B. Stanley: Christianity in the Twentieth Century

Cover
Titel
Christianity in the Twentieth Century. A World History


Autor(en)
Stanley, Brian
Erschienen
Anzahl Seiten
XXII, 477 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gisa Bauer, Theologische Fakultät, Universität Leipzig

Weltgeschichten des Christentums haben in Zeiten der Globalisierung Konjunktur. Unmittelbar nach dem Erscheinen des dritten Bandes der für den deutschsprachigen Raum konzipierten „Geschichte des globalen Christentums“ unter Ägide des renommierten dänischen Kirchenhistorikers Jens Holger Schjørring1 legt nun der Professor für „World Christianity“ und Direktor des „Centre for the Study of World Christianity“ an der Universität Edinburgh, Brian Stanley, seine „World History“ für das 20. Jahrhundert vor, zugeschnitten auf eine englischsprachige Leserschaft.

Stanley, der sich mit zahlreichen missionshistorischen Publikationen als Experte der weltweiten Verbreitungsgeschichte des Christentums etablierte, präsentiert eine ambitionierte Untersuchung, die auf knapp 500 Seiten und in 15 Hauptkapiteln nichts Geringeres versucht, als die Entwicklung des Christentums von einer durch die europäische Kultur und Politik geprägten Religion zu einem sich multikausal ausbreitenden polyzentrischen Glauben aufzuzeigen. Um es vorwegzunehmen: Das gelingt Stanley durchaus, wobei die Finesse des Buches in seinem Aufbau besteht. Der Verfasser geht thematisch, nicht chronologisch vor und zieht für die Exemplifikation der Themen regional teilweise vollkommen disparate christliche Kirchen heran. Dadurch wird schnell klar, dass es sich bei dem globalen Christentum um zahlreiche „Christentümer“ mit je eigenen regionalen Verwurzelungen, Entwicklungsgeschichten und sogar in sich disparaten multikulturellen Charakteristika handelt. Der für gewöhnlich vorausgesetzte Zusammenhang von Konfession und Region oder von Region und Chronologie wird in Stanleys Bearbeitung aufgebrochen; die polyzentrische Struktur des Weltchristentums spiegelt sich bereits in der Anlage des Buches wider. Diesem Vorgehen ist eine evidente Analogie zur allgemeinen Globalgeschichtsschreibung eigen, deren zeitlich-räumliche Modellierung getrennten Entwicklungen von Räumen mit je eigener Zeit in multizentrischer Grundlegung folgt.

Im ersten Kapitel „Wars and Rumors of Wars“ geht Stanley in der Kombination der Beispiele noch konventionell vor: Dargestellt werden hier die Reaktionen der britischen und US-amerikanischen Kirchen auf den Ersten Weltkrieg. Die in diesem Zusammenhang erörterte Entstehung des Fundamentalismus in Nordamerika während der Zwischenkriegszeit fällt zwar in seiner Gesamtheit etwas aus dem zeitlich gesteckten Rahmen, gehört aber mit seinen ersten Aufbrüchen in die thematisierte Zeit.

Mit dem zweiten Kapitel beginnen die ausgesprochen originell nebeneinandergestellten paradigmatischen Darlegungen zu verschiedenen Themenkomplexen. Unter dem Titel „Holy Nations?“ werden die unguten Verbindungen von Christentum und Nationalismus erläutert: anhand der Verquickung des als modern und progressiv wahrgenommenen Protestantismus mit der nationalen Identität in Korea sowie am Beispiel des römisch-katholischen Nationalismus in Polen – eine eher ungewöhnliche Kombination in den Debatten um das Zusammengehen von Nationalismus und Christentum.

