P. M. Kreuter: Der Vampirglaube in Südosteuropa

Cover
Titel
Der Vampirglaube in Südosteuropa. Studien zur Genese, Bedeutung und Funktion. Rumänien und der Balkanraum


Autor(en)
Kreuter, Peter M.
Reihe
Romanice 9
Erschienen
Anzahl Seiten
218 S.
Preis
€ 20,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Barbara Hillen

„Der Vampirglaube in Südosteuropa“ ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie man Geschichtswissenschaft spannend, sprachlich gewagt und gewandt und darüber hinaus ansehnlich präsentieren kann. Peter Mario Kreuter legt mit seiner Dissertation, die bei Bernd Roeck (Zürich, vormals Bonn) entstanden ist, eine umfassende Arbeit in übersichtlicher Länge vor. Umfassend in mancherlei Hinsicht, da er zum ersten Mal nicht nur verschiedene wissenschaftliche Ansätze kritisch unter die Lupe nimmt, mit denen bisher versucht wurde, das Phänomen des Vampirglaubens zu erklären, sondern auch, weil er neben der deutschen, französischen und englischen Literatur das seltene Talent besitzt, rumänische, albanische, bulgarische, lettische, russische, dänische, türkische und jiddische Abhandlungen zum Vampirglauben zu berücksichtigen! Dies ist besonders verdienstvoll, tendierten Wissenschaftler doch bisher dazu, die westeuropäische Sekundärliteratur und die der USA „wiederzukäuen“, wie Kreuter schreibt, das Material der Ethnologen und Ethnographen in Südosteuropa mangels Sprachkenntnissen zu ignorieren oder – wie im Falle Rumäniens und Bulgariens – den Blick nur auf die eigene Kultur zu beschränken.

Zunächst gibt er als Grundlage einige quellengestützte Definitionen: Vampire werden hier zum ersten Mal säuberlich von „schmatzenden Toten“, „Nachzehrern“, Hexen, Werwölfen, „Moras“, „Navis“, Dämonen und anderen Unwesen getrennt. Hier wie auch im weiteren Verlauf der Arbeit muss er wiederholt „Aufklärungsarbeit“ betreiben – Vampire haben in den Quellen des 18. Jahrhunderts keine langen, spitzen Zähne und saugen kein Blut. Als frühneuzeitliche Quellen zieht Kreuter Arztberichte und Befragungen der Bevölkerung heran.

Kreuter geht der Frage nach, ob es möglich ist, plausible Theorien für die Entstehung des Vampirglaubens aufzustellen und zu formulieren. Die Betonung liegt auf Theorien, denn bisherige Erklärungen scheitern laut Kreuter an ihrer Monokausalität.

Kreuters Methode besteht darin, sich kritisch mit medizinischen und psychologischen Erklärungsmodellen auseinander zusetzen und jene frühneuzeitlichen Quellen gegenüberzusetzen. Die Ferndiagnosen amerikanischer Mediziner, denen zufolge z.B. die sogenannte Eisen-Mangel-Porphyrie, auch bekannt als Morbus Günther, hinter dem Phänomen des Vampirglaubens stecke, man diese im 18. Jh. nur noch nicht erkannt habe, klingen zwar durchaus plausibel. Der Historiker gibt jedoch zu bedenken, dass diese überaus seltene Krankheit (rund 200 Fälle wurden weltweit bis 1995 bekannt!) kaum einen nachhaltigen Eindruck im kollektiven Gedächtnis hinterlassen haben kann, besonders wenn man bedenkt, dass das Kommunikationsnetz der frühen Neuzeit noch weitmaschig und nur eingeschränkt funktionsfähig gewesen ist, was noch in sehr viel stärkerem Maße für Südosteuropa gilt.

