G.-R. Stephan u.a. (Hgg.): Die Parteien und Organisationen der DDR

Cover
Titel
Die Parteien und Organisationen der DDR. Ein Handbuch


Herausgeber
Stephan, Gerd-Rüdiger; Herbst, Andreas; Krauss, Christine; Küchenmeister, Daniel; Nakath, Detlef
Erschienen
Anzahl Seiten
1487 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Roesler

Dass die DDR nur eine Fußnote in der deutschen Geschichte werden würde, hat 1990 mancher gedacht und gesagt, darunter nicht nur jene, die den ersten Versuch auf deutschen Boden, eine sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten, am liebsten ganz aus dem Gedächtnis der Deutschen gestrichen hätten. Es kam anders. Die Öffnung der Archive von Regierung, SED und Staatssicherheitsdienst über den gesamten Zeitraum der Existenz der DDR hat dazu geführt, dass Dutzende von Büchern und Hunderte von wissenschaftlichen Artikeln über die Entwicklung der zweiten deutschen Nachkriegsrepublik erschienen sind, während das Interesse an der Aufarbeitung der Geschichte der (Alt-)Bundesrepublik, u.a. durch fehlenden Archivzugang zur zweiten Hälfte ihres Bestehens, deutlich hinter dem an der DDR zurücksteht.

Akten sind – jeder Historiker, der sich mit dieser Art Quellenstudium befasste, hat das zu seinem Leidwesen erfahren – in der Regel von Insidern verfasst und für Insider geschrieben. Die für die Einschätzung der archivierten Vorgänge notwendige Kenntnis der damals handelnden Personen und genutzten Strukturen, die den Verfassern von Aktennotizen und Denkschriften selbstverständlich sehr gut bekannt waren, hat sich der Historiker erst aufwendig anzueignen. Erst dann lässt sich in der Regel die Bedeutung dieser oder jener interessanten Aussage vollständig für die Geschichtsforschung erschließen.
Wissenschaftliche Hilfsmittel, die den Forscher über beides unterrichten, sind ihm in dieser Situation mehr als willkommen. Die Zeitersparnis, die sie ihm bringen, weiß er zu würdigen. Und so wird er auch die vorliegende Neuerscheinung prinzipiell begrüßen, sich aber auch fragen, was das dickleibige Werk ihm gegenüber drei anderen Publikationen, die er womöglich bereits in Benutzung hat, Neues bringt. Teilweise von denselben Herausgebern ist 1994 erschienen „So funktionierte die DDR“1 und 1997 „Die SED. Ein Handbuch“2. Im gleichen Jahr wie der Doppelband zum Funktionieren der DDR erschien im Auftrage der ersten DDR-Enquete-Kommission eine Überblicksdarstellung über Parteien und Organisationen in der DDR.3

Was neu ist gegenüber den genannten Werken, lässt sich durch eine Beschreibung des Inhaltes des vorliegenden Nachschlagewerkes am einfachsten erklären: Das Handbuch ist nach inhaltlichen und strukturellen Gesichtspunkten in neun Abschnitte untergliedert.

Im ersten Teil behandeln zehn Autoren die Entwicklung, die Funktion sowie die Wirkungsgeschichte der Parteien und Organisationen im politischen System der DDR. Andreas Malycha schreibt über die Transformation des Parteiensystems 1945-1949, Wilfriede Otto charakterisiert die Grundzüge dieses Systems bis 1989/90. Kurt Schneider und Detlef Nakath beleuchten Rolle und Funktion der Blockparteien, Ulrich Mählert die der Massenorganisationen. Parteien und Massenorganisationen als Sozialisationsinstanzen untersucht Thomas Koch, deren staatsrechtliche Stellung Volkmar Schöneburg. Den Vergleich zum durchaus unterschiedlichen) Parteiensystem anderer osteuropäischer Länder hat Karl-Heinz Gräfe untersucht und Mathias Wagner das Kadernomenklatursystem der SED, der Blockparteien und der Massenorganisationen. Thomas Klein hat "Die neuen politischen Vereinigungen des Herbstes 1989 und ihre Wendungen" beleuchtet und Gero Neugebauer sich der Transformation des ostdeutschen Parteiensystems seit 1989 gewidmet.

Der Rezensent würde in nicht geringe Schwierigkeiten geraten, sollte er versuchen, die einzelnen Beiträge differenziert zu bewerten. Sie sind allesamt nicht nur informativ, sondern in Komposition und Problemorientierung wohldurchdacht und von erfreulicher Aussagenschärfe. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat das damit zu tun, dass wirklich nur hervorragende Leute ihres Fachs zu Wort gekommen sind, Personen auch, die wissen, mit welchen Worten und Wendungen sie ihr Wissen an den Mann zu bringen haben.

Der zweite Teil enthält eine Übersicht über Entstehung, Rolle und Wirken der Parteien der DDR. Behandelt werden die spezifische Parteigeschichte, die Widersprüche zur und Auseinandersetzungen mit der SED, deren „führende Rolle“ die Blockparteien früher oder später akzeptierten. Diese Parteien – CDU, LDPD, DBD und NDPD - sind in keinem der Nachschlagewerke bisher so knapp und doch sorgfältig portraitiert worden wie in diesem Band. Hinzu kommt die Behandlung der bis 1961 in Ostberlin zugelassenen SPD bzw. SDA, die bisher bei der Betrachtung des Parteienspektrums der DDR kaum Berücksichtigung fanden.