Nicht alle derartigen Kombinationen erscheinen gelungen; die Brüche zwischen ihnen führen mitunter zu Irritationen. So wird die staatliche Unterdrückung von Kirchen im vierten Kapitel anhand der Situation in Frankreich 1901 bis 1908 und der Sowjetunion von 1917/18 bis in die 1970er-Jahre dargestellt. Die Verquickung von Christentum, ethnozentrischem Hass und Genozid wird im siebenten Kapitel am Beispiel Deutschlands in der Zeit von 1933 bis 1945 sowie Ruandas vom Beginn des Jahrhunderts bis zu den Gewaltexzessen 1994 geschildert. Im elften Kapitel „Doing Justice in South Africa and Canada“ geht es um die Menschenrechte und die Themen „Rasse“ und „Indigenität“. Dabei erläutert Stanley zunächst, wie Christen in Südafrika die Apartheid teils unterstützten, teils ablehnten, und anschließend, welche Rolle die protestantischen und römisch-katholischen Kirchen für die kanadischen Wohnheimschulen spielten, die wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen an indigenen Kindern in Verruf gerieten. Solche Fälle liegen inhaltlich zu weit auseinander, als dass der Kontrast produktiv sein könnte.

Andere Abschnitte wiederum bilden konsistentere Einheiten, so etwa das zwölfte Kapitel zu „A Noise of War in the Camp: Human Rights, Gender, and Sexuality“, das das elfte Kapitel in der Unterstreichung der besonderen Bedeutung der Menschenrechte für das 20. Jahrhundert fortführt, oder das vierzehnte Kapitel zur Orthodoxen Kirche. Den geographischen Fokus richtet Stanley bei der Präsentation des Themenkomplexes „Menschenrechte – Gender – Sexualität“ auf die australische anglikanische Kirche und ihre Diskurse um die Frauenordination sowie auf die US-amerikanischen Kirchen und die dortigen Debatten um Rechte für Homosexuelle. Im Kapitel „The Eastern Orthodox Church and the Modern World“ werden nach der Erörterung der Orthodoxie in Griechenland und der Türkei, der orthodoxen Vorstellung von „rein“ und „unrein“ sowie der spezifisch orthodoxen Haltung zum Nationalismus und der Bedeutung des Berges Athos die orthodoxe Missionstätigkeit in Afrika und die dortige Expansion des orthodoxen Christentums dargestellt. Auch das dreizehnte Kapitel zum pentekostalen Christentum (Pfingstbewegung) sowie speziell zum Pentekostalismus in Ghana und Brasilien bildet eine homogene Einheit, nicht zuletzt aufgrund des dem Pentekostalismus inhärenten Universalismus.

In der Gesamtheit entsteht das Bild eines imposanten Straußes vielfältiger, ausdifferenzierter, häufig widersprüchlicher Entwicklungsgeschichten des Christentums unterschiedlicher regionaler Provenienz. Historische, chronologische und kausale Zusammenhänge zwischen den einzelnen „Christentümern“ kommen dabei zwar kaum in den Blick. Doch werden die einzelnen Kapitel durch die sie abschließenden thematischen Zusammenfassungen gebündelt und abgerundet.

Naturgemäß kann eine auf multizentrische Globalität angelegte Weltgeschichte des Christentums, wie es Brian Stanleys illustres Buch ohne jeden Zweifel ist, auf dem begrenzten Raum einer solchen Synthese kaum in die Tiefe und vor allem nicht in die Breite der historischen Darstellung gehen. So bleiben zum Beispiel das interreligiöse Verhältnis und Konflikte des Christentums mit anderen Religionen weitestgehend ausgespart, ebenso wie mediale Diskurse oder Rezeptionen. Aber gerade angesichts der Grenzen der Untersuchung sind die historischen Skizzen sehr pointiert und konzise. Besonders die thematischen Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel eignen sich als Überblicke oder Einführungen in das jeweilige Problemfeld auch hervorragend für die Arbeit mit Studierenden. Generell regen die originellen Zusammenstellungen der Zeiten und Räume zum eigenen Nachdenken an und sind dem Lesevergnügen ausgesprochen förderlich. Wohl nicht zuletzt deshalb erhielt das Werk seit seiner Veröffentlichung bereits mehrere herausragende Buchpreise.

Anmerkung:
1 Jens Holger Schjørring / Norman A. Hjelm / Kevin Ward (Hrsg.), Geschichte des globalen Christentums, Teil 3: 20. Jahrhundert, Stuttgart 2018.