D. Eugster: Schweizer Werbebranche

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Titel
Manipuliert!. Die Schweizer Werbebranche kämpft um ihren Ruf, 1900–1989


Autor(en)
Eugster, David
Erschienen
Zürich 2018: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
319 S.
Preis
€ 48,00; CHF 48.00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Wendelin Brühwiler, Historisches Seminar, Universität Zürich

Bis auf den heutigen Tag bleibt die Wirksamkeit von Werbung unklar. Mit den damit einhergehenden Verlegenheiten, die ihre Bedeutung für das wirtschaftliche Geschehen wie auch ihren Status als distinkte Kommunikationsform betreffen, hat David Eugster einen eleganten Umgang gefunden: Sie werden kulturgeschichtlich flankiert. Seine aus einer Dissertation an der Universität Zürich hervorgegangene Studie rückt Werbung als Veranstaltung in den Blick, die von betriebswirtschaftlichen Rationalisierungen des Warenabsatzes dezentriert bleibt, und verläuft über eine spezifische Forschungsprämisse: Werber/innen und Konsument/innen – nicht Hersteller/innen und Verbraucher/innen oder Anbieter/innen und Abnehmer/innen – bilden das entscheidende „Kommunikationspaar[]“ (S. 10).

Dieser Zugang eröffnet erstens eine kritische Perspektive auf die mit dem Titel aufgerufenen Gegenstimmen, welche in der Werbung eine latente Gefährdung des urteilsfähigen Einzelnen erkennen. Er erlaubt die Untersuchung eines eigenständigen Diskurses, der an der Wende zum 20. Jahrhundert den „im 19. Jahrhundert absterbenden wissenschaftlichen Diskurs um die Macht der Rhetorik“ beerbe (S. 9). Zweitens gerät Werbung als Phänomen in den Blick, das immer schon auf Beobachtung und Sekundärverhandlung angewiesen ist. Dementsprechend bilden die zentrale Quellenbasis Zeugnisse aus der Werbebranche – Branchenpublikationen („Der Kaufmann“, „Schweizer Reklame“, „Die Idee“, „Werbewoche“)1, Firmenarchive sowie Gespräche mit Zeitzeugen. Auf dieser Grundlage wird eine Diskurs- und Kulturgeschichte der Werbung in der Deutschschweiz von der Zwischenkriegszeit bis in die 1980er-Jahre entwickelt, die wesentlich über den schweizerischen Kontext hinausreicht und ihre Brisanz vor allem in der Nachkriegszeit entfaltet.

Die Untersuchung beginnt mit einem kurzen Kapitel zu den „Vorbedingungen um 1900“ (Kapitel 2). Darin skizziert Eugster die Vermittlungserfordernisse einer räumlich ausgreifenden Wirtschaft und die damit einhergehenden Thematisierungen manipulativer Potentiale. Dieser Auftakt steht in einer Spannung zur nachfolgenden Ausrichtung der Arbeit; die hier ins Spiel gebrachte „Kommunikation“2 zwischen Herstellern und Verbrauchern wird in der Folge nicht mehr thematisiert. Eugster rollt also eine Kontrastfolie aus, welche die Periodisierungsentscheidung nicht ganz befriedigend motiviert.3 Nicht der hier skizzierte kritische Grundriss ist für die Arbeit ausschlaggebend, sondern die Immanenz eines kommunikativen Geschehens diesseits des 19. Jahrhunderts.

So beginnt die Geschichte im oben ausgelegten Sinn mit der Professionalisierung des Berufsfelds und mit der Konsolidierung einer mit dem nationalen Mediensystem gekoppelten Branche in den 1920er-Jahren. Werbung wurde im frühen 20. Jahrhundert zu einem ökonomischen Faktor, der alsbald seine Unverzichtbarkeit für die Konsumexpansion glaubhaft zu machen verstand. Die Selbstlegitimierung erfolgte über die Abgrenzung von „Scharlatanen“ und „Amateuren“ durch brancheninterne Disziplinierung sowie die fortgesetzte Beteuerung der eigenen Aufrichtigkeit und Aufklärungsleistungen nach aussen (Kapitel 3). Die Etablierung der Werbung als legitime (und nützliche) Form der Kommunikation blieb allerdings im Bann kulturkritischer Gegenkräfte lange prekär.

