A. Erskine u.a. (Hrsg.): The Hellenistic Court

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Titel
The Hellenistic Court. Monarchic Power and Elite Society from Alexander to Cleopatra


Herausgeber
Erskine, Andrew; Llewellyn-Jones, Lloyd; Wallace, Shane
Erschienen
Anzahl Seiten
XXV, 442 S.
Preis
£ 64.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gregor Weber, Universität Augsburg

Die Erforschung des hellenistischen Hofes hat unlängst wieder einiges Interesse hervorgerufen. Hier ordnet sich der zu besprechende Band ein, der auf eine Tagung in Edinburgh im Jahre 2011 zurückgeht. Die 18 Beiträge sind in sechs thematische Rubriken gegliedert, denen die Einleitung der Herausgeber vorangestellt ist. Darin erfolgt auf der Grundlage der Arbeiten von Elias und Duindam der Versuch, die Thematik zu definieren, bzw. werden die damit verbundenen Probleme offengelegt; außerdem kommen wesentliche Facetten – etwa der innere und äußere Hof, Einflüsse altorientalischer Monarchien, die Existenz nicht-griechischer Mitglieder der Hofgesellschaften, das Erfordernis eines anwesenden Monarchen, der „Hof unterwegs“ – zur Sprache. Knapp werden Perspektiven angerissen, unter anderem Fragen nach gruppendynamischen Prozessen am Hof, der Rolle einzelner Mitglieder, dem konkreten Hofleben, den Machtbeziehungen zwischen Hof und anderen Sektoren der Gesellschaft, dem Inszenierungspotential des Hofs etc., wobei das Quellenmaterial für eine sachgemäße Beantwortung oftmals begrenzt und sperrig ist.

Teil I beleuchtet die zeitliche Entwicklung bei den Höfen: Shane Wallace („Court, Kingship, and Royal Style in the Early Hellenistic Period“) widmet sich der Entstehung und Ausgestaltung der Höfe vor dem „Jahr der Könige“, besonders denjenigen, denen eine Etablierung nicht gelang; dabei entsteht der Eindruck, dass sie mit Alexanders Vorbild, das heißt mit persisch- indigenen Komponenten, mehr experimentiert haben als bislang gedacht und keine geringeren „royal aspirations“ (S. 19) besaßen als die anderen Prätendenten. Man wird auch für die spätere Zeit von einer großen Bandbreite lokaler Ausprägungen ausgehen müssen. Das archäologische und literarische Material unterzieht Janett Morgan („At Home with Royalty: Re-viewing the Hellenistic Palace“) einer Neubewertung: Um das Verhältnis zwischen Höfen und Königen besser zu verstehen, wird dem Begriff „palace“ aufgrund seiner missverständlichen modernen Prägung zugunsten von „royal building“ eine Absage erteilt, was aber kaum einen Mehrwert erbringt. Zurecht erfolgt jedoch der Hinweis auf symbolische Botschaften in der räumlichen Ausgestaltung, die sich mit der Zeit geändert haben können. In einem anregenden Beitrag geht David Engels ein bereits mehrfach traktiertes Problem an: „The Seleucid and Achaemenid Court: Continuity or Change?“ Dafür untersucht er die Institutionen am Hof, die Zusammensetzung der Hofgesellschaft, die Architektur und die literarischen Beschreibungen, um zu dem Schluss zu gelangen, dass die Einseitigkeit der griechischen Überlieferung dazu beigetragen habe, den Anteil von Personen aus dem indigenen Umfeld zu verschleiern. Dafür gibt es freilich keine eindeutigen Belege, sodass man darüber weiter diskutieren muss, auch unter der angemahnten Entwicklungsperspektive.

