Titel
Napoleon III and His Regime. An Extravaganza


Autor(en)
Baguley, David
Reihe
Modernist Studies
Erschienen
Anzahl Seiten
425 S.
Preis
$ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Wunsch, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Louis-Napoléon Bonaparte (1808–1873), Neffe Napoleons I. und Erbe der napoleonischen Legende, zählt zweifelsohne zu den schillerndsten Gestalten der französischen und der europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts. Besessen von der Idee, daß er eine historische Mission zu erfüllen habe, hat er fünfzehn Jahre seines Lebens als Exilant, als Publizist und als politischer Abenteurer, als Verschwörer und als Festungshäftling damit verbracht, nach der Macht in Frankreich zu streben. Von 1848 bis 1852 war er Präsident der Zweiten Republik und von 1852 bis 1870 als Napoleon III. Kaiser der Franzosen – mit zweiundzwanzig Jahren Dauer, achtzehn davon als Souverän, die längste Amtszeit eines französischen Staatsoberhauptes seit Ludwig XIV. Was der als »demokratischer Despot« (T.A.B. Corley) oder als Intellektueller auf dem Thron charakterisierte Herrscher erreichte, war schon in seiner Zeit umstritten und bleibt es für viele Historiker bis heute, doch scheint sein Mythos nach wie vor ungebrochen.

Bereits seinen Zeitgenossen erschien er als undurchdringliche Sphinx der Tuilerien (Metternich). Lange Zeit ist Napoleon III. auch von der Geschichtswissenschaft und in publizistischen Werken äußerst kontrovers beurteilt worden – die Spanne reicht von blanker Apologie bis zur gegenteiligen, republikanischen »légende noire«, von der Interpretation seines bonapartistischen Regimes und seiner Herrschaft als Vorläufer des Faschismus bis zu dem Befund, daß er ein »moderner« Staatsmann des 20. Jahrhunderts gewesen sei, und damit sozusagen seiner Zeit voraus. Der scharfen Polemik Victor Hugos1, selbst zeitweise Bonapartist, aus dem Jahre 1852, der ihn als Napoléon le petit brandmarkte, wurde 1990 aus der Feder Philippe Séguins2 gleichsam eine gaullistische Ehrenrettung unter dem Titel Louis Napoléon le Grand gegenübergestellt, während andere mittlerweile eher dazu neigen, Napoleon III. mit François Mitterand zu vergleichen, der bezeichnenderweise selbst vorhatte, ein Buch über den Kaiser zu schreiben.3 In neueren biographischen Werken über das Leben und Wirken Napoleons III. dominiert hingegen nüchterne historische Analyse.4

David Baguley, der französische Literaturgeschichte an der University of Durham lehrt und als Autor mehrerer Werke über Émile Zola hervorgetreten ist, präsentiert in diesem eigenwilligen Buch die Interpretation des Kaisers und seines Regimes als einer »Extravaganza«. Wer – zumal angesichts des Haupttitels – eine neue Biographie, eine quellengesättigte Untersuchung seiner vielschichtigen Politik, eine gründliche Studie über sein Regierungssystem oder eine umfassende »Gesamtdarstellung« des Second Empire erwartet, wird wohl enttäuscht werden. Baguley, skeptisch gegenüber den Erkenntnismöglichkeiten der Geschichtswissenschaft eingestellt, geht es vielmehr darum, eine neue, eine sozusagen postmoderne Darstellung des Kaisers und seines Empire zu liefern. Gewiß hat Napoleon III. es den Historikern nicht gerade leicht gemacht, seine rätselhafte Person und seine widersprüchlichen Ambitionen zu durchdringen, zumal er nur eine spärliche Menge an Quellen hinterlassen hat, was die kontroversen Interpretationen seiner Person und seiner Politik begünstigt hat. An diesem Punkt, der ja für jede Forschung über Napoleon III. gilt, will Baguley ansetzen. Er stützt sich – neben einer Auswahl englischer und französischer Sekundärliteratur – nur auf literarische Texte und Bilder: »representations and inventions in a variety of media and forms, pictures, performances, spectacles, rituals, fiction, poems, play« (3). Thema seines Buches sei v.a. »the dynamic process, in both its constructive and destructive phases, by which the legend or the myth of Napoleon III was elaborately fabricated and vigorously dismantled« (3f.). Baguley hebt immer wieder die seiner Ansicht nach problematische Legitimität des Kaiserreichs und des Kaisers selbst hervor: »If the Second Empire can be interpreted as, to a considerable degree, a lavish attempt to vindicate Louis Napoléon’s most far-reaching political act [i.e. der Annahme des Kaisertums, S.W.], it can also be seen to fulfill an equivalent prodigious purpose in attempting to dispel any such doubts about the legitimacy of his birthright and to compensate for his mother’s suspected prodigality« (109). Pomp, Extravaganz und Exzesse seien die Folge gewesen.

Der Band folgt bewußt keiner chronologischen Ordnung, sondern ist in 13 unterschiedlich aufschlußreiche Kapitel gegliedert, die literarischen Genres entsprechen sollen: Die ersten vier Kapitel werden im Sinne Hayden Whites als »Histories« bezeichnet und behandeln die Wahl von 1848 und den Staatsstreich vom 2. Dezember 1851, die Auseinandersetzung Victor Hugos mit Louis Napoléon, weitere kritische Verarbeitungen des Staatsstreiches (Zola, Guillemin, Marx), seine Putschversuche von 1836 und 1840, die historischen und politischen Schriften Louis Napoléons und die Proklamation des Kaisertums 1852. Es schließen sich zwei biographische Kapitel an – »Family Affairs« über die legitimen und illegitimen Sprößlinge des Bonaparte-Clans, dessen Namenssystem und die Abkunft Louis Napoléons sowie »A Man of Many Parts« über die komplexe und widersprüchliche Persönlichkeit Louis Napoléons, die dieser hinter einer undurchdringlichen Maske zu verbergen gesucht habe.

Das siebte Kapitel »Epic Ventures« behandelt demgegenüber die Konstruktion der »öffentlichen Figur« eines charismatischen, heroischen Kaisers: Sein »image« habe an nationalistische, konservative, revolutionäre, progressive, militaristische und kapitalistische Werte gleichzeitig appellieren sollen und sei als (bonapartistische) Strategie der Machtsicherung und Legitimation zu verstehen. Die regierungsamtliche Propaganda habe mit unterschiedlichsten offiziellen Portraits und Publikationen, politischen Ritualen, aufwendigen, exzessiven Zeremonien, extravaganten Maßnahmen und allerlei geschickten Inszenierungen, dem verschwenderischen Hofleben der fête impériale, dem massiven Napoleonkult und dem »Drehbuch« seiner »napoleonischen Ideen« (1839) an der Legende gestrickt.5 Die Außenpolitik Napoleons III., die schließlich in die Katastrophe von 1870 geführt habe, sei letztlich an dem Unvermögen gescheitert, seine »epic ambitions« und die »extravagance of his aspirations« (174) umzusetzen. Unter der Überschrift »Utopian Vistas« wendet sich Baguley einer weiteren Facette Louis Napoléons zu: Zum einen seinen utopischen Ideen und seinen Überlegungen zur sozialen Frage, 1844 veröffentlicht in der Schrift »De l’extinction du paupérisme«, zum anderen den sozialpolitischen Maßnahmen des Second Empire und der entsprechenden Propaganda, die zusammen als eine Art »Public relations«-Strategie dazu dienen sollten, das Regime auch bei den Unterschichten zu verwurzeln. Hier wird u.a. auch die Transformation von Paris behandelt, die Baguley als den »most convinving text« (196) Napoleons III. versteht, als Ansatz, Cäsarismus und Humanitätsgedanken zu versöhnen.

Breiter Raum wird dem Klatsch über das Kaiserreich und seinen operettenhaften Zügen eingeräumt: Das umfangreiche neunte Kapitel »Romance« handelt von Eugénie de Montijo, von ihrer Hochzeit mit Napoleon III., von der offiziellen Inszenierung der heilen kaiserlichen Familienwelt und von den zahlreichen Affären und Eskapaden Louis Napoléons, während das zehnte Kapitel der öffentlichen Imitation der Vergangenheit, v.a. des ersten Kaiserreiches, in Stil und Mode, Pomp und Repräsentation (»parody«) nachgeht. Auch hier sei das Streben nach Legitimation zu erkennen: Das Second Empire »veiled the harsh truths of its real historical initiatives (a coup d’état, industrial exploitation, capitalist speculation, diplomatic wars, colonial conquests) beneath the fake drapes and the masks of its mimicry« (255). Karikatur, Satire und Spott als oppositionelle Reaktionen sowie die Zensur stellt Baguley ebenfalls ausführlich vor. Das Kapitel »Vaudeville« berichtet von den Divertissements des Hofes, von Kostümbällen u.ä., von Unterhaltung und Nachtleben im galanten Paris mit Revuen, Shows und Theater, von Halbwelt und Cancan, von Mode – Krinoline als Symbol der Unterdrückung der Frau –, vom Stil des Second Empire wiederum und Offenbachs »La vie parisienne.« Unter der Überschrift »Fictions« geht es um die Darstellung Napoleons III. in der zeitgenössischen und späteren Literatur sowie um seine eigenen literarischen Ambitionen, im 13. Kapitel um die »tragischen Effekte« der letzten Jahre und beim Untergang des Zweiten Kaiserreichs, während der Epilog das Exil in Chislehurst zum Thema hat. Immer wieder kontrastiert Baguley historische Forschung, Propaganda und offiziöse Quellen mit literarischen Texten.

Machiavelli oder Don Quixote? Opportunist oder Visionär? In der neueren Forschung überwiegt das Bild eines gewieften politischen Strategen, eines klugen Taktikers und kaltblütigen, pragmatischen, autoritären Politikers, der jedoch in vielen Bereichen, etwa in der Außenpolitik oder gegenüber der sozialen Frage, scheiterte – nicht zuletzt an seinen eigenen, widersprüchlichen Ambitionen. Baguleys Louis Napoléon ist ein gewissermaßen autoritärer Liberaler, Kettenraucher und Dandy, ein Frauenheld, getrieben von einem »insatiable sexual appetite«, der jedoch – so die wilde Spekulation des Autors – in den 1860er Jahren impotent geworden sei, ein »Man of destiny«, aber auch ein zögerlicher, zweifelnder Mann auf der Suche nach sich selbst, dessen Persönlichkeit uns letztlich jedoch verborgen bleiben wird. Die öffentliche Figur Napoleons III. hingegen ist für ihn das Konstrukt eines »expert propagandist« (190): »the figure of Napoleon III was appropriated to fulfill an almost limitless set of roles with which a whole variety of writers, thinkers, theorists, artists, however outlandish, were able to invest him« (136); am Ende, so Baguley, sei sie zur »tragischen Figur« geworden.

David Baguley hat ein interessantes, facettenreiches und gewiß extravagantes Werk über Napoleon III. und sein Regime vorgelegt; ein bunter Strauß, dessen Stärken vermutlich in der Präsentation von Themen und von Material zu suchen sind, die in vielen Darstellungen und Biographien weniger beachtet werden – nicht zuletzt die oppositionellen Werke der zeitgenössischen Literatur sind hier zu nennen. Insgesamt wird jedoch nicht klar, worauf Baguley hinaus will. Als Versuch einer alternativen umfassenden Darstellung kann das Buch nicht überzeugen, zumal wichtige Fragen – etwa die Außenpolitik des Second Empire, seine Bedeutung als »laboratoire du parlementarisme et de la démocratie« (Jean Garrigues), die Haltung der französischen Öffentlichkeit, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung – zugunsten von Klatsch und Tratsch vernachlässigt werden.

Anmerkungen:
1 Victor Hugo: Napoléon le petit, Brüssel 1852, engl. London 1852; deutsche Ausgabe z.B. unter dem Titel »Napoleon der Kleine. Ein Pamphlet«, Zürich 1991. Ferner: Histoire d’un crime, 1877/78 und Châtiments, 1853.
2 Philippe Séguin: Louis Napoléon le Grand, Paris 1990.
3 Alain Minc: Louis Napoléon revisité, Paris 1997.
4 Vgl. z.B. William H.C. Smith: Napoléon III, Paris 1982; Ders.: Napoleon III: The Pursuit of Prestige, London 1991; Louis Girard: Napoléon III, Paris 1986; James F. McMillan: Napoleon III, London/New York 1991.
5 Vgl. dazu Matthew Truesdell: Spectacular Politics. Louis Napoleon Bonaparte and the fête impériale, 1849–1870, New York u.a. 1997. Siehe zur Neukonstruktion der Selbstdarstellung des Second Empire v.a. Johannes Paulmann: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Ersten Weltkrieg, Paderborn 2000, S. 296ff., passim.

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