J. Diebold: Hochadel und Kolonialismus

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Titel
Hochadel und Kolonialismus im 20. Jahrhundert. Die imperiale Biographie des »Afrika Herzogs« Adolf Friedrich von Mecklenburg


Autor(en)
Diebold, Jan
Reihe
Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburg-Vorpommerns 21
Erschienen
Köln 2019: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
342 S.
Preis
€ 39,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Jäger, Historisches Institut, Universität zu Köln

Der Adel war in den Kolonien und der Kolonialbewegung in Deutschland präsent und wichtig. Reichskommissare und Gouverneure wie Julius Freiherr von Soden, Jesko von Puttkammer, Julius Graf Zech auf Neuenhofen, Friedrich von Lindequist – um nur einige zu nennen, verdeutlichen die Rolle des Adels in der Kolonialadministration des Kaiserreichs. Auch in Kolonialgesellschaften, allen voran der Deutschen Kolonialgesellschaft, übernahmen Adelige leitende und repräsentative Funktionen. Das darf für die Zeit des Deutschen Kaiserreichs nicht verwundern, da leitende Aufgaben im Staat, der Diplomatie wie im Militär zu den Bereichen gehörten, die im Adel als standesgemäß galten und bei denen Adelige ihre besondere Stellung im Staat zu bewahren verstanden. Nach 1918 wurden trotz vieler Veränderungen und bei großer individueller Bandbreite viele dieser Traditionen auch bis über 1945 hinaus fortgeführt; was auch in der jüngeren Forschung vielfach nachgewiesen wurde.

Mit einem dieser Adeligen, Adolf Friedrich zu Mecklenburg (1873–1969), hat sich Jan Diebold in seiner Heidelberger Dissertation beschäftigt. Er hat die Studie allerdings nicht als klassische Biographie konzipiert, sondern drei neuere Ansätze kombiniert: Imperiale Biographie, neue Adelsgeschichte und neue von den Postcolonial Studies inspirierte Kolonialgeschichte. Diebold fragt nach den Handlungsoptionen und -möglichkeiten (agency) des Mecklenburgers unter der Prämisse, dass dieser vor allem seine soziale Stellung und hochadelige Identität bewahren und repräsentieren wollte. Damit knüpft er an die in der neueren Adelsforschung formulierte Überlegung zum „Obenbleiben“ (nach R. Braun) an. Pierre Bourdieus Theoreme zu den Kapitalsorten, die Individuen im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Stellung generieren, bilden das Gerüst, um Handlungsweisen von Adolf Friedrich einzuordnen und erklären zu können.

Die Arbeit folgt einer systematischen Gliederung, die die einzelnen Handlungsfelder nacheinander behandelt: Hofkultur, Reisen und Wissensproduktion, Kolonialbewegung, Diplomatie – wobei die beiden letzten Punkte eher für die Zeit nach 1918 betrachtet werden. Zu jedem dieser Themen hat der Verfasser die einschlägige Literatur herangezogen und auf breiter Quellenbasis nach Selbst- und Fremdeinschätzung des Protagonisten geforscht. Hierbei sticht vor allem der Quellenbestand zur Familie der Mecklenburger heraus.

Adolf Friedrich zu Mecklenburg war zweifellos ein wichtiger Protagonist in der Kolonialbewegung und eine einschlägige historiographische Würdigung ist daher sehr willkommen. Auch für die Adelsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie für die neueren Ansätze Imperialer Biographie bildet er eine aufschlussreiche Fallstudie. Als Angehöriger einer bis 1918 regierenden herzoglichen Familie ist Adolf Friedrich zu Mecklenburg jedoch vielleicht nicht das beste Beispiel für adelige Selbstbehauptung bis Mitte des 20. Jahrhunderts, da die Ausgangsposition als besonders privilegiert angesehen werden kann; am „Obensein“ besteht also wenig Zweifel; ebenso wenig war für ihn diese Stellung – jedenfalls bis 1945 – besonders prekär.

