellt, um anschließend Integrationsprobleme und den politischen Diskurs über Einwanderung zu beschreiben. Klaus-Jürgen Nagel und Ferran Requejo thematisieren die innerspanische Debatte um Autonomie und Nation. Neben einer anregenden Einführung zur Debatte über pluralistische Gesellschaften im Allgemeinen beleuchten sie die Autonomiebestrebungen Kataloniens. Während sich die Konservativen traditionell zu einem zentralistischen Spanien bekennen würden, seien die Sozialisten gegenüber den Autonomiebestrebungen der Regionen aufgeschlossener. Der Artikel von Ludger Mees arbeitet den konservativen Diskurs heraus, der sich gegen die Ausweitung der Autonomie und gegen Verhandlungen mit der ETA wendet. Xosé M. Núñez Seixas ist der dritte Beiträger zum Thema Nation, wobei er besonders auf die seit 2004 herrschende neue „alte“ Debatte über das plurinationale Spanien und die damit einhergehenden Konsequenzen für den spanischen Nationalismus eingeht.

Der vierte und letzte Abschnitt des Sammelbandes geht explizit auf die „crispación“ und den Kampf um die öffentliche Meinung ein. Carlos Collado Seidel und Antonio Duato beleuchten die Rolle der katholischen Kirche in diesem Prozess und kommen zu dem Schluss, dass diese politisch wie gesellschaftlich an Bedeutung verliere. Sebastian Balfour sieht die Polemik des Partido Popular, dem er demokratische Defizite vorwirft, als Hauptgrund für die aktuellen Spannungen. Günther Maihold beschäftigt sich mit Gründen und Folgen der „crispación“. Der plötzliche Machtwechsel 2004 habe zu einer pointierten konservativen Oppositionsarbeit mit dem Ziel der Mobilisierung der eigenen Klientel geführt. Damit habe sich die politische Gewichtung hin zu den Polen und weg von der politischen Mitte bewegt, was auch gesellschaftlich spürbar sei. Maihold spricht von einer mit Provokationen durchsetzten Machtprobe. Ähnlich einzuordnen ist der abschließende Aufsatz von Carlos Martínez, der den Kampf um öffentliche Präsenz und Orte vorstellt.

Das Verdienst des vorliegenden Sammelbandes ist es, einen umfassenden Überblick über die derzeitige politische Polarisierung in Spanien zu vermitteln. Der Anspruch, die „crispación“ in allen Politikfeldern zu beleuchten, wird eingelöst. Die politische Verhärtung wird als bedeutende Neuerung in der spanischen Politik erkannt und von den Autoren als Belastungsprobe für die Demokratie gesehen. Die Verantwortung dafür geben sie mehrheitlich der konservativen Partei. Es wird aber die Hoffnung geäußert, dass es sich um eine temporäre Verwerfung handele. Die Sprachbarriere wird freilich dazu führen, dass der Band vornehmlich spanische Leser sowie das spanischsprachige politologische Fachpublikum finden wird, obwohl einige der Befunde sicher auch darüber hinaus von Interesse wären. Kritisch zu bewerten ist, dass einige Beiträge in einen allzu essayistischen und wertenden Stil verfallen, zuweilen methodische Reflexion vermissen lassen und mit einigen persönlichen, teilweise bereits veralteten Prognosen nicht wirklich überzeugen können.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension