J. Adam: Ordnungen des Nationalen und die geteilte Welt

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Titel
Ordnungen des Nationalen und die geteilte Welt. Zur Praxis Auswärtiger Kulturpolitik als Konfliktprävention


Autor(en)
Adam, Jens
Reihe
Edition Politik 60
Anzahl Seiten
303 S.
Preis
€ 34,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Leonie Thal, Institut für Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Welches politische Ziel sollte mit dem Mittel „Kultur“ nicht schon erreicht werden: Kultur sollte Transformationsprozesse fördern, Zivilgesellschaften stärken, demokratische Bildung festigen. Jens Adam nimmt in seiner Studie ein weiteres Politikfeld in den Blick, in dem die Allzweckwaffe Kultur nun eingesetzt wird. „Konfliktprävention“ stellt eine neue diskursive Formation in der Auswärtigen Kulturpolitik dar, der Adam intensiv nachspürt. Es sind die Wissensarbeit und Übersetzungsprozesse, die ihn interessieren. Er versucht diese offen zu legen, indem er die Policy der „Konfliktprävention“ und die Ambivalenzen der damit verbundenen Zielsetzungen analysiert. Adam verdeutlicht, dass das „Narrativ vom Nationalen“ weiterhin der vorherrschende Bezugsrahmen der Auswärtigen Kulturpolitik ist – unter Rückbezug auf Penelope Harvey spricht er von einer "Technologie des Nationalen" (S. 43). Die Wirkmacht des nationalen Narrativs führt zu der Frage, inwiefern ein Politikfeld, das am Nationalen als maßgebliche Rahmung festhält, zugleich zur Lösung und Prävention internationaler Konflikte beitragen kann. Adam geht dieser Frage aus der Perspektive einer Anthropology of Policy nach und forscht hierfür ethnografisch, unter Einbeziehung möglichst aller an der Policy beteiligten Akteure, in Berlin, Ramallah, Sarajevo, Tel-Aviv und Westjerusalem. Er verbindet seine Feldforschungen an Goethe-Instituten und politischen Zentren mit Forschungsansätzen einer multi-sited ethnography und Diskursanalysen. Somit folgt er einerseits einem politischen Narrativ vom Moment seiner Schaffung bis hin zu seinen – intendierten wie nicht intendierten – Effekten und nimmt andererseits die Mechanismen, Argumentationen und Logiken hinter der Formation einer Policy, die zunächst als in sich stimmig erscheint, in den Blick.

Dieses Vorgehen hat eine kritische, reflektierte und empirisch fundierte Studie hervorgebracht, in der es dem Autor gelingt, die Wissensarbeit der auswärtigen Kulturpolitik und ihre Logiken zu sezieren. Die vielfältigen und lebendigen Feldeindrücke, die sich durch den Text ziehen, verstärken seine Thesen und ergänzen die theoretischen Argumentationen. Im Zusammenspiel ist ein Buch entstanden, dass die impliziten Konflikte des untersuchten Gegenstandes – die „Auswärtige Kulturpolitik als Konfliktprävention“ – sichtbar macht, ohne die beteiligten Akteure vorzuführen oder tatsächlich vorhandene Problematiken, wie beispielweise die Verfestigung globaler Machtungleichheiten, zu verharmlosen.

Eröffnet wird das Buch mit einem Beispiel aus dem Feld – der Geschichte einer vom Goethe-Institut produzierten Seifenoper aus Palästina, auf die im Verlauf des Buches immer wieder zurückgegriffen wird. Der Hauptteil ist in drei Einheiten unterteilt: Im ersten werden die theoretischen Zugänge und Rahmungen sowie Forschungsperspektiven dargelegt (S. 25–43). Zunächst stellt Adam verschiedene Positionen zur Konfliktprävention von Mitarbeiter/innen der auswärtigen Kulturpolitik vor. Schon hier scheinen Ambivalenzen durch, die mit dieser Zielsetzung verbunden sind und später vertieft werden. Nach der Einbettung seiner Arbeit in die Anthropology of Policy definiert er Schlüsselbegriffe der Policy. Indem er diesen nachspürt, wird die „imaginäre Dimension Auswärtiger Kulturpolitik“ (S. 41) sichtbar. Im Anschluss an die multi-sited ethnography verfolgt er die Mobilisierung von sprachlichen Figuren durch das Politikfeld. Und drittens wird die Wissensarbeit von Kulturmittlern wie den Goethe-Instituten in lokalen Kontexten untersucht. Adam begreift seine Auseinandersetzung mit der Dimension des Nationalen in der Auswärtigen Kulturpolitik als „Leitmotiv“ (S. 43f.) und verortet sich in der europäisch-ethnologischen Nationalismus- und Globalisierungsforschung.

Der zweite Teil widmet sich der Policy „Auswärtige Kulturpolitik als Konfliktprävention“ auf der Basis von Feldforschungen und der Analyse diskursiver Formationen. Adam folgt zwei Schlüsselbegriffen – „Deutschlandbilder vermitteln“ und „Dialog“ und arbeitet die damit verbundenen Argumentationen und „politischen Rationalitäten“ (S. 69) heraus. Er schlussfolgert, dass mit der neuen Zielsetzung der Konfliktprävention kein Paradigmenwechsel stattgefunden habe. Vielmehr ermögliche diese eine Verstetigung und Erweiterung des bestehenden Narrativs. Durch die anschließende, detaillierte Analyse der Schlüsselbegriffe in Regierungsdokumenten wird die Entwicklung diskursiver Logiken und offizieller Argumentationsweisen nachvollziehbar. Er arbeitet zwei Leitlinien in der Auswärtigen Kulturpolitik heraus, die auf die Ausgangsfrage dieser Studie rekurrieren: Sie soll Deutschland im Ausland präsentieren und gleichzeitig Konflikte vorbeugen. Adam kritisiert, dass die Policy Community keinen ernsthaften Versuch unternehme, das Narrativ des Nationalen abzulegen und argumentiert, die stetige Reproduktion nationalstaatlicher und ethnisch begründeter Grenzen durch dieses Narrativ stehe im Widerspruch zum Ziel der Konfliktprävention. Mit Bezugnahme auf Richard Rottenburgs „Prinzipal-Agent-Konstellation“ (S. 139) arbeitet Adam die asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen Kulturmittlern, wie dem Goethe-Institut, und politischen Zentren, wie dem Auswärtigen Amt, heraus.

Der dritte Abschnitt führt an die Goethe-Institute in Ramallah und Sarajevo. Um das Aufeinandertreffen einer deutschen Policy auf die lokalen Gegebenheiten des „Gastlandes“ ethnografisch zu erforschen, entwickelt Adam den Analyserahmen der „translokalen Praxis- und Übersetzungsfelder“ (S. 156) und definiert vier „Strategien kulturpolitischer Übersetzung“ (S. 169). Die Analyse der „Strategien des Verortens“ zeigt eine Fortsetzung der asymmetrischen Machtverhältnisse auch innerhalb der Goethe-Institute zwischen deutschen Fachkräften und lokalen Ortskräften. Zurecht wird die Frage aufgeworfen, inwiefern Konflikte, die auch durch globale Ungleichheiten entstanden, von einer Institution zu lösen sind, die ebensolche reproduziert. Unter den „Strategien des Verankerns“ und des „Anschlüsse Schaffens“ widmet sich Adam erneut dem nationalen Rahmennarrativ und untersucht, wie sich die Kulturmittler im Spannungsfeld zwischen politischen Vorgaben und