Vor dem Hintergrund massenpsychologischer Theorien monierten Kritiker unterschiedlicher politischer Couleur seit der Zwischenkriegszeit eine suggestive Beeinflussung durch die Werbung. Ab den späten 1940er-Jahren verlor diese Kritik zwischenzeitlich an Schärfe (Kapitel 4). Gleichzeitig ergab sich unter den Werber/innen und Werbetheoretiker/innen ein „gleitende[r] Umbau des Rezeptionsmodells“ (S. 64). Man ging von einer Suggestionstheorie zu einer „Rhetorik der Latenz“ (ebd.) über. Das eigene Tun wurde dahingehend rationalisiert, dass man keine Bedürfnisse erschaffe, sondern bereits angelegte Bedürfnisse zur Entfaltung bringe. Unterstützt wurde diese Akzentverschiebung durch die politischen Diskurse der aufziehenden Blockkonfrontation, in denen die Werbebranche nun als Akteur im Kampf um eine freiheitliche Gesellschaftsordnung neue Legitimität gewann.

Indessen vermochte das veränderte geopolitische Umfeld die „massenpsychologische Medienanthropologie“ (S. 94) nicht ganz aus dem Feld zu schlagen. An die Stelle einer Angst vor kommunikativer Suggestion trat ab den späten 1950er-Jahren eine Angst vor medientechnischer Manipulation (Kapitel 5). Im „hidden persuader“ – ein durch den amerikanischen Journalisten Vance Packard in Umlauf gebrachter Begriff –, der im Verborgenen unbemerkt Einfluss nimmt, fand diese Angst eine prägnante Ausdrucksform. Anhand des Zürcher Werbers Rudolf Farner, eines Pioniers des Public Relations Managements, widmet die Arbeit der Figur eine schillernde Vignette, in der sich Erzählung und gesicherte Tatsachen überkreuzen, reale und fiktive Personen überblenden und die Frage nach Beeinflussung überhandnimmt und unverhandelbar wird.

Nachhaltiger Einfluss ging allerdings noch immer von einer konservativen Kulturkritik aus, die dem Image der Werbebranche zusetzte. Gleichzeitig gewann die Konsumpolitik an Gewicht. Konsumentenverbände, das aus der bürgerlichen Frauenbewegungen hervorgegangene Konsumentinnenforum und die linke Stiftung für Konsumentenschutz wendeten die Kritik Packards und anderer in emanzipatorische Programme, welche Eugster als eine „Keimzelle der Figur des starken, kritischen Konsumenten“ (Kapitel 6, S. 108) wertet. Dies hatte institutionelle Folgen: die Einrichtung einer parlamentarischen Kommission und sodann eines in der Bundesverwaltung angesiedelten Büros für Konsumentenfragen. Aber auch die Werbebranche verstand es, sich dem veränderten Bild der kritischen Konsument/innen anzupassen. Ihre Kampagnen affirmierten nun offensiv einen „starken“ Konsumenten (und öfter noch eine „starke“ Konsumentin).

Mit den 1960er-Jahren schlägt die Untersuchung einen neuen Weg ein. In den Fokus geraten die Ausdrucksformen und Aktionsmodi der Gegenkultur und ihre Absorption durch die Werbebranche (Kapitel 7). Gleichzeitig verlagert sich die methodische Akzentuierung von einer Diskursgeschichte zur Kulturanalyse. Der neue „Imperativ der Kreativität“ schloss auch die Konsument/innen ein. So wurde Werbung nun vermehrt als Gespräch verstanden und dialogisch formatiert (S. 141). Am Beispiel der Kampagnen der Basler Agentur Gerstner, Gredinger & Kutter zeigt Eugster die praktische Ausgestaltung der neuen Formate auf. Ausserdem gelingt es ihm, Resonanzen zwischen Werbestrategien und dem künstlerisch-literarischen Ausbruch aus der „Igel-Mentalität“ der 1950er-Jahre zu verdeutlichen. Werbung wurde in der Folge vermehrt als unernstes Spiel4, als Animations- und Unterhaltungsveranstaltung aufgefasst, bei der die Informations- und Aufmerksamkeitsleistungen eher beiläufig anfallen.