Dem Leben am Hof ist Teil II gewidmet: Ivana Savalli-Lestrade geht in „Bíos aulikós: The Multiple Ways of Life of Courtiers in the Hellenistic Age“ der Frage nach, welche Funktionen Mitgliedern des inneren Hofes zukamen, die einander in höfischer philia verbunden waren. Für letztere wird von einer Ungleichheit zwischen König und seinen Freunden ausgegangen; faktisch fanden schwierige Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen Personengruppen statt. Aufschlussreich sind die Ausführungen zum Lebensstil der „Höflinge“, der attraktiv erschien, auch wenn die Rückbindung an Heimatpoleis ein „beschaulicheres“ Leben als in den komplexen höfischen Strukturen versprach. Rolf Strootman widmet sich in „Eunuchs, Renegades and Concubines: The ‚Paradox of Power‘ and the Promotion of Favourites in the Hellenistic Empires“ dem Phänomen der „sekundären Gunst“ (der Begriff wird nicht verwendet, sondern „the ‚paradox of power‘“), dessen Entstehung und Entwicklungsfaktoren, insofern einzelne philoi, „favourites“ genannt, eigene Machtzentren ausbilden konnten; hervorzuheben ist, dass der Autor der stärkeren Präsenz indigener Eliten an den Höfen eher skeptisch gegenübersteht. In „Callimachus, Theocritus and Ptolemaic Court Etiquette“ untersucht Ivana Petrovic Themenbereiche der Dichtung, die sich auf König und Hof beziehen sowie deren Verortung in der Hofgesellschaft. Sie gelangt zu dem Ergebnis, dass sich den Dichtern die entsprechenden Aspekte auch ohne dezidierte Verordnung durch den König erschlossen.

Teil III bezieht sich auf Hochzeiten in höfischem Kontext, deren Relevanz unstrittig ist: Sheila L. Ager widmet sich „Symbol and Ceremony: Royal Weddings in the Hellenistic Age“ und verweist auch auf zahlreiche Fehlstellen unserer Kenntnisse. Alex McAuley analysiert in „Once a Seleucid, Always a Seleucid: Seleucid Princesses and their Nuptial Courts“ Fälle von Prinzessinnen (Apama von Kyrene, Stratonike und Antiochis von Kappadokien, Antiochis von Armenien), die an andere Höfe verheiratet wurden, dort – alles andere als passiv – für ihre Herkunftsdynastie agierten und damit deren Herrschaftsbereich stärkten.

Der Reichweite der Höfe jenseits des Palastes ist Teil IV gewidmet: In „In the Mirror of Hetairai. Tracing Aspects of the Interaction Between Polis Life and Court Life in the Early Hellenistic Age“ zeigt Kostas Buraselis für den frühen Hellenismus (und im Spiegel der Neuen Komödie), wie Hetären, zumal mit Polisbezug, immer mehr zum vertrauten Erscheinungsbild in den höfischen Gesellschaften wurden. Paola Ceccarelli untersucht in „Image and Communication in the Seleucid Kingdom: the King, the Court and the Cities“ stringent die Rolle des Hofes für verschiedene königliche Kontakte mit der Außenwelt, vor allem in schriftlicher Form und hinsichtlich des Sprachgebrauchs; letzterer weist eine starke Zentrierung auf den König und seine Familie auf, hinter denen andere Personenkreise klar zurücktreten. Dorothy J. Thompson geht in „Outside the Capital: the Ptolemaic Court and its Courtiers“ der Frage nach, wie der ptolemäische Hof funktionierte, wenn er nicht in Alexandreia situiert war. Zur Sprache kommen die königlichen Besuche in der chora, deren ägyptische Implikationen, Kleidung etc.; hier werden auch die ägyptischen Hofleute verortet, die sich in einigen hieroglyphischen Zeugnissen finden lassen. Craig Hardiman beleuchtet in „‚Courting the Public’: the Attalid Court and Domestic Display“ exemplarisch die Vorbildfunktion von Höfen für die Gestaltung von privaten Häusern in Pergamon, die in Anlage und Ausstattung zu kleinen Höfen wurden.

Teil V untersucht Höfe in der nicht griechisch geprägten Welt des Hellenismus. Erich Gruen widmet seinen Beitrag „Hellenistic Court Patronage and the non-Greek World“ der von den Diadochen geförderten Literaturproduktion, die sich auf Ägypten, Babylonien und Indien bezog. Behandelt werden Hekataios von Abdera, dessen Zeitgenosse Megasthenes, der Babylonier Berossos und der Ägypter Manetho, die, und dies ist entscheidend, „alien wisdom“ in die hellenistische Welt brachten – und nicht umgekehrt. „Bithynia and Cappadocia: Royal Courts and Ruling Society in the Minor Hellenistic Monarchies“ weisen nach Oleg Gabelko große Gemeinsamkeiten mit griechisch geprägten Höfen auf, die gesamtgesellschaftliche Einbindung folgt jedoch traditionellen Mustern. In „Deserving the Court’s Trust: Jews in Ptolemaic Egypt“ untersucht Livia Capponi die Rolle der Juden am Ptolemäerhof, denen zu verschiedenen Zeiten offenkundig großes Vertrauen entgegengebracht wurde.

Die Beiträge des letzten Teils des Bandes fragen nach fehlender Loyalität und Tod: Peter Franz Mittag analysiert in „Misconduct and Disloyalty in the Seleucid Court“ Fälle von Bestechung, Desertion, Wechsel des Hofes, Verschwörung und Ermordung des Königs, in aller Regel mit dem Tod bestraft. Insbesondere zwischen 175 und 145 v.Chr. lässt sich eine Häufung derartiger Fälle beobachten, zweifellos bedingt durch die schwierige Situation am Hof und im Reich. In „The Hands of Gods? Poison in the Hellenistic Court“ stellt Stephanie J. Winder das Material für den Giftgebrauch und für toxikologische Expertise an den Höfen zusammen, wobei vielfach über Mutmaßungen nicht hinauszugelangen ist. In „The Royal Court in Ancient Macedonia: the Evidence for Royal Tombs“ geht Olga Palagia anhand der Gräber aus Vergina und Agios Athanasios der Frage nach, worin sich ein makedonisches Königsgrab von einem der Elite unterscheidet; eingegangen wird auf die Nähe des jeweiligen Grabes zum Palast und die Verwendung eines Marmorthrons, während ikonographische Details vielfach nicht eindeutig erscheinen. Ein kurzer Index mit Namen, Sachen und Orten hilft, den Band für weitere Forschungen zu erschließen.

Am Ende der Lektüre der vielfach sehr fundierten und perspektivischen Beiträge bleibt man nicht ganz zufrieden zurück: Weist die redaktionelle Arbeit einige Schwächen auf – es werden etwa bibliographische Angaben in den Literaturverzeichnissen nicht einheitlich, zum Teil auch falsch, wiedergegeben –, so haben die Beiträge in aller Regel schon den Stand der (internationalen!) Forschung rezipiert. Dass aber gerade die Einleitung der Herausgeber hier erhebliche Lücken aufweist1, ist kaum verständlich. Gerade diese Positionierung wäre eine echte Chance gewesen, ebenso eine systematisierende Zusammenfassung, die weitere Perspektiven hätte aufzeigen können (nur Ansätze xxvi) – allerdings dann auf der Basis einer verlässlichen Vermessung eines Forschungsfeldes, auf dem in etlichen Bereichen schon weitaus mehr geleistet wurde, als hier suggeriert wird, etwa mit der Behauptung (xv), erst das 21. Jahrhundert habe die Hofforschung aus einem Nischendasein befreit.

Anmerkung:
1 Es fehlen die konzeptionell einschlägigen Beiträge in Aloys Winterling (Hrsg.) und die Auseinandersetzung mit Arbeiten von Burkhard Meißner, Ivana Savalli-Lestrade und Gabriel Herman zum Hof. Zu spät erschien Eddy Lanciers, The Emergence of the Ptolemaic Honorific Court Titles, in: AncSoc 48 (2018) S. 49–82 zur jüngst publizierten Boubasteion-Inschrift (220–210/09 v.Chr.), in der von einem „der ersten Freunde“ die Rede ist, wobei Klärungsbedarf besteht, ob ein realer Hoftitel oder einer ehrenhalber gemeint war.

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