B.J. Dotzler u.a.: Mediengeschichte als Historische Techno-Logie

Cover
Titel
Mediengeschichte als Historische Techno-Logie.


Autor(en)
Dotzler, Bernhard J.; Roesler-Keilholz, Silke
Erschienen
Baden-Baden 2017: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
249 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Henrich-Franke, Historisches Seminar, Universität Siegen

Medienwissenschaft und Mediengeschichte öffnen sich in den letzten Jahren zunehmend technischen und technikhistorischen Fragestellungen, die neben medialen Inhalten thematisiert und analysiert werden. Angestoßen von einem sich durch Digitalisierungsprozesse grundlegend wandelnden Medienensemble, einer beispiellosen Verschmelzung bisher getrennter Einzelmedien sowie einer Bedeutungszunahme von Medien im Alltag der Menschen werden neue Fragen an die Technikgeschichte der Medien gestellt. Der „heutige Mensch“ – so auch das Argument des hier zu besprechenden Buchs – muss in der digitalen Welt mediale Grundkenntnisse zur eigenen gesellschaftlichen Orientierung und Positionierung besitzen. Dabei sollte der „Digital Native“ auch die ältere Mediengeschichte kennenlernen, denn erst durch sie werden digitale Medien in ihrer gewachsenen Vielschichtigkeit verstehbar. Die Autoren sehen es gar als eine Notwendigkeit an, Mediengeschichte als Teil der Allgemeinbildung zu etablieren. Mediengeschichte ist – so eine der Botschaften – nicht Geschichte medialer Inhalte, sondern ihrer Technologien und ihrer technischen Logiken, die im Digitalen miteinander verschmelzen. Das Internet transportiert Daten nicht nur, sondern es vernetzt und überwacht diese auch, wobei das Geschäfts-, Politik- und Machtprinzip von „Big Data“ vorherrschend geworden ist.

Die Autoren möchten dem Leser auf einem langen Weg durch die Geschichte der Medien die Überraschung über die Gefahren des Internets nehmen. Der National Security Agency (NSA)-Skandal oder die wiederholten Enthüllungen über die Verletzungen von Bank-, Post- und Informationsgeheimnis sollen den Leser zwar keineswegs weniger empören, ihn doch aber weniger überraschen. Ausgehend von der Kenntnis der historischen „Techno-Logien“ der Medien soll der Leser den Zusammenhang von Medien und Wissen besser verstehen lernen. Es geht den Autoren darum zu zeigen, dass Medien das „Wissen der Welt“ nicht nur vermitteln und darstellen, sondern es erzeugen: Medien verkörpern Wissen entsprechend ihrer eigenen Logik und sie prägen Wissen entsprechend ihrer spezifischen Muster.

Das Buch gliedert sich in insgesamt acht Kapitel, die sich jeweils chronologisch aufeinanderfolgend acht medialen Technologien widmen: der Schrift, der Fotografie, dem Film, der Fonografie und Grammofonie, dem Radio, dem Fernsehen, dem Computer und dem Internet. Die Autoren arbeiten sich so schrittweise durch die Mediengeschichte, um Puzzlestück für Puzzlestück zu einem die digitale Medienwelt erklärenden Ganzen aneinander zu fügen. Erst durch die Historisierung digitaler Medien lässt sich deren Komplexität ausloten. Zunächst lokalisieren sie als „Techno-Logie“ der Schrift die Transportierbarkeit und Speicherung von Informationen sowie die Entkopplung von Kommunikation und Interaktion. Der Buchdruck brachte die Serialität, die Standardisierung und die Massenmedialität. Über die Wandlung und Rückwandlung akustischer Daten durch das Grammofon, die unsichtbare, aktuelle und senderreale Konnektivität beim Radio bis hin zur Programmierbarkeit und Algorithmisierung durch den Computer schichten die Autoren die „Techno-Logien“ der Mediengeschichte in- und übereinander, um sich ihrem eigentlichen Ziel zu nähern, einem Postskriptum zur „Smartphone-Kultur“, in dem sie noch einmal die klare Botschaft des Buchs offenlegen: In der Vernetzung aller historisch entstandener Techno-Logien kippt beim Smartphone das Moment der Teilhabe in Überwachung. Denn „die heutige Smartphone-Kultur lässt sich als ein Netz aus lauter Netzen (aus Telefonnetz, Nachrichtennetz, Kommunikationsnetz etc.) begreifen; es kann große (die NSA) und kleine Fische (den Flüchtling) fangen, vor allem aber einen selbst durch das Abfragen von persönlichen Daten verorten und manipulieren“ (S. 238).

Das Buch besticht durch die Konsequenz der Darstellung. Die einzelnen Kapitel liefern sukzessive einen Beitrag zum Gesamtnarrativ und machen deutlich, dass Medien nicht nur Wissen über die Welt vermitteln, sondern gleichfalls die Welt machen. Nichtsdestotrotz bleiben die Ausführungen für den (Medien-)Historiker, der der Rezensent nun einmal ist, in einigen Kapiteln zu holzschnittartig. Zusammenhänge werden mitunter zu stark zerrissen oder vereinfacht, um die gewählte Genealogie bedienen zu können. Zudem verwundern Inkonsistenzen. So wird die Schrift generell als mediale Techno-Logie herausgegriffen, ebenso das Telefon, Radio und Fernsehen, aber das gesamte Prinzip des Funks oder auch des Satelliten – zwei Meilensteine in der Entwicklung von mobilen Medien und Medienwelten – bleiben entweder unerwähnt oder ihre Bedeutung wird einseitig dem Rundfunk zugesprochen, der aber wiederum nur eine Funkanwendung unter vielen ist. Hier wäre etwa der mobile Landfunkdienst eine beachtenswerte Techno-Logie gewesen, stellt er doch technisch in vielerlei Hinsicht eher einen Vorläufer des Smartphones dar als das normale Telefon. Dies überrascht, sehen doch die Autoren aufgrund der Mobilität des Smartphones kein Entkommen aus der Überwachungsgesellschaft. Erschwerend wirkt die mitunter sehr umständliche Sprache, die den Lesegenuss deutlich einschränkt. Das Buch ist in seiner Argumentation und seinem Narrativ medienwissenschaftlich konzipiert und deshalb für den Historiker – auch der Medien – nicht immer leicht erschließbar.

Den kritischen Punkten zum Trotz kann der Rezensent den Band Mediengeschichte als Historische Techno-Logie zur Lektüre empfehlen, bietet er doch einen unkonventionellen Zugriff zur Geschichte und Funktionsweise digitaler Medien.

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