Im Laufe der 1970er-Jahre kam die Annäherung der Werbung an künstlerische Programmatiken und die Alternativ- und Popkultur ins Stocken. Zugleich fand die Kritik an der Werbung eine Heimat in der neuen Linken (Kapitel 8).5 Hier trat nun eine neue Grundkonstellation auf: Die Werbekritik richtete sich nicht mehr im Namen der Wahrheit, der Moral, des Realismus gegen die Werbung, vielmehr konkurrierten Ideologiekritik und Werbeindustrie mit vergleichbaren Mitteln um Dritte – die hedonistischen Subjekte. Aus der Allianz des Aufbruchs der 1960er-Jahre war ein Antagonismus geworden, dessen eine Seite die umfassenden Bedürfnismanipulationen der Konsumgesellschaft denunzierte und dessen andere Seite, durch die Wachstumskrise ab 1973 verunsichert, das freie Spiel der kommunikativen Kräfte betonte, nicht ohne dessen Gefährdung durch einen neuen „Kulturmarxismus“ zu beschwören. Diese Phase begreift Eugster als „Übergangszeit [...], in der sich die Branche zunehmend ungewillt zeigte, sich weiterhin zu legitimieren“ (S. 203).

Neue Legitimation erwuchs der Werbung indessen aus den kommunikationswissenschaftlichen Forschungsinstituten, welche das Feld der massenpsychologisch grundierten Stimulus-Ansätze hinter sich gelassen hatten und zu kognitionswissenschaftlich fundierten individualistischen Modellen übergegangen waren (Kapitel 9). In den Selbstzeugnissen der Branche zeigte sich nun insgesamt eine Entskandalisierung strategischer Kommunikation: Werbung war „nur noch eine Quelle der Beeinflussung unter vielen“ (S. 221). Das Subjekt – oder eher: das Individuum – war in diesem neuen Rahmen gleichsam Herr im eigenen Haus geworden: „Die Wahlfreiheit des Konsumenten vor dem Regal wurde in den Bereich der Kommunikation übertragen.“ (S. 224) Auf Basis dieser neuen Grundauffassung positionierten sich Werber/innen ab den frühen 1980er-Jahren dann als „coole Marktversteher“ (S. 227). Werbekritik kam einer elitären Anmassung gleich, die auf eine Bevormundung der Konsument/innen hinauslief (Kapitel 10).

Damit kommt das Argument im engeren Sinn an ein Ende. Als politisch angespitzte Geschichte der Kommunikation wird die damit erreichte Konstellation unter Stichworten wie „Marktdemokratie“ (S. 242) oder „Filter Bubble“ (S. 248) zwar noch näher an die Gegenwart herangeführt (Kapitel 11). Bei diesem Ausblick in die durch Monopoltendenzen geprägte Gegenwart wird die Forschungsprämisse, deren Nachteil man überall dort schon vermutet hat, wo eine operative Konvergenz von Kommunikationsinfrastrukturen und betriebswirtschaftlichen Strategien im Raum steht, allerdings zur manifesten Schwäche: Die Arbeit ist medienblind. Die Medieninfrastruktur spielt keine Rolle. Die Werbegrafik wird ebensowenig als spezifische Form thematisiert wie Radio oder Fernsehen. Man kann Eugster also die Medien(technik) entgegenhalten, aber auch regulatorische Aspekte bleiben im Hintergrund. Auch dies ist ein Effekt der eingangs dargelegten Zugangsweise. Die Fokussierung des intermediären Dritten (des Werbers) als ein im Werbediskurs auf die Ebene eines (primären) Kommunikationspaars Aufrückender erlaubt die indirekte Erschliessung anderer dritter Instanzen, bringt aber die Gefahr mit sich, diese zu unterschätzen. Eine solche revolvierende Bewegung vollzieht die Arbeit beispielsweise in Kapitel 6, welches mit der Konsumentenschutzbewegung die Ebene institutioneller Politik betont und diese in ihrer Bedeutung für die Ablösung des „schwachen“ durch einen „starken“ Konsumenten unterstreicht. Als Faktoren dieser Ablösung kommen im Gesamtargument aber die Kommunikationskonzepte ungleich stärker zur Geltung. Dabei fällt die Beurteilung der ersten Jahrhunderthälfte, in der Konsum stärker national geprägt war und auch eine (in der Arbeit vernachlässigte) erste Konjunktur psychotechnischer Rationalisierungen in den 1920er-Jahren mit sich brachte6, hinter die pointierten Einsichten zur Phase zwischen ca. 1950 und 1980 zurück.

