T. Adam: Philanthropy, Civil Society, and the State in German History

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Titel
Philanthropy, Civil Society, and the State in German History 1815–1989.


Autor(en)
Adam, Thomas
Reihe
German History in Context
Erschienen
Woodbridge 2016: Camden House
Anzahl Seiten
X, 223 S.
Preis
€ 84,99; £ 60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Flemming, Hamburg

Die Erforschung des Bürgertums, die seit den 1980er-Jahren verstärkt in den Fokus der Historiker gerückt ist, hat den Blick nicht nur für die sozialen und wirtschaftlichen, sondern auch für die kulturellen Dimensionen der bürgerlichen Existenz geschärft. Vor allem hier manifestierte sich jenes Ensemble von Werten und Verhaltensweisen, für das der Begriff „Bürgerlichkeit“ steht. Darin spiegelte sich der Glaube an die regulierende Macht der Vernunft, an die Autonomie des fortwährend sich vervollkommnenden Individuums, das sich durch Leistung zu bewähren hatte, Kennerschaft und Genuss in der Kunst, Musik und Literatur demonstrierte. Bildung, Wissenschaft und Erziehung waren Fixsterne im bürgerlichen Wertehimmel. Daran teilzuhaben, war Signalement und Statussymbol, stiftete ein Bewusstsein von Gemeinsamkeit, war Ausdruck universeller Ansprüche, auch ein Wechsel auf die Zukunft, gewissermaßen eine emanzipatorische und egalitäre Verheißung. Denn die Gesellschaft als Ganzes sollte verbürgerlichen, eine Gesellschaft der Bürger werden. Deren Angehörige sollten befähigt werden, sich die moralischen, die politischen und sozialen Ideale des Bürgertums anzuverwandeln.

In diese Kontexte gehört die Philanthropie – oder dem deutschen Sprachgebrauch vertrauter: das bürgerliche Mäzenatentum, also die aus eigenen Stücken verfügte Gabe von Geld, um die Künste und einzelne Künstler, akademische Institutionen und Projekte sowie die soziale Wohlfahrt voranzubringen. Auf die Formen und Motive dieser Praxis in Deutschland lenkt der amerikanische Historiker Thomas Adam, bekannt durch eine Reihe thematisch einschlägiger Studien, das Augenmerk. Auf der Grundlage zeitgenössischer und neuerer Literatur, nicht jedoch archivalischen Materials bietet er einen fundierten, von zahlreichen Beispielen begleiteten Überblick über die Entwicklung und den Stellenwert von Stiftungen und gemeinnützigen Einrichtungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Vor allem drei Beobachtungen und Befunde verdienen Beachtung. Ob das im Ergebnis einer „radikalen“ Reinterpretation (S. 1) der deutschen Geschichte gleichkommt, wie der Autor formuliert, mag allerdings dahingestellt sein.

Schauen wir zunächst auf das, was in der Darstellung den größten Raum einnimmt: auf das "lange" 19. Jahrhundert, speziell auf das Kaiserreich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. An dessen Vorabend erreichten die mäzenatischen Aktivitäten mit Vermögenswerten von ungefähr 50 Milliarden Mark ihren Gipfelpunkt: Deutschland war damit, konstatiert Adam, eine „Supermacht in der Welt der Philanthropie“ (S. 124), übertraf die Vereinigten Staaten ebenso wie Großbritannien. Verantwortlich dafür waren größtenteils bürgerliche Geldgeber, die das Engagement fürstlicher und monarchischer Gönner im Laufe der Jahre deutlich übertrafen. Darin kam der infolge industrieller und geschäftlicher Expansion enorm angeschwollene Reichtum der bürgerlichen Wirtschaftseliten zum Ausdruck, die im Feld der Stiftungen und Schenkungen, der Kunst-, Wissenschafts- und Wohlfahrtspflege vergleichbaren Bemühungen der Aristokratie den Rang abliefen, diese teils ablösten und überflügelten, teils aber auch mit ihr kooperierten. Rudolf Martin verzeichnet in seinem „Handbuch“ für 1902 mehr als 16.000 Millionäre (S. 125).

Die Formen, die man wählte, waren unterschiedlich, organisiert in individuellen oder kollektiven Stiftungen. Ein zunehmend sich verzweigendes Assoziationswesen, Museums-, Bibliotheks- und andere Kulturvereine, half den staatlichen oder kommunalen Einrichtungen, mithilfe von Schenkungen und Zuschüssen ihre Bestände zu vermehren, zweckdienliche Gebäude und Ateliers zu errichten und zu erhalten. Dass dabei ein erhebliches regionales Gefälle zu beobachten war, generell zwischen Stadt und Land, zwischen agrarischen und industrialisierten Bezirken, auch dass Berlin ein Zentrum des Mäzenatentums im Kaiserreich war und die junkerliche Güterwirtschaft östlich der Elbe Zurückhaltung walten ließ, ist wenig verwunderlich.