Der dritte Teil des vorliegenden Nachschlagewerks enthält die in der Volkskammer der DDR vertretenen Massenorganisationen, von denen der FDGB und die FDJ wohl die für die Analyse von DDR-Geschichte wichtigsten waren. Im vierten Teil sind die nicht im DDR-Parlament vertretenen Massenorganisationen zusammengefasst, von der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) bis zur Volkssolidarität.

Die Beiträge über Parteien und Massenorganisationen der DDR sind einheitlich gegliedert: Der Einführung mit Hinweisen auf den aktuellen Forschungsstand folgen ein geschichtlicher Überblick, ein organisatorischer Aufriss sowie die Grundzüge und Hauptinhalte der Tätigkeit. Abschlossen wird die Vorstellung der Partei bzw. Organisation mit einer Kurzchronik.

Außer den zumindest dem Namen nach generell geläufigen Massenorganisationen gab es Organisationen, Verbände und Vereine, von denen im fünften Teil zwei Dutzend vorgestellt werden. Berücksichtigt wurden der Bibliotheksverband ebenso wie der Verband der Freidenker, die Liga für Völkerfreundschaft und das Nationale Olympische Komitee. Generell war ihre Mitgliederzahl begrenzt, doch ist die Mitgliederzahl wohl nicht in jedem Fall das Kriterium für die Unterbringung der Organisation in Teil 5 gewesen, wie die Herausgeber in der Einleitung glauben machen wollen. Denn eine der „sonstigen“ Organisationen, der VKSK - Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter der DDR - hatte Ende der 80er Jahre nicht nur 1,5 Mio. Verbandsmitglieder, sondern spielte auch im Leben von weiteren 3,5 Millionen Bürgern eine nicht zu unterschätzende Rolle. Im sechsten Teil präsentiert Thomas Klein zwölf Bewegungen bzw. Parteien der Wende, von denen einige, wie etwa die Deutsche Forumpartei oder die Deutsche Soziale Union, heute schon fast der Vergessenheit anheim gefallen sind.

Im siebenten Teil hat Andreas Herbst 1000 Kurzbiographien des Führungspersonals der zuvor behandelten Parteien und Organisationen vorgestellt. Der achte Teil schließlich, vor dem sorgfältig zusammengestellten, schon in früheren Bänden entwickelten Apparat (Archivübersicht, Auswahlbibliographie, Abkürzungsverzeichnis, Personenregister) angesiedelt, enthält „Schlüsseldokumente aus der Geschichte des Systems der Parteien und Organisationen der DDR“. Den gelernten Historiker wird dieser Teil besonders interessieren, erhält er hier doch den Direktzugang zu Originaldokumenten, von denen die Herausgeber versichern, dass diese nur schwer zugänglich seien.

Auffällig ist die unterschiedliche „Dokumentendichte“ je Phase der DDR-Geschichte - 11 für die Nachkriegsjahre bis zur Gründung der DDR, 10 für den Zeitraum bis zur Errichtung der Mauer und auch für die 60er Jahre, aber lediglich sechs, die die 70er bzw. 80er Jahre behandeln. Gab es in der Honeckerära so wenig „Schlüsseldokumente“ oder sind diese heute nur besser zugänglich als diejenigen der Ulbrichtzeit? Die Begründung der Herausgeber lässt beides zu und den Rezensenten rätseln.

Begrüßen wird der Leser auf jeden Fall, dass 13 Dokumente der „Wende“ gewidmet sind, vom der „Böhlener Plattform“ von Anfang September 1989 bis zur faktischen Sterbeurkunde einer wie auch immer reformierten DDR, dem „endgültigen Ergebnis der Volkskammerwahlen vom 18. März 1990“.

Fast zum Schluss noch eine kleine Bemerkung - nicht ganz am Rande. Schneider und Nakath sprechen mehrfach von einer Transformationsfunktion der Blockparteien ( u.a. S. 97, S.99). Sollte damit versucht werden, das Wort Transmission durch ein anderes zu ersetzen, so würde ich das bedauern. Mit dem Begriff Transformation ist nun einmal der Übergang von einem politischen, wirtschaftlichen usw. System zum anderen, wie er z.B. 1990 stattfand, belegt worden. An der Transformation von der "sozialistischen Demokratie" zur "bürgerlichen" haben sich auch einige ehemalige "Blockparteiler" aktiv beteiligt, andere aber ebenso hartnäckig ihre Teilnahme verweigert. Es wäre schön, wenn man beim alten Wort - Transmission - bliebe. Nicht nur wegen Lenin, sondern wegen der notwendigen begrifflichen Klarheit.

Insgesamt, das hat hoffentlich schon diese kurze Revue seiner Bestandteile erkennen lassen, lohnt sich der Band für jeden, der sich grundlegend darüber informieren will, wie die DDR wirklich funktionierte. Er lohnt sich noch mehr für denjenigen, der über die DDR forscht. Ein Dankeschön an Herausgeber, Autoren, Verlag und Sponsoren dieses Unternehmens ist angebracht.

Anmerkungen:
1 Andreas Herbst/Winfried Ranke/Jürgen Winkler, So funktionierte die DDR. Lexikon der Organisationen und Institutionen, Bd. 1 und 2, Reinbek 1994.
2 Andreas Herbst/Gerd-Rüdiger Stephan/Jürgen Winkler, Die SED. Geschichte – Organisation - Politik. Ein Handbuch , Berlin 1997.
3 Rüdiger Henke, Im Dienste der Staatspartei. Über Parteien und Organisationen der DDR, Baden-Baden 1994.

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