D. Mussgnug: Alliierte Militärmissionen

Titel
Alliierte Militärmissionen in Deutschland 1946-1990.


Autor(en)
Mussgnug, Dorothee
Reihe
Zeitgesch. Forsch. 9
Erschienen
Anzahl Seiten
247 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lutz Neumann

Dorothee Mußgnug legt hiermit die erste kohärente wissenschaftliche Studie über die Geschichte der Alliierten Militärmissionen in Deutschland von 1946-1990 vor. Am Beispiel der insgesamt sechs Militärmissionen (drei westliche in der DDR, drei sowjetische in der Bundesrepublik) zeichnet sie die Entwicklung des Kalten Krieges in Deutschland nach.
Dabei sind die von ihr ausgewählten Details im Missionsalltag Nachkriegsdeutschlands mindestens so interessant wie die damit verbundenen Erörterungen der verfassungsrechtlichen Fragen oder der internationalen Konstellationen im Ost-West-Konflikt.

Ursprünglich hatten bilaterale Militärabkommen zwischen den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges die Grundlagen für die Einrichtung der Militärmissionen gesetzt. Die zweiseitigen Abkommen aus den Jahren 1946 und 1947 sind im Anhang des Buches in der Originalsprache dokumentiert (S. 230-235). Mit Sollstärken von nicht mehr als drei Dutzend Personen, die in den Abkommen genau festgelegt und aufgeschlüsselt waren, besaßen die Militärmissionen ausschließlich Aufgaben in der Nachrichtenbeschaffung. Zur Erfüllung dieser Aufgaben konnten sich die akkreditierten Angehörigen prinzipiell frei in ihrer Besatzungszone bewegen. Nur besonders gekennzeichnete Gebiete waren von einem Besuch ausgenommen oder durften erst nach Anmeldung betreten werden. Wenn also der Charakter der Militärmissionen in einem Wort zusammengefasst werden soll, so dürfte militärisches Frühwarnsystem am treffendsten sein. Mußgnug gibt in ihrer Zusammenfassung folgende Einschätzung: „In den Zeiten des Kalten Krieges betrieben sie eine Inspektionsrolle, die sie nach dem Mauerbau besonders aggressiv wahrnahmen und die später durch Absprachen größeren Stils und in der Form militärischer Manöver-Beobachter daneben auch auf anderer Ebene institutionalisiert wurden.“(S. 229)

Mit ihren Privilegien und Immunitäten galten die Militärmissionen als exterritoriales Gebiet.
So wurden sie bis zu ihrer Auflösung Anfang der 1990er Jahre auch geführt. Die Missionsleiter waren beim jeweiligen Hauptquartier der Besatzungszone akkreditiert. In Anbetracht der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland nach ihrer Bewaffnung 1956 und der Herstellung diplomatischer Beziehungen auch zu den Siegermächten nicht über den Text der Abkommen unterrichtet wurde und sich die Militärmissionen, respektive ihre Angehörigen, nicht bei ihrem „Gastland“ akkreditierten (gleiches galt für die DDR), tritt der Nachhall bedingungsloser Kapitulation und der gesamtdeutsche Vorbehalt der Alliierten deutlich hervor.
Eingebettet in das Vertragswerk des Deutschlandvertrages von 1952 und die Pariser Abkommen von 1954/55 wurden die Vorbehaltsrechte u. a. mit den Militärmissionen auch nach der Aufhebung des Besatzungsstatuts und der Alliierten Hohen Kommission fortgeschrieben. Von daher ist eine Untersuchung der Alliierten Militärmissionen nicht nur von einem institutionengeschichtlichen Blickpunkt her interessant. Vielmehr noch läßt sich mit ihr die innen- und außenpolitische Verfassung des geteilten Deutschlands nachvollziehen.

Dies zeigte sich z. B. bei der Abwicklung von Verkehrsunfällen. Der deutschen Polizei und Strafverfolgungsbehörden wurde schon bei diesen geringfügigen Anlässen vorenthalten, ihren Aufgaben nachzugehen. Selbst bei Unfällen, an denen Angehörige der Militärmissionen beteiligt waren und Schaden auf deutscher Seite verursachten, blieb nur der Anruf beim jeweiligen Hauptquartier. Missbrauch lag bei dieser Art von Immunität nicht fern. Zwischen unsicheren und zaghaften deutschen Stellen auf der einen Seite und dem Spannungsfeld der Alliierten andrerseits blieben ein ums andere Mal deutsche Bürger ohne Entschädigung (S. 86-95).

