J. Fried/J. Süßmann (Hg.), Revolutionen des Wissens

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Titel
Revolutionen des Wissens. Von der Steinzeit zur Moderne


Herausgeber
Fried, Johannes; Süßmann, Johannes
Erschienen
München 2001: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
193 S.
Preis
€ 9,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Achim Landwehr, Lehrstuhl fuer Europaeische Kulturgeschichte Universitaet Augsburg

Wissen ist zu einem Problem geworden. Kaum meint sich der in den Medien geführte Diskurs mit dem Schlagwort von der Wissensgesellschaft in die zentralen Fragen des kommenden Jahrhunderts hineinkatapultiert zu haben, tauchen schon unübersehbare Schwierigkeiten auf, denn: Was ist Wissen? Wendet man sich auf der Suche nach Antworten der Wissenschaft zu, die in diesem Bereich ein gewisses Monopol zu besitzen scheint, da sie schließlich Wissen schafft, wird die Lage eher diffuser als klarer. Von idealistischen Bestimmungen des Wissens, die es von Glauben und Meinung zu trennen versuchten, ist kaum noch etwas zu vernehmen. Es ist weniger die Frage nach den inhaltlichen Bestimmungen als vielmehr diejenige nach entsprechenden sozialen Funktionen, die bei der Erforschung des Wissens momentan im Vordergrund zu stehen scheint. „Wissen ist ein eigentümlich Ding“ (8), wie die beiden Herausgeber Johannes Fried und Johannes Süßmann feststellen, und versuchen diesem Phänomen mit einem Sammelband zu Leibe zu rücken, der Vorträge aus den Jahren 1998 und 1999 versammelt, gehalten in Frankfurt/Main im Zusammenhang der Eröffnung des Forschungskollegs „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel“.

Was also kann die (Geschichts-)Wissenschaft vom Wissen wissen? Es ist insbesondere die Einleitung der Herausgeber, die hier im Hinblick auf eine mögliche Klärung hervorgehoben zu werden verdient. Denn auch wenn die entscheidenden Anregungen in der Auseinandersetzung mit dem Thema zweifelsohne aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte kamen und weiterhin kommen, so bedeutet dies doch keineswegs, dass man allzu eilfertig das Thema des Wissens mit demjenigen der Wissenschaft gleich setzen kann. Genau diesen Eindruck vermittelt jedoch ein großer Teil der jüngeren Literatur zur Geschichte des Wissens, die Wissen scheinbar nur in der Wissenschaft zu entdecken vermag. Nimmt man jedoch Einsichten der Wissenssoziologie Ernst, wonach zunächst einmal all das als Wissen in den Blick genommen werden muss, was für sich selbst den Wissensstatus reklamiert, dann ist eine historische Erforschung des Wissens gezwungen, das Thema in seiner Vielfalt zum Gegenstand zu machen.

Genau diese Verkürzung verstehen Johannes Fried und Johannes Süßmann in ihren einleitenden Bemerkungen zu umgehen. Darüber hinaus ziehen sie auch die notwendigen Schlussfolgerungen, die sich aus einer solchen Prämisse ergeben, indem sie deutlich machen, dass Wissen kein überzeitlicher und überindividueller Gegenstand ist, sondern ein gesellschaftliches Produkt und Konstrukt. Wenn sich Wissen nicht in seiner Statik beschreiben lässt – weil ein solcher fixierter Ist-Zustand niemals erreicht wird –, dann muss es folgerichtig in seiner historischen und sozialen Dynamik untersucht werden. Die Geschichte des Wissens muss sich daher auf Fragen konzentrieren wie den Zusammenhang von sozialem Wandel und der Verteilung des Wissens, die Konkurrenz verschiedener Wissensformen und die Kontrolle über das Wissen und die damit in Zusammenhang stehenden Medien.

Im Zusammenhang dieser Dynamik wollen sich die Herausgeber gemeinsam mit den Autoren des Bandes vor allem auf die „Revolutionen des Wissens“ konzentrieren, das heißt auf diejenigen Akzentuierungen in der Wissensgeschichte, die einer nachträglichen Betrachtung aufgrund ihres umwälzenden Charakters besonderer Beachtung wert sind. Wo solche Revolutionen zu markieren sind, wird von Fried und Süßmann nur in wenigen Beispielen angedeutet. Jedoch erweist sich dieser Terminus im Zusammenhang einer Geschichte des Wissens als nicht ganz unproblematisch. Denn da die Wissensgesellschaft keine Erfindung des 21. Jahrhunderts ist, sondern bereits seit Jahrmillionen existiert, stellen die Herausgeber zurecht fest: „Von den Klopfwerkzeugen zum Computer, der Nahrungszubereitung zur Gentechnik – Wissensrevolutionen in Serie!“ (13). Wenn jedoch überall Revolutionen zu entdecken sind, welchen Zweck erfüllt dieser Begriff dann noch?

Auch auf die einzelnen Aufsätze lässt sich ein solcher Begriff der Wissensrevolution nur mit Mühe anwenden. Colin Renfrew befasst sich beispielsweise mit der Sesshaftwerdung des Menschen vor ca. 10.000 Jahren, die er als einen entscheidenden Schritt in Richtung auf eine komplexe Lebensweise ansieht. Diese „Menschheitsrevolution“ (23), wie er sie benennt, zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass der Mensch sich intensiver, weil materieller und substanzieller mit seiner Umwelt auseinander setzte. Inwiefern lässt sich jedoch sinnhaft von einer langfristigen Entwicklung als „Revolution“ sprechen, wenn dieser Prozess unmittelbar von der nächsten anzusetzenden „Revolution“ – zum Beispiel der Entwicklung von Sprache und Schrift – überlagert wurde. Revolution in Permanenz – welchen heuristischen Wert kann ein solcher Begriff noch haben?

Doch abgesehen von diesem Punkt machen die Beiträge des Bandes auf die breit gefächerte historische und soziale Bedeutung des Wissens in seinen vielfältigen Formen aufmerksam. So ist Renfrew der wichtige Hinweis zu verdanken, dass die gemeinhin angenommene Reihenfolge von Konzept und Symbol in manchen Bereichen umgekehrt werden müsse. Gerade aufgrund der materiellen Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt entwickelten sich zuweilen die Gegenstände und Materien vor den Konzepten, die damit in Verbindung gesetzt werden. Das Konzept des Geldes ist laut Renfrew erst im Anschluss an die Verwendung von Wertgegenständen entwickelt worden – und damit hängt unweigerlich ein verändertes Wissen von den Dingen zusammen.

Einen Überblick über die Formen der Weitergabe des Wissens gibt Jack R. Goody in seinem Beitrag. Ausgehend von der Tatsache, dass der Fortbestand von Gesellschaften unweigerlich von der Weitergabe des Wissens abhängt, liefert er einen Querschnitt von frühen oralen Kulturen bis ins Computerzeitalter. Das Ergebnis ist insgesamt wenig überraschend, wenn Goody von der Wissensvermittlung innerhalb von Familienverbänden zur personenunabhängigen Übertragung durch Schrift übergeht, um im Anschluss die Auswirkungen von Buchdruck, Massenmedien und Digitalisierung zu diskutieren. Eine ähnlich weite Zeitspanne legt Jan Assmann zurück, der die Rolle Ägyptens in der Wissenskultur des Abendlandes in den Blick nimmt. Auch wenn dieser Aufsatz im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen Assmanns kaum Neues bietet, so beeindruckt doch einmal mehr die Gelehrtheit und Brillanz der Darstellung. Ausgehend von der in Ägypten vorherrschenden kosmologischen Wissensform, die sich auf eine Welt-In-Gang-Haltung bezog, verfolgt Assmann den Weg, den dieses Wissen in seiner – vermeintlich von Hermes Trismegistus – kodifizierten Form durch Europa nahm. Wichtige Stationen sind dabei neben Griechenland und dem Mittelalter vor allem die Renaissance. Marsilio Ficino, der diese hermetischen Texte übersetzte, sah in ihnen ein Urwissen, das der Bibel wie der griechischen Philosophie gleichermaßen als Bezugspunkt gedient hatte. Hier fand sich nach seinem Dafürhalten der gemeinsame Wissensschatz von Christen, Juden und Heiden wieder. Ähnlich umwälzend wirkte die Wiederentdeckung von Abhandlungen über die Hieroglyphik im 15. Jahrhundert, denn darin glaubte man die Urschrift entdeckt zu haben, mit der die Menschheit in ihren Anfängen geschrieben hatte. Diese Begeisterung für und Rezeption von ägyptischen Wissensformen hielt bis weit ins 18. Jahrhundert an, bevor die Frage nach dem einen Ursprung aller Kulturen zu verblassen begann, um stattdessen Überlegungen Platz zu machen, die das jeweils individuelle „Wesen“ verschiedener Kulturen betonten.