Eugsters Befunde bieten Aufschluss über die Grundfrage nach dem Eigenwert von Kommunikation und nach den Diskursen, welche die entsprechenden Veranstaltungen prägen. Wie er zeigen kann, lösen sich in den Selbstthematisierungen der Werber im Verlauf des 20. Jahrhunderts eine Reihe ebensolcher Diskurse auf komplexe Weise ab. Dies mit hohem empirischen Auflösungsvermögen offenzulegen – darin liegt die grosse Leistung der Untersuchung. Dabei ergeben sich belastbare Anhaltspunkte zur Performativität der Selbstthematisierungen, die auch schlüssig mit politischen und kulturellen Entwicklungen verknüpft werden. Hingegen setzt die Arbeit kaum institutionelle und keine infrastrukturellen Kontrapunkte, sodass die argumentative Last immer wieder auf die Forschungsprämisse zurückfällt. Das ist zu verschmerzen, zumal gerade sie es Eugster erlaubt, nicht seinerseits in kultur- oder ideologiekritische Muster zu verfallen und stattdessen eine Diskursentwicklung nachzuzeichnen, die vor Augen führt, wie sich ökonomisch-kommerzielle und kulturell-politische Motive ineinander verkeilt haben.

Anmerkungen:
1 Die Romandie, beispielsweise die in Lausanne verlegte Branchenzeitschrift „Succès“ (1926–1934), ist nicht Teil dieser Quellenbasis.
2 Zu dem über den Schnittpunkt von Logistik und „Ansprache“ verlaufenden Doppelcharakter dieses Begriffs siehe: Jonathan Sterne, Transportation and Communication. Together as You’ve Always Wanted Them, in: Jeremy Packer / Craig Robertson (Hrsg.), Thinking with James Carey. Essays on Communications, Transportation, History, New York 2006, S. 117–135; zu einer materialistisch grundierten Geschichte des Kommunikationsbegriffs: Armand Mattelart, L’invention de la communication, Paris 1992.
3 Die Formate, die aus dem Vermittlungserfordernis integrierter Konsummärkte hervorgehen, nehmen bereits ab den 1840er-Jahren Gestalt an. Vgl. James Beniger, The Control Revolution. Technological and Economic Origins of the Information Society, Cambridge, Mass. 1986; Auch ein Bewusstsein für die Manipulationsanfälligkeit raumgreifender Handels- und Lieferbeziehungen ist um 1900 nichts Neues. Siehe etwa Alessandro Stanziani, La fraude. Un équipement juridique de l’action économique, in: Gérard Béaur / Hubert Bonin / Claire Lemercier (Hrsg.), Fraude, contrefaçon, contrebande de l’Antiquité à nos jours, Genf 2007, S. 563–578.
4 Auf den ökonomischen Ernst dieser Spiele hebt ab: Michael Hutter, Ernste Spiele. Geschichten vom Aufstieg des ästhetischen Kapitalismus, Paderborn 2015.
5 Die Arbeit grenzt die Neue Linke von der hedonistischen Gegenkultur ab und drängt damit die Unübersichtlichkeit der Verhältnisse zugunsten der systematischen Analyse ein Stück weit ab.
6 Vgl. Claire-Lise Debluë, Exposer pour exporter. culture visuelle et expansion commerciale en Suisse (1908–1939), Neuchâtel 2015, zur Psychotechnik in den 1920er-Jahren S. 270ff.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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