In einer derart konfliktbeladenen Region wie es Mitteleuropa zu dieser Zeit war, spiegelten sich im Alltag der Missionen die verschiedenen Stadien des Kalten Krieges. Wenn es im Alltag dadurch gelegentlich „heiß“ wurde, drangen Informationen auch in die Öffentlichkeit.
Weniger bekannt ist, dass die Angehörigen der westalliierten Militärmissionen gleich mehrmals in Anschläge, Schießereien und organisierte Verkehrsunfälle verwickelt wurden. Als zu Beginn der 1980er Jahre der Staatssicherheitsdienst der DDR dazu überging, entsprechende Einsatzpläne auszuarbeiten und zu perfektionieren, kam es auch zu Todesfällen. Davon blieb die große Politik nicht unbelastet. Die Reziprozität wird gekonnt dargestellt.

Mußgnug versteht ihre Studie nicht als „umfassende Geschichte dieser Militärmissionen“
(S. 11). Für eine wirklich umfassende Betrachtung ist es noch zu früh. Soweit die Aktenbestände bekannt sind, kann gesagt werden, dass die meisten von ihnen noch nicht freigegeben sind. Der historische Umstand der Auflösung der DDR kam aber auch dieser Untersuchung zugute: Die Hinterlassenschaften der Staatssicherheit sind für Forschungen über die Militärmissionen aufschlussreich und wurden von Mußgnug bei der Gauck-Behörde (BstU) eingesehen. Ausgehend von dieser Quellensituation wundert es also nicht, dass sie den überwiegenden Teil ihrer Arbeit den Westalliierten Militärmissionen in Potsdam und dem Umgang der DDR mit ihnen gewidmet hat (S. 96-222). Nur wenige Seiten sind den sowjetischen Militärmissionen in der Bundesrepublik (S. 81-95) vorbehalten. Leider bleiben in der Studie die Beziehungen der westalliierten Missionen, die sie untereinander pflegten, unbeachtet. Das wechselhafte Verhältnis Frankreich und USA dürfte hier von gewissem Interesse sein. Dem liegt aber ein Quellenproblem zu Grunde. Auf der vorliegenden Informationsbasis kann Mußgnug jedoch zweifellos eine umfassende Bearbeitung des Themas attestiert werden.

Der Zeitrahmen der Arbeit reicht von Anfang bis Ende der Alliierten Militärmissionen. Das Ende war nolens volens mit der Wiedervereinigung erreicht. In Kenntnis der Reserviertheit Großbritanniens bezüglich der Einheit wundert es kaum, dass der britische Vertreter für Nachfolgeorganisationen plädierte (S. 224). Mit dem „Zwei-plus-Vier Vertrag“ wurde die Wiedervereinigung besiegelt. Für dieses historische Ereignis war es von übergeordneter Bedeutung, wann und wie die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges die bis in das Jahr 1990 (bzw. 1991 im Fall der Sowjetunion) fortbestehenden Vorbehaltsrechte an Deutschland abgaben. Der Vertrag trat am 15. März 1991 in Kraft und brachte somit unter anderem das Ende der Militärmissionen in Deutschland.

Ein wenig schmeichelhaft ist die Bezeichnung des Vertrages (zwei deutsche Staaten-plus-vier Alliierte) ohnehin. Auch im Hinblick auf das Beispiel der Militärmissionen geschah der Lauf der Dinge eher im Sinne eines „Vier-plus-Zwei“. Dorothee Mußgnugs quellenbasierte Darstellung über die Militärmissionen legt dies nahe. Die Souveränität des geteilten Nachkriegsdeutschlands ging bis zur Wiedervereinigung nur soweit wie die Interessen der Alliierten nicht tangiert waren. Die Grenzen hierbei waren teilweise eng gesteckt.

Die vorliegende Publikation dürfte bis zu einer wesentlichen Verbesserung der Quellensituation den Stellenwert eines Referenzwerkes einnehmen. Dies resultiert einerseits aus der Breite und Tiefe des ausgewerteten Materials und andrerseits aus den Fragestellungen, die bei aller Komplexität des Themas den Überblick bewahren.

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