Jan Diebold identifiziert bei der Person Adolf Friedrich vor allem dessen Engagement in der Kolonialbewegung sowie seine (familiär begründeten) transnationalen Verbindungen als Elemente, die dem Mecklenburger seine gesellschaftlich herausragende Stellung bewahrten. Dem gegenüber fallen materieller Besitz und soziale Stellung der Familie offenbar weniger ins Gewicht; jedenfalls werden sie weit weniger thematisiert. Das ist insofern zu rechtfertigen, weil sein öffentliches Wirken besonders angetan war, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital anzuhäufen. Im Einzelnen fällt in der Darstellung immer wieder auf, dass Adolf Friedrich als Person und Handelnder zuweilen etwas blass bleibt. In vielen Fällen wäre mehr Kontextinformation zu den angesprochenen Institutionen, Ereignissen und Ereignisverläufen hilfreich gewesen. So werden beispielsweise die Zeit als Gouverneur Togos 1912 bis 1914 und die Verhältnisse vor Ort nur skizziert. Auch der Verein Kolonialkriegerdank e. V., dem Adolf Friedrich seit Gründung 1909 als Ehrenpräsident vorstand und dessen Vorsitz er 1921 übernahm, ist nur knapp beschrieben. Ob er dem Verein bis zu dessen Auflösung 1943 verbunden war, bleibt im Dunkeln. Ähnlich ist es bestellt mit weiteren Aktivitäten des Mecklenburgers in der Zeit der Weimarer Republik, der NS-Zeit und nach 1945. Es bleibt daher schwierig, die Position und Rolle des Mecklenburgers in der Kolonialbewegung zwischen 1919 und 1945 einordnen zu können, da zu deren Entwicklung und dem Handeln Adolf Friedrichs nur wenige Informationen gegeben werden. Das liegt zum einen daran, dass die Ausführungen zu diesen Zeiträumen in der Arbeit knapp ausfallen (jeweils nur etwa 20 Seiten), zum anderen bezieht sich Diebolds zentrale Fragestellung eben nur vordergründig auf die konkreten Tätigkeiten und Entscheidungen des Protagonisten, sondern schätzt vornehmlich dessen Position bezüglich (möglichen) Prestigeerwerbs als Dreh- und Angelpunkt des „Obenbleibens“ ab. Doch wäre das Argument stärker und überzeugender, wenn auch mehr über das „Wie“ zu erfahren wäre. Ebenso bleibt schwach konturiert, wie Adolf Friedrich seine verschiedenen Kapitalarten (nach Bourdieu) umzuwandeln verstand, um sowohl als Adeliger als auch als einflussreiche Person des öffentlichen Lebens zu bestehen.

Wenn im Ergebnis festgehalten wird, dass Hochadeligkeit und Kolonialengagement eine je modifizierte erfolgreiche Verbindung in den einander folgenden politischen Systemen von Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Deutschland und schließlich in der Bundesrepublik Deutschland eingehen konnte, so offenbart dies interessante Kontinuitäten, deren Ankerpunkt im nach außen kommunizierten kolonialen Wissen zu liegen scheinen. Die Argumentation ist nachvollziehbar, die Verknüpfung der Ansätze pragmatisch durchgeführt. Der Text ist aber zuweilen mit Zwischenresümees und Ankündigungen folgender Betrachtungen überladen. Auch sind für meinen Geschmack die häufigen Hinweise auf vom Autor erfüllte Forschungsdesiderate oder Verknüpfungen mit einschlägiger Forschung im Argument eher störend. Insgesamt liegt jedoch eine interessante Arbeit vor, die verschiedene Ansätze neuerer Geschichtsschreibung integriert und ein Schlaglicht auf eine Persönlichkeit wirft, die bislang in der Forschung zu Adel und Kolonialgeschichte wenig beachtet worden ist.