E. Oberländer (Hg.): Autoritäre Regime

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Titel
Autoritäre Regime in Ostmittel- und Südosteuropa, 1919-1944.


Herausgeber
Oberländer, Erwin
Erschienen
Paderborn 2001: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
XII, 697 S.
Preis
€ 51,60
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tatjana Tönsmeyer

"Demokratie kann ja nicht die blinde Herrschaft der Massen, der rohen Massen bedeuten. ... Die wahre Demokratie sichert die Führung der intelligenten Klassen ... Die Demokratie, die nicht auszusprechen wagt, daß in dieser Demokratie die Intelligenz zur Führerrolle berufen ist, ist keine Demokratie, sondern Demagogie."1 - so der ungarische Ministerpräsident István Bethlen im April 1921. Eine ähnliche Einstellung, nämlich Skepsis gegenüber der Demokratie im allgemeinen oder zumindest Zweifel an ihrer Praktikabilität angesichts vielfältiger innerer und äußerer Probleme, kennzeichnen den politischen Diskurs fast aller Länder Ostmittel- und Südosteuropas in der Zwischenkriegszeit. Ein starker Staat sollte die Lösung aller Probleme bringen, und so entstanden in der Großregion zwischen Estland und Griechenland - nur die Tschechoslowakei und Finnland bildeten eine Ausnahme - autoritäre Regime. Als Binnendifferenzierung läßt sich dabei im Hinblick auf die hier diskutierte Großregion festhalten, daß es sich in Ostmitteleuropa, also in den baltischen Staaten, Polen, Österreich und der Slowakei, um Krisen der Demokratie handelte, während die Königsdiktaturen Südosteuropas aus vordemokratischen Verhältnissen hervorgegangen sind.

Die nationalgesellschaftliche Integration zu erreichen oder Gefährdungen von ihr abzuwenden, gehörte zu den wichtigsten Zielen dieser Regime, dazu wurden sie etabliert und daraus bezogen sie ihre Legitimation. Diese durch die Staatsgründungen erreichte Einheit schien jedoch - zumindest in den Augen der Titularnationen in Ostmitteleuropa - durch die Demokratie bedroht. So war es der nationale Staat, der durch die Etablierung der Präsidialdiktaturen vor den zentrifugalen Tendenzen der Demokratie zu schützen war: Es wurde das verteidigt, was man schon lange hatte haben wollen (der Nationalstaat) mit Methoden, die man schon lange kannte, waren doch die Staaten Ostmitteleuropas aus dem Zusammenbruch der überna-tionalen Reiche hervorgegangen, in denen ein friedlicher Interessenausgleich nicht hatte ein-geübt werden können.

In Südosteuropa, wo der ethnonationale Integrationsprozeß unterschiedlich weit fortgeschritten war und wo neben weitgehend integrierten serbischen, griechischen, bulgarischen und rumänischen Nationalkernen große Bevölkerungsgruppen außerhalb dieser Kerne standen, waren die autoritären Regime der 30er Jahre "die Antwort auf eine partikularistisch und traditionalistisch geprägte, politisch unstrukturierte, wirtschaftlich ineffektive und häufig traumatisierte Gesellschaft. Sie standen für den Versuch, eine national integrierte, ethnisch "geschlossene" Gesellschaft zu konstruieren und diese gegen innere wie äußere Feinde zu verteidigen."2 Gleichwohl, dies zeigt zum Beispiel der Beitrag von Nikolaj Poppetrov zu Bulgarien, hatten sie mit ihrer Ausrichtung auf den Staat, der Propagierung von Arbeit als Tugend, einem Denken in Gemeinschaften, die sich auch als Kollektive verstehen konnten, nicht selten Weg-bereiterfunktion für die kommunistische Diktatur nach 1945.

Es war auch die kommunistische Diktatur, die die Forschung zu den vorausgegangen Re-gimen stark behinderte: Nach ihrer Lesart waren sie zumeist faschistisch, aus ihrer Überwindung leitete man die eigene Legitimation ab. Angesichts dieser Hemmnisse ist die Forschung zu den autoritären Regimen vielfach noch am Anfang, was sowohl forschungspraktische als geschichtspolitische Konsequenzen hat. Zu letzteren gehört vor allem etwas, was man die "Demokratiediskussion" nennen könnte. Der Herausgeber spricht im Vorwort die politische Funktion der Forschung für die "jungen" Demokratien im Osten Europas explizit an. Viele der Beiträge gruppieren sich denn auch um den Leitbegriff der Demokratie. Zwischen den Zeilen kommt nicht selten ein gewisses Bedauern zum Ausdruck, daß es sich in der Tat um autoritäre Regierungsformen und nicht um Demokratien handelt, daß somit keine "Traditi-onsbrücke" in die Gegenwart führt.

Es gibt viele Desiderate zu den autoritären Regimen, aber was man auf jeden Fall sagen kann, ist, daß sie nicht demokratisch waren. Man muß aber wohl genauso festhalten, daß sie nicht faschistisch waren. Holm Sundhaussen attestiert den südosteuropäischen Gesellschaften gar, angesichts fehlender Mobilisierung, "strukturell faschismusunfähig" (S. 342) gewesen zu sein.3 Entsprechend beschrieb bereits Juan Linz die autoritären Regime als "Herrschaftstypus sui generis". Was dies konkret bedeutet, gilt es ein einer Vielzahl von Detailstudien auszuleuchten. Der herrschaftstypologisch angelegte Beitrag von Emmerich Tálos zum Austrofaschismus (S. 143-162) macht deutlich, wie ergiebig eine solche Herangehensweise sein kann. Dadurch können auch völlig überholte Einschätzung, wie jene, beim Slowakischen Staat habe es sich "dem Außenkollorit" nach um "Klerikalfaschismus" (S. 331) gehandelt, vermieden werden.

Noch ein anderer Aspekt scheint der Rezensentin von Bedeutung: Bei den frühen Definitionsversuchen formulierte Linz, daß es sich bei den autoritären Regimen um "politische Systeme mit begrenztem, nicht verantwortlichem Pluralismus, ohne ausgearbeitete und leitende Ideo-logie, aber mit ausgeprägten Mentalitäten, ohne extensive oder intensive politische Mobilisie-rung, außer an einigen Punkten in ihrer Entwicklung, und in denen ein Führer oder gelegentlich eine keine Gruppe Macht innerhalb formal ungenau definierter, aber tatsächlich recht vorhersagbarer Grenzen ausübt" (S. VIII). Viele dieser Kriterien verweisen auf eine bestimmte politische Kultur, die den autoritären Regimen eigen war. Diese Kultur verband Regierende und Regierte, in ihr spiegelten sich die Mentalitäten wider, von denen bereits Linz sprach. Es gilt also, die verschiedenen "missing links" aufzuspüren zwischen den Individuen und dem politischen System und dadurch Fragen der historischen Bedingtheit und des Wandels affektiver Haltungen gegenüber dem politischen System zu beschreiben. Diese Verschränkung von Kultur und Politik läßt sich nicht zuletzt mit den Mitteln der Diskursanalyse aufzeigen: Dadurch könnten wir erfahren, was man in den "jungen" Demokratien nach dem Ersten Welt-krieg eigentlich unter Demokratie verstand. Noch ein weiterer Aspekt erscheint wichtig: Offenbar war es gerade auch die politische Kultur der autoritären Regime, die sie zu Wegbereiter für die kommunistische Herrschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden ließ. Wenn dies so ist, ist es dann nicht vielleicht auch gerade diese Kultur, die das Erbe des 20. Jahrhunderts für das 21. darstellt? Dem Herausgeber des Sammelbandes, Erwin Oberländer, ist also voll und ganz zuzustimmen, wenn er schreibt (S. IX), die kritische Auseinanderset-zung mit den autoritären Regimen habe eine "unübersehbar aktuelle politische Dimension".

1 Zitiert nach Margit Szöllösi-Janze: Die Pfeilkreuzlerbewegung in Ungarn, München 1989, S. 78.
2 Beitrag Holm Sundhaussen in diesem Band (Die Königsdiktaturen in Südosteuropa - Umrisse einer Synthese), S. 348.
3 Heute dagegen hätten mobilisierende Diktaturen nach Sundhaussen eine weitaus größere Chance auf Durchsetzung, da die Defizite der Zivilgesellschaft nach wie vor vorhanden sind, die Indoktrinations- und Manipulationsmöglichkeiten jedoch gewaltig gewachsen sind. Ebenda, S. 342.

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