Gab es – zweitens – einen kausalen Nexus zwischen politischem System und Mäzenatentum? Diese Frage – so der Autor – weist über den deutschen Fall hinaus. Aufgeworfen hatte sie bereits Alexis de Tocqueville in seinem Amerikabuch. Die aus dem Augenschein gewonnene Antwort lautete, dass Assoziationen, die nicht politischen oder wirtschaftlichen, sondern philanthropischen Zwecken dienen, sowohl Voraussetzung als auch Ausdrucksform freiheitlicher Ordnungen seien. Es bestehe also ein unauflöslicher Zusammenhang zwischen dem Gedeihen der Zivilgesellschaft und dem der Demokratie. Diese These auf das Kaiserreich gewendet, erweist sich jedoch als nicht haltbar. Im Gegenteil, im Gehäuse des autoritären Obrigkeitsstaates entfaltete sich ein reich gegliedertes, nicht von oben organisiertes, sondern bürgerschaftlich initiiertes und getragenes Ensemble von individuellen und kollektiven Anstrengungen zur Beförderung des öffentlichen Wohls. Insofern lasse sich schwerlich behaupten, folgert Adam, dass Philanthropie generell eine „demokratisierende Kraft“ sei (S. 7). Allerdings, und das ist die andere Seite der Medaille, konnten mäzenatische Kulturvereine durchaus als Pflanzschulen zur Einübung demokratischer Verfahrens- und Verhaltensweisen fungieren, so wenn dort jedes Mitglied in Entscheidungsprozessen die gleiche Stimme in die Waagschale werfen konnte. Darüberhinaus gewährten nicht alle, aber doch einige von ihnen einzelnen reichen Frauen, die im politischen Leben der Nation ansonsten keinen Ort hatten, Zutritt, Sichtbarkeit und Mitwirkung. Deren Aktivitäten richteten sich, was der Autor am Beispiel Leipzig illustriert, überwiegend auf die Unterstützung sozialer und erzieherischer Projekte, nicht jedoch oder nur in marginalem Umfang auf Museen, Bibliotheken oder wissenschaftliche Einrichtungen, insofern das patriarchalische Rollenverständnis der wilhelminischen Gesellschaft nicht aufhebend, sondern bestätigend.

Die Blütezeit des deutschen Mäzenatentums endete ziemlich abrupt in den Jahren nach der Zeitenwende von 1914. Zur Finanzierung ihrer Kriegsanstrengungen bewegte die Reichsleitung die Stiftungen, ihre Vermögenswerte in gut verzinste Kriegsanleihen umzuschichten. Das mochte ein wirtschaftlich vernünftiges Investment sein, jedoch nur dann, wenn Aussicht bestand, den Krieg zu gewinnen. Als sich dies in ein Wolkenkuckucksheim verwandelte, wurden die Stiftungskapitalien in den Prozessen zur Bewältigung der Niederlage weitgehend entwertet, teils durch die galoppierende, von der Politik beförderte Inflation, teils durch die Aufwertungs- und Ablösegesetzgebung vom Juli 1925, hinter der sich in Wahrheit ein radikales Abwertungsprogramm verbarg. Der Staat entschuldete sich damit auf Kosten der Bürger und der zahlreichen mäzenatischen Einrichtungen, die 1914/18 im Vertrauen auf den Sieg und die Verlässlichkeit der von der Regierung verkündeten Versprechen Anleihen gezeichnet hatten. Eine solche im Nominalwert von 100 war danach nur noch 2,50 Mark wert. Die Stiftungen gerieten im Zuge dieser Entwicklung in finanzielle Abhängigkeit vom Staat. Hinzu kam, dass sie – falls in Bedrängnis geraten – liquidiert oder zusammengelegt werden konnten. Im Ergebnis wurden zivilgesellschaftliche Initiativen zugunsten des öffentlichen Wohls von der Republik schwer in Mitleidenschaft gezogen. Tocquevilles These, wonach zivilgesellschaftliche Strukturen der Nährboden der Demokratie seien, bewahrheitete sich hier jedenfalls nicht.

Sich für das bonum commune zu engagieren, verhieß Reputations- und Distinktionsgewinne; auch steckte darin die Erwartung, dass der Name des Stifters über den Tod hinausgetragen würde. Schließlich – und dies wäre der dritte der eingangs angekündigten Aspekte – verband sich damit der Wunsch, die Gesellschaft nach dem eigenen Bilde, nach den Wertvorstellungen des Bürgertums zu formen oder doch wenigstens zu beeinflussen. Das lässt sich im Schul- und Universitätswesen ebenso beobachten wie im Bereich eines gemeinnützigen, reformerischen Wohnungs- und Siedlungsbaus. Namentlich auf kommunaler Ebene arbeiteten Vereinigungen unterschiedlicher Rechtsform (Genossenschaften und Baugesellschaften, teils ohne, teils mit gedeckelten Profiterwartungen) an der Produktion bezahlbarer Behausungen für die Familien der Arbeiterklasse. Diese sollten – als Krankheitsprophylaxe – modernen hygienischen Standards genügen, zugleich die Mieter erziehen und diese zu einem an bürgerlichen Normen orientierten Lebenswandel animieren. Insofern hatte man mit dergleichen Projekten ein doppeltes Ziel vor Augen: zum einen die bauliche Verbesserung der Mietshäuser und Unterkünfte, zum andern durch Erleichterung der Lebensumstände soziale Verhaltensänderungen der Bewohner, um auf mittlere Sicht aus Arbeitern Bürger zu machen. Ob und inwieweit dies erreicht wurde oder überhaupt erreicht werden konnte, bleibt in Adams instruktiver Studie allerdings offen.