Ein psychologisches Erklärungsmodell hält Kreuter durchaus für angebracht, nur dürfe man nicht – wie er an zwei Beispielen verdeutlicht – als Analysegrundlage den fiktiven Vampir heranziehen. Viele Mediziner und Psychologen sind an einer ernst zu nehmenden Erklärung gescheitert, da sie sich nicht auf die Quellen des 18. Jahrhunderts oder fundierte volkskundliche Sekundärliteratur mit Umfragen zum Volksglauben aus Südosteuropa, sondern auf ein Vampirbild gestützt haben, dass vor allem durch Bram Stokers Roman des Grafen Dracula geprägt wurde und das literarische Produkt der verklemmten Spätphase des Viktorianischen Zeitalters ist.

Der Autor nimmt in einem folgenden Abschnitt die Entstehung des Osmanischen Reiches unter die Lupe. Diesen Teil der Untersuchung hätte er vielleicht etwas knapper fassen können. Hier fragt er nach der Struktur des Osmanischen Reiches, ihren Folgen für Südosteuropa und nach der Toleranz des Islam hinsichtlich christlicher und vorchristlicher Sitten und Gebräuche. Dabei kommt er zu der Erkenntnis, dass das relative Desinteresse der Osmanen an ihren christlichen Untertanen ein wichtiges Element für das Verständnis des Vampirglaubens ist.

Die sich mit der Zeit verstärkende Rückständigkeit des Osmanischen Reiches und die Isolierung, die die Zugehörigkeit zum ‚Staat der Ungläubigen’ mit sich brachte, hat die Volkskultur Südosteuropas vor äußeren Einflüssen bewahrt und eine Entfaltung von Bräuchen und Glaubenswelten ermöglicht. Dies bildete die äußeren Rahmenbedingungen. Die inneren Gründe für den Vampirglauben sind nach Kreuter im Umgang der orthodoxen Kirche mit dem Thema Tod zu sehen. Die orthodoxe Kirche nimmt an diesem letzten Abschnitt in der irdischen Existenz eines Menschen relativ wenig Anteil. Daraus folgert Kreuter, dass der Vampirglaube eine Art Kompensation für ein fehlendes Beerdigungssakrament und eine über das Kirchendogma hinausgehende Form des Totenkultes darstellt. Im Volksglauben ist der Totenkult als äußerer Rahmen für den Übergang in eine andere Welt wichtig, um den Toten auf seine neue Existenz vorzubereiten. Wird dieser Kult nicht eingehalten oder gestört und versucht der Tote vom Jenseits zurückzukehren, so ist die weltliche Ordnung gestört und die noch lebenden Menschen werden durch die Untoten bedroht.

Deshalb dient der Vampirglaube auch als Erklärung für das Schicksal von ‚Annomalen’, die aufgrund ihrer wie auch immer gestalteten Andersartigkeit die gesellschaftliche Ordnung stören und zum Außenseiter werden. Der Vampirglaube, vor allem die mit ihm verbundenen vorbeugenden und abwehrenden Maßnahmen gegen Untote, die meistens von den Einwohnern eines oder mehrerer Dörfer gemeinsam vorgenommen werden, ist deshalb ein stabilisierendes Element in der südosteuropäischen Gesellschaft.

In einem letzten kurzen Kapitel zeigt Kreuter anhand einiger ausgewählter Beispiele des fiktionalen Vampirs, wo uns diese besondere Art des Wiedergängers überall begegnen kann. Zwar ist die Information, dass sich im Internet ein Computerspiel im Vampirstil zum Herunterladen befindet, äußerst amüsant, doch es leuchtet nicht so recht ein, warum der Autor, nachdem es ihm vielfach überzeugend gelungen ist, das Bild des Vampirs aus der Hülle der Fiktion herauszuschälen, nun jene fiktionalen Figuren benutzt, um seine Arbeit abzurunden.

Kreuter gibt in seiner Arbeit einem vergleichenden kulturwissenschaftlich-religionswissenschaftlichen Ansatz den Vorzug, ohne historische, psychologische, etymologische, geografische und anthropologische Überlegungen zu vernachlässigen. Diese Vorgehensweise überzeugt und macht das Buch sympathisch. Es belehrt, ohne belehrend zu wirken und gewinnt durch einen spannenden interdisziplinären Ansatz sowie eine unverkrampfte Sprache.

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