Rez. FNZ: J. Kistenich, Bettelmönche im öffentlichen Schulwesen

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Titel
Bettelmönche im öffentlichen Schulwesen. Ein Handbuch für die Erzdiözese Köln 1600 bis 1850


Autor(en)
Kistenich, Johannes
Reihe
Stadt und Gesellschaft. Studien zum Rheinischen Städteatlas 1
Erschienen
Köln 2001: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
2 Bde., 1750 S.
Preis
€ 96
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Ehrenpreis, Institut für Geschichtswissenschaften der HU Berlin

Der Rheinische Städteatlas hat bisher die Ergebnisse der Forschung in Heften publiziert, die neben dem Kartenwerk das Grundgerüst der jeweiligen Ortsgeschichten in Datenform präsentiert. Nun wird eine neue Reihe eröffnet, die in begleitenden Studien die Grundlagenforschung vorantreiben will, wie einleitend die Herausgeber vom Amt für Rheinische Landeskunde des Landschaftsverbandes Rheinland formulieren. Der vorliegende erste Band, der aus einer von Wilhelm Janssen betreuten Dissertation an der Universität Bonn hervorging, zeigt in seiner Mischung aus intensiver Quellenarbeit, methodischem Zugriff, ortsgeschichtlicher Aufbereitung und strukturgeschichtlicher Gesamtinterpretation mustergültig, wie sich eine solche Reihe für die regionale Geschichtsforschung fruchtbar machen lässt.

Das Thema der frühneuzeitlichen Schul- und Bildungsgeschichte hat seit kurzem in der deutschen Landesgeschichte an Bedeutung gewonnen, gerade weil es - im Gegensatz etwa zu Frankreich - bisher nicht im Blickpunkt der neueren Sozial- und Kulturgeschichte gelegen hat. Für die Frage nach den Zielen und Formen des landesherrlichen Absolutismus spielt die Bildungspolitik eine wichtige Rolle, aber ebenso gehört die Schule als öffentliche Gemeindeinstitution in das System kommunaler Strukturen. Letzteres ist in der deutschen Forschung, ebenso wie der Zusammenhang von Familiengeschichte und privater Bildung, bisher wenig untersucht. Die lokale Ebene war im frühneuzeitlichen Bildungssystem oft durch unterschiedliche Gruppen und Verantwortlichkeiten gekennzeichnet: lokale Amtsträger des Staates und der Kirche, die Eltern als Klienten und Kontrolleure, schließlich die Schulmeister als Ausführende und Mitgestalter. Kistenichs Studie zeigt, in welchem Ausmaß diese Verhältnisse von außen beeinflusst werden konnten, wenn eine engagierte und reformorientierte Initiative vorhanden war und Entfaltungsmöglichkeiten eingeräumt bekam. Im katholischen Bereich schufen sich nach dem Dreißigjährigen Krieg in zahlreichen Diözesen die Bettelorden ein Tätigkeitsfeld, was freilich nicht überall auf so große Zustimmung stieß wie im Erzbistum Köln.
Die beteiligten Landesherren (Kurköln, Kurpfalz für Jülich-Berg, Brandenburg-Preußen für Kleve-Mark sowie kleinere Grafenhäuser im Linksrheinischen und im Westerwald) - denen Kistenich übrigens nur ein paar Zeilen widmet - bestätigten in der Regel die Ordensansiedlungen, ohne sich um die konkreten Bedingungen zu kümmern, die vielmehr in Zusammenarbeit mit lokalen Kräften gestaltet wurde.

Der Ansatzpunkt Kistenichs ist die große schulgeschichtliche Bedeutung der Bettelorden als der wichtigsten innovatorischen Kraft im Nordwesten des Alten Reiches. Methodisch verbindet er die Darstellung des Einsatzes der Mönche mit der lokalen Tradition und Praxis des Schulwesens, so dass langfristige Strukturen und ihre Veränderungen in den Blick kommen. Damit erreicht Kistenich zweierlei: Zum einen lassen sich aus seinen Datensätzen generelle Aussagen zur Qualität des Bildungswesens seiner Beispielregion im zeitlichen Verlauf gewinnen. Zum anderen wird deutlich, wie stark Unterrichtsqualität und soziale Aufstiegsmöglichkeiten, die Kistenich mit zahlreichen Absolventenlisten höherer Schulen dokumentiert, zusammenhingen.

Der Hauptteil der Studie besteht aus einer über 1400 Seiten umfassenden Präsentation der nachweisbaren Lehrtätigkeit der Bettelorden in 214 Orten der alten Erzdiözese Köln, wobei auf die erneute Aufnahme der für das Erzbistum gut untersuchten weiblichen Lehrorden verzichtet wurde. Die Angaben umfassen Daten zur Schulgeschichte des Ortes, zur Ordensniederlassung (die größtenteils in den Jahrzehnte 1630-1660 und stetig ansteigend seit 1690 zu verzeichnen sind), zu Schulform, Schulgebäude, Schülerschaft und Unterricht. Vielfach handelte es sich um sogenannte "gemischte Schulen", in denen sowohl Schreiben, Lesen und Rechnen als auch in Oberklassen Latein gelehrt wurde. Einen Schwerpunkt bildeten die Kleinstädte, aber auch im ländlichen Raum lassen sich viele Beispiele für Mönche als Schulmeister oder zumindest Schulverantwortliche finden. Überwiegend übernahmen die Mendikanten ältere Schulen oder gründeten neue, so dass die Unterrichtsverantwortung allein in ihrem Bereich lag. Erst in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts lässt sich ein häufigeres Eintreten in die Lehrtätigkeit an Schulen in öffentlicher Trägerschaft beobachten. Nach der Säkularisierung, die auch die hier beobachteten Orden schwer traf, arbeiteten zahlreiche Mönche als Schulmeister weiter.

In der Zusammenschau und Interpretation seiner Detailergebnisse kann Kistenich einige überraschende Feststellungen machen, die hier nur angedeutet werden können. Die sicherlich wichtigste ist der Nachweis der Rolle der vom Missionseifer gespeisten Volksunterweisung der Orden, die in vielen Orten katholische Schulinstitutionen überhaupt erst ermöglichten. Vor allem in den protestantisch geprägten Gebieten der Herzogtümer Berg und Kleve und der Grafschaft Mark sahen die Mönche ihre Aufgabe nicht nur in der Katechese, sondern auch in einer Volksbildung, die unter dem Vorzeichen konfessioneller Identität durchaus volksaufklärerische Züge trug. Der angebotene Lateinunterricht bzw. die Eröffnung eines Gymnasiums konnte durchaus als kleinstädtische Wirtschaftsförderung helfen, die Wunden des Dreißigjährigen Krieges zu heilen. In der höheren Bildung spielten die territorialen Grenzen für den Einzugsbereich eines solchen qualifizierten Gymnasiums keine Rolle. Überraschend ist auch die Vielfalt der Fächer sowie der Unterrichtsformen und -methoden, die Kistenich nachweisen kann. Schultheater, Leistungswettbewerbe und Prämien gehörten zum Alltag kleinstädtischer Lateinschulen. Für einige Schulen lassen sich die Schulbücher, Unterrichtspläne und -zeiten des 18. Jahrhunderts identifizieren.

Die Bedeutung der Ergebnisse Kistenichs gehen jedoch weit über die regionalgeschichtlichen Folgerungen hinaus. Hatte bereits die Studie Wolfgang Neugebauers zu Brandenburg-Preußen gezeigt, dass der Einfluss des Staates auf das Schulwesen nicht überschätzt werden darf, so macht Kistenich deutlich, dass es zur zentralen Organisation und Kontrolle im katholischen Bildungswesen bedeutende Alternativen gab. Nicht staatliche Zentralbehörden setzten umfangreiche Reformmaßnahmen zur verbesserten Unterrichtsqualität im kleinstädtischen und dörflichen Schulwesen des Erzbistums Köln in Gang, sondern von der Landesherrschaft unabhängige Orden. Bisher standen in der Forschung zum katholischen Schulwesen die Jesuiten und die weiblichen Schulorden mit ihrer Konzentration auf die höhere Bildung im Vordergrund; mit Kistenichs Studie wird dieses Bild bunter und zugleich konziser. Ähnlich wie auch in Frankreich kamen bildungsreformerische Impulse aus einer religiösen Bewegung, die mit staatlichen Interessen konform ging, aber von der politischen Sphäre unbeeinflusst blieb. Neuere Studien zu den Schulorden haben Belgien und die Niederlande zum Gegenstand und betonen ebenfalls die Initiative gesellschaftlicher Gruppen. Ähnliches kann für die englische "Charity Schools"-Bewegung gesagt werden, deren Bedeutung jedoch gerade einer Neubewertung unterzogen wird. Obwohl regionalgeschichtlich orientiert, leistet Kistenich also einen bedeutenden Beitrag zum europäischen Vergleich im Bildungswesen. Wer über Strukturen des Schulwesens vom Dreißigjährigen Krieg bis ins Zeitalter der bürgerlichen Schulreformen forscht, wird an Kistenichs bedeutendem Beitrag nicht mehr vorbeikommen.

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