In unmittelbarem Zusammenhang damit ist der Beitrag von Arnold Angenendt zu sehen, der der Bedeutung einer erhöhten Transzendenz und einer vertieften Ethisierung in der Entwicklung der christlichen Religion nachgeht. Durch derartige fundamentale Neuerungen im religiösen Wissen wurden entscheidende Veränderungen herbeigeführt. Erstens wurde durch die Ethisierung der Religion die kosmisch-hierarchische Himmelsordnung umgestürzt; zweitens erschienen mit dem Durchbruch der Transzendenz die Götter nicht mehr in anthropomorpher Form, sondern wurden vergeistigt und gewissermaßen bedürfnislos; drittens kam es zu einer Trennung zwischen dem Äußeren und dem Inneren des Menschen. Stärker auf die unterschiedliche Nutzung eines bestimmten Wissens in verschiedenen Gesellschaften konzentriert sich Geoffrey Lloyd. Weniger von Revolutionen denn von Veränderungen sprechend, betrachtet er den unterschiedlichen Einsatz des Studiums der Sterne in den alten Kulturen der Babylonier, Chinesen und Griechen. Während in Babylon dieses Studium dazu dienen sollte, Erkenntnisse über das künftige Geschick des Königs und des Staates zu gewinnen, hatte die frühe chinesische Astronomie ähnlich staatstragende Wirkung, da der Herrscher unmittelbar verantwortlich war für die Harmonie zwischen Himmel und Erde. Dementsprechend wurde auch das gesamte Leben auf die Ergebnisse der Sterndeuter abgestimmt. Gänzlich anders sah die Situation im antiken Griechenland aus, wo sich Astronomie und Astrologie keiner staatlichen Unterstützung erfreuten. Darum mussten die in diesem Bereich Tätigen in einen Konkurrenzkampf eintreten, in dem derjenige Ruhm und Schüler (und damit auch seinen Lebensunterhalt) gewann, der seine Ergebnisse mittels strenger Beweisführung möglichst unangreifbar machen konnte.

Mit einem sehr großen zeitlichen und inhaltlichen Sprung befassen sich die beiden abschließenden Beiträge von John McDowell und Steven Aschheim mit den wissenschaftstheoretischen Möglichkeiten einer Erkenntnistheorie, die sich weder einseitig naturalistisch noch gänzlich naturfern gibt, beziehungsweise mit der jüdischen Erneuerungsbewegung in der Weimarer Republik, die vor allem durch Franz Rosenzweig, Gershom Scholem, Walter Benjamin und Ernst Bloch repräsentiert wird.

An der Gesamtkonzeption des Sammelbandes ist sicherlich zu bemängeln, dass die einzelnen Beiträge zu wenig ineinander greifen und sich zu wenig auf einen gemeinsamen Ausgangspunkt beziehen lassen. Auch streben die konkreten Beispiele, anhand derer hier den „Revolutionen des Wissens“ nachgegangen werden sollte, inhaltlich und zeitlich zu weit auseinander, um am Ende ein einigermaßen kohärentes Bild zu erzeugen. Doch möglicherweise ist das der Preis, den man zur Zeit noch zu zahlen hat, wenn man sich auf das weite und offensichtlich historisch noch zu wenig beackerte Feld der Geschichte des Wissens in all seinen Facetten begibt.

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