A. Kaminsky: Wohlstand, Schönheit, Glück

Cover
Titel
Wohlstand, Schönheit, Glück. Kleine Konsumgeschichte der DDR


Autor(en)
Kaminsky, Annette
Reihe
Beck'sche Reihe 1410
Erschienen
München 2001: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
175 S.
Preis
€ 9,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manuel Schramm, Sonderforschungsbereich 417, Universität Leipzig

In den Forschungen zur DDR-Konsumgeschichte überschneiden sich zwei Konjunkturen gegenwärtiger deutscher Geschichtsschreibung: einmal die DDR-Geschichtsschreibung, deren Aufschwung sowohl der Öffnung der Archive zu verdanken ist als auch dem Interesse, nach dem Ende der DDR Bilanz zu ziehen, und zweitens die Konsumgeschichte, die nach den Spezialisten für die Frühe Neuzeit nun auch vermehrt die Historiker des 20. Jahrhunderts beschäftigt. Die Konsumgeschichte ist mittlerweile zu einem der zentralen Felder der neuen Kulturgeschichte geworden, die sich in Ergänzung, aber nicht im Gegensatz zur Gesellschaftsgeschichte mit Wahrnehmungen und Deutungen von Individuen und Gruppen, mit Erinnerung, Diskursen, Symbolen und Ritualen beschäftigt. Gerade der DDR-Geschichtsschreibung, die sich lange Zeit (vielleicht zu lange) fast ausschließlich mit der Frage nach dem Ausmaß der „Durchherrschung“ der DDR-Gesellschaft beschäftigt hat, kann dieser neue Ansatz nur gut tun. Bisher gab es neben vielen Publikationen zu Teilbereichen der DDR-Konsumgeschichte 1 nur die Synthese von Ina Merkel 2, deren Buch aber schwerpunktmäßig die 1950er und besonders die 1960er Jahre behandelt, und die späteren Jahre nur gelegentlich streift.

Das Buch kommt also zu einem günstigen Zeitpunkt, da einerseits die Forschung weit genug gediehen zu sein scheint, um eine gehaltvolle Synthese zu ermöglichen, andererseits die populäre „Ostalgie“-Welle noch nicht verebbt ist. Als Taschenbuch zu einem moderaten Preis zielt das Werk ohnehin auf ein größeres Publikum als nur die einschlägig arbeitenden Wissenschaftler. In der Tat kam die Idee zu dem Buch von der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung, von deren Homepage (www.thueringen.de/de/lzt) man sich eine 102 Seiten lange Kurzfassung des Buches herunterladen kann. Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Berlin und hat sich auf dem Gebiet der DDR-Konsumgeschichte mit einer Studie über den Versandhandel profiliert 3.

Konsumgeschichte ist bei Kaminsky primär politische Geschichte, da sie die Geschichte der DDR als „Geschichte von konsumpolitischen Entscheidungen, die in direkter Verbindung zur politischen Geschichte standen“ (10) erzählt. Besonders betont sie die systemsprengende Kraft des Konsums bzw. der durch Versorgungsmängel hervorgerufenen Unzufriedenheit. Das ist zweifelsohne legitim, allerdings besteht bei einem solchen Ansatz die Versuchung, die Geschichte der DDR ausschließlich vom Ende her zu schreiben. Der Hauptteil des Buches ist in 5 chronologische Abschnitte eingeteilt, deren Periodisierung sich vorwiegend an politischen Ereignissen orientiert (Mauerbau, VIII. und X. Parteitag). Unklar bleibt, warum der erste Abschnitt 1954 endet und nicht mit dem 17. Juni 1953 und dem „neuen Kurs“, dem sie einen hohen Stellenwert beimisst.

Nicht immer vermag dieses Gliederungsprinzip zu überzeugen. So findet der Leser einen Überblick über den bis in die 1970er Jahre existierenden Versandhandel im Kapitel über die zweite Hälfte der 1950er Jahre und Informationen über die in den 1960er Jahren gegründeten „delikat“-Läden erst im Kapitel über die 1980er Jahre. In sich sind die einzelnen Kapitel nicht systematisch gegliedert, aber Kaminsky versucht jeweils, die Konsumpolitik der Regierenden, die Versorgungslage und Verbreitung der Konsumgüter sowie die Reaktionen der Bevölkerung abzuhandeln. Das Buch enthält somit auch viele Informationen für diejenigen, die sich der DDR-Konsumgeschichte nicht aus einer primär politischen Perspektive nähern. Es zeichnet ein Bild des DDR-Konsums, das von zahlreichen Mängeln, aber auch von zunehmendem Wohlstand geprägt war. Im empirischen Teil erzählt Kaminsky eine differenziertere Geschichte als es die Einleitung oder besonders der klischeehafte Buchrückentext („Die DDR taumelte von einer Versorgungskrise in die nächste“) suggeriert, der hoffentlich nicht von der Autorin zu verantworten ist.

Natürlich ist bei der Auswahl der Beispiele der Versandhandel, das Spezialgebiet der Autorin, überrepräsentiert. Insgesamt tut das der Qualität der Darstellung aber keinen Abbruch. Das Buch bietet einen sehr flüssig geschriebenen Überblick über den aktuellen Forschungsstand. Abbildungen und anschauliche, bisweilen zum anekdotischen tendierende Beispiele dominieren hier gegenüber Zahlen und Tabellen. Daher eignet es sich vor allem als Einführung, und als solche ist es wohl auch gedacht. Dem Kenner werden allerdings weder wesentliche neue Informationen vermittelt noch neue (oder überhaupt irgend welche) allgemeine Thesen präsentiert. Diese mangelnde Anbindung an systematische Konzepte wie z.B. Massenkonsum, Konsumgesellschaft und –kultur, Amerikanisierung und Sowjetisierung ist wohl die größte Schwäche des Buches. Das Buch endet dann auch mit einem Epilog, der einen kurzen Ausblick über das Ende der DDR hinaus auf die Transformationskrise der 1990er Jahre wirft, deren Ursache sie in der DDR-Misswirtschaft und einer „sträflichen Vertrauensseligkeit in den Westen“ (161) sieht. Fazit: Annette Kaminsky ist ein gut lesbarer Überblick gelungen, der aber eine theoretisch fundierte Synthese nicht ersetzen kann.

Anmerkungen:
1 Z.B. Simone Tippach-Schneider: Messemännchen und Minol-Pirol. Werbung in der DDR, Berlin 1999; Christian Härtel/ Petra Kabus (Hg.): Das Westpaket. Geschenksendung, keine Handelsware, Berlin 2000.
2 Ina Merkel: Utopie und Bedürfnis. Die Geschichte der Konsumkultur in der DDR (= Alltag & Kultur Bd. 6), Köln 1999.
3 Annette Kaminsky: Kaufrausch. Die Geschichte der ostdeutschen Versandhäuser, Berlin 1998.

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