Titel
König, Fürsten und Reich 1056-1159. Herrschaftsverständnis im Wandel


Autor(en)
Schlick, Jutta
Reihe
Mittelalter-Forschungen 7
Erschienen
Stuttgart 2001: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
IX + 218 S.
Preis
€ 45,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Suchan, Historisches Institut der Universität Giessen

Das mittelalterliche Reich birgt noch Aufgaben für eine moderne Politikgeschichte. Nach jahrzehntelangen, im Grundsatz verfassungshistorisch geführten Diskussionen, die in der Regel den König und die von ihm ausgeübte Herrschaft in das Zentrum rückten, veränderten seit den 1980er und 1990er Jahren sozialwissenschaftlich und kulturanthropologisch geleitete Ansätze die Perspektive qualitativ: Nicht mehr die einzelne herrschafts- und verfassungsrechtlich fassbare ‘Person’ - neben dem König vor allem der Adel und die Geistlichkeit - werden voneinander abgegrenzt, sondern die personenübergreifenden und Gemeinschaften konstituierenden Alltagsbedingungen, Verhaltensweisen und Wahrnehmungen, die ‘Lebenswirklichkeiten’, werden rekonstruiert. Damit ergeben sich gerade für das Verständnis des Mittelalters neue Chancen, dessen Kohärenz als historisches Epochenphänomen ein wenig unabhängiger als bisher von jenen modernen Verständnishilfen zu begreifen.

Jutta Schlick hat mit ihrem Buch über das Verhältnis von König und Fürsten im hochmittelalterlichen Reichsgefüge diese Herausforderung angenommen. Sie interessiert das Zusammenspiel aller herrschaftstragenden Kräfte und dessen Funktionalität. Dabei macht sie sich die aktuelle Einsicht zu eigen, dass besonders das fürstliche Handeln in Wechselwirkungen mit anderen politischen Funktionsträgern und eben nicht als unmittelbare Folge königlicher Dominanz im Reichsgefüge begriffen werden muss. In der knappen Einleitung fehlt in diesem Zusammenhang daher auch zu Recht nicht der Hinweis auf Bernd Schneidmüller, der dieses Verständnismodell jüngst als „konsensuale Herrschaft“ 1 bezeichnet hat.

Gegenstand der Untersuchung sind mit guten Gründen die Königswahlen und die Hoftage: Die für die Wahl ursächliche Abwesenheit des Königs eröffnete fürstlicher Politik gewisse Handlungs- und Ermessensspielräume. Mit sachlich deutlicher Distanz zu formalrechtlich begründeten ‘Wahlforschungen’ geht Schlick im Sinn sozialanthropologisch fundierter, moderner kommunikationspolitischer Fragen von einer regulativen Kategorie aus: der zeitgenössischen Suche der Beteiligten nach einem „Grundkonsens“, „auf dessen Grundlage das Reich ‘funktionieren’ konnte, weil alle [Großen] in die Herrschaft einbezogen waren“ (4). Sie greift damit Thesen und Begrifflichkeit von Hagen Keller auf, der herausarbeiten konnte, dass die Großen bei Königswahlen in dem Bewusstsein ihrer funktional tragenden Rolle für das politische Gesamtgefüge des Reiches entschieden und handelten; es zeichnete deren politisches ‘Selbstverständnis’ aus, ‘Verantwortung’ für das ‘Reich’ zu tragen 2.

Der Regelfall politischer Alltagskommunikation zwischen König und Großen, die Hoftage, realisierte das beiderseitige Verhältnis; dort wurde die von Entscheidung zu Entscheidung erneuerungsbedürftige Nagelprobe gemacht, ob sich jener Grundkonsens in praktische Politik umsetzen ließ.

Zeitlich setzt die Untersuchung ein mit der Regierungszeit Heinrichs IV. (1056-1105/06), deren Einschätzung als ‘Wende’ im Verhältnis von König und Großen durch die Forschung durchaus geläufig ist und den eigenen Überlegungen zugrundegelegt wird. Inhaltlich ist dies der Ausgangspunkt der Argumentation von Jutta Schlick: „Die Erkenntnis [der Großen], daß auch der König dem Reich schaden konnte, mußte ... dazu führen, daß das Verhältnis zwischen Herrscher, Fürsten und Reich grundsätzlich neu bestimmt wurde.“ (12) Sie erkennt in dem gleichsam autokratischen Regierungsstil des Saliers den Anstoß für die „Idee der Handlungsgemeinschaft der Fürsten“ (15) als das Novum hochadligen politischen Denkens. Schlick greift damit ausdrücklich Thesen auf, die bereits ihr akademische Betreuer Stefan Weinfurter formuliert hatte 3. Die Vorstellung einer fürstlichen Handlungsgemeinschaft konkurrierte nunmehr mit dem bis dahin geltenden Prinzip der eidlich geschlossenen, persönlichen Treue gegenüber dem König, die jeder Herrschaftsträger beim Regierungsantritt gelobt hatte. Konkrete politische Gestalt erhielt sie durch ‘Fürstengerichte’, auf denen die Großen über die Legitimität der Königsherrschaft Heinrichs IV. zu entscheiden versuchten, den Salier sogar absetzten.

In der Diskussion derartiger colloquia offenbart Jutta Schlick ihre Stärke, sehr quellennah den Akteuren ‘auf den Zahn zu fühlen’ und deren Verhalten in der zeitgenössischen Politik einzuordnen. Damit verbunden sind jedoch zwei strukturelle Schwächen: die Wahl des Untersuchungszeitraumes sowie das Postulat neuartiger, d.h. kirchenreformerischer Motive der Beteiligten. Ein Blick zurück jenseits der endenden Regierungszeit Heinrichs III. offenbart sehr deutlich, dass in den Konflikten von König und Großen über eine angemessene Beteiligung an der Herrschaft eine hochadlige Handlungsgemeinschaft schon vielfach praktiziert worden ist - erinnert sei etwa an den Vertrag von Coulaines 843, zu dem die westfränkischen Großen den karolingischen König genötigt hatten und durch den sie für das Reich ‘Verantwortung’ gezeigt hatten. Als zeitgenössisches Motiv des 11. Jahrhunderts wird von Jutta Schlick in Übereinstimmung mit Stefan Weinfurter die „Ablehnung der Kirchenpolitik Heinrichs“ ausgemacht, „die ihren Reformvorstellungen fundamental widersprach“ (29); aufgegriffen werden damit zugleich Thesen u.a. von Hermann Jakobs und Karl Schmid über einen besonders im süddeutschen Raum beheimateten ‘Reformadel’ 4, die nunmehr bezogen werden auf das Verhältnis von Kirche und Reich bzw. Papst und König (31). Die dabei unterstellte enge Verknüpfung von adligen Reformanliegen und Opposition gegen den König kann jedoch kaum durch direkte Belege in den zeitgenössischen Quellen gestützt werden. Denn in der Überlieferung thematisiert wird beispielsweise im Fall von fürstlichen Treffen nur unscharf die ‘Bedrückung der Kirche’, ohne dass erkennbar wäre, dass das Handeln der Großen ganz konkret oder ausschließlich bestimmt wäre durch den Geist kirchlicher Reformanliegen. Positionen der Königsgegner waren vielmehr verhaftet in den Bedingungen der aktuellen machtpolitischen Situation, die eine Argumentation jeweils als taktisch opportun erscheinen ließ und somit Entscheidungen mitbestimmte.

Noch bevor Heinrich V. die Nachfolge des Vaters antrat, ging er nach Auffassung von Schlick in Anlehnung an Weinfurter mit einer ‘jungen Generation’ innerhalb jenes Reformadels eine „Heilsgemeinschaft“ (62) ein 5; diese zerbrach jedoch schon wenige Jahre nach Heinrichs Herrschaftsbeginn. In der Folge sah sich dieser Salier ebenfalls mit einer Fülle von Konflikten sowohl mit den Großen als auch mit dem Papst konfrontiert. Gegenüber der Einschätzung der Motive der Großen gelten die oben genannten Bedenken; der von Schlick vorgenommenen politischen Interpretation tut dies jedoch keinen Abbruch. So erscheint ihre Analyse fürstlichen Politikmanagements am Ende der Regierungszeit Heinrichs V. völlig überzeugend: Als handlungs- und damit friedensfähig erwies sich wiederum und mit nachhaltigerer Konsequenz als wenige Jahrzehnte zuvor der Hochadel, da er im September 1121 auf dem Würzburger Hoftag einen Vertrag abschloss, der die beiden Konfliktfelder König-Fürsten und König-Papst voneinander trennte und politisches Handeln als fürstliche Kompetenz definierte. Mit diesem Text fand demnach eine Entwicklung ihren Abschluss, die die Fürsten als gleichberechtigte Kräfte neben dem König etablierte; ja man kann mit Jutta Schlick sogar noch weiter gehen: „sie waren das Reich“ (79), indem sie durch ihr Votum und ihr Handeln für das Reich nach innen und nach außen den Frieden herbeiführten. Der überragenden Bedeutung, die Schlick dieser Phase der Regierungszeiten Heinrichs IV. und Heinrichs V. beimisst, entspricht der Umfang des ersten Teiles des Buches, der etwa die Hälfte des gesamten Textes ausmacht.

In der Erhebung und der Regierung Lothars III. sieht Schlick jene Idee der „Eintracht“ (4; 85) von Fürsten und Herrscher verwirklicht und gegenüber den Anfängen in der Salierzeit erneuert; sie umfasst den zweiten Hauptteil des Buches: Nach dem kinderlosen Tod Heinrichs V. 1125 zeichneten sich Wissen und Bewusstsein um die Zugehörigkeit zum herrschaftstragenden und damit zur Wahl berechtigten Kreis innerhalb der Großen ab. Zugleich einigten sich diese ‘Prinzipalwähler’ (85f.) auf ein Wahlmännergremium, um eine Entscheidung zu erleichtern; der mit der Delegation verbundene Verlust persönlicher Mitwirkung an der Entscheidungsfindung zeugt nach Schlick vom gemeinschaftlichen und zugleich verantwortungsvollen Handeln im Interesse des Reiches, das über den Einzelnen gestellt wurde. Das gute Jahrzehnt der Regierung Lothars III. war insgesamt eine ungewöhnlich friedliche Zeit. Schlick deutet dies differenziert und wiederum quellennah als politische Integrationsleistung des Königs; damit soll zugleich eine bereits vor drei Jahrzehnten formulierte These Schmales belegt werden, der das Herrschaftsprofil Lothars und damit dessen Eigenständigkeit gegenüber Saliern und Staufern aus Sicht der Forschung stärken wollte 6.

Bereits mit der Wahl des einstigen staufischen Widersachers Konrad zum Nachfolger Lothars 1138 sieht Schlick den „Aufbruch in eine neue Zeit (1138-1159)“, dem der dritte und letzte Teil des Buches gewidmet ist. Für das Königtum beobachtet sie einen Generationen- und damit Akzentwechsel. Während es Konrad III. an einer adäquaten Leitidee fehlte und er auch in der politischen Realität kaum Erfolge verbuchen konnte, setzte der Neffe und Nachfolger Friedrich I. Barbarossa mit dem honor imperii einen erkennbar neuen Schwerpunkt. Ihm gelang ihrer Einschätzung nach die im Verhältnis von König und Großen notwendige Synthese des traditionellen Sakralkönigtums mit dem ‘Recht der Fürsten auf freie Wahl’. Denn er leistete der bereits unter Konrad III. einsetzenden Verrechtlichung des honor-Begriffes weiteren Vorschub und erhob zugleich die Fürsten „zur einzigen Zwischeninstanz zwischen Gott und Herrscher“ (176) - allerdings unter dem Primat der „Ehre des Reiches“. Leider bewegt sich Jutta Schlick mit diesen eher knappen Ausführungen sowohl in den Bahnen traditioneller Forschungen als sie auch, anders als in den vorangegangenen Abschnitten, auf die Konfrontation der interpretierten ‘Ideen’ mit der ‘Wirklichkeit’ der Politik verzichtet hat. Das praktisch zeitgleich erschienene Buch von Knut Görich über „Die Ehre Friedrich Barbarossas“ 7 setzt hier an und interpretiert den Begriff als Bestandteil der politischen Kommunikation. Die Geschichte des mittelalterlichen Reiches ist eben noch lange nicht zu Ende geschrieben.

1 B. Schneidmüller, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Fs. f. P. Moraw, hg. v. P.-J. Heinig u.a. (Historische Forschungen 67) Berlin 2000, 53-88.
2 H. Keller, Schwäbische Herzöge als Thronbewerber: Hermann II. (1002), Rudolf von Rheinfelden (1077), Friedrich von Staufen (1125). Zur Entwicklung von Reichsidee und Fürstenverantwortung, Wahlverständnis und Wahlverfahren im 11. und 12. Jahrhundert, in: ZGO 131 (1983) 123-162; vgl. u.a. auch ders., Zwischen regionaler Begrenzung und universalem Horizont. Deutschland im Imperium der Salier und Staufer 1024-1250 (Propyläen Geschichte Deutschlands 2) Berlin 1986.
3 S. Weinfurter, Herrschaft und Reich der Salier. Grundlinien einer Umbruchzeit, Sigmaringen 21992, bes. 108.
4 H. Jakobs, Der Adel in der Klosterreform von St. Blasien (Kölner Historische Abhandlungen 16) Köln - Graz 1968; K. Schmid, Adel und Reform in Schwaben, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, hg. v. J. Fleckenstein (Vorträge und Forschungen 17) Sigmaringen 1973, 295-320.
5 S. Weinfurter, Reformidee und Königtum, in: Reformidee und Reformpolitik im spätsalisch-frühstaufischen Reich, hg. v. dems. (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 68) Mainz 1992, 1-45.
6 F.-J. Schmale, Lothar III. und Friedrich I. als Könige und Kaiser, in: Probleme des 12. Jahrhunderts. Reichenauer Vorträge 1965-67 (Vorträge und Forschungen 12) Konstanz - Stuttgart 1968, 33-52.
7 K. Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne 1) Darmstadt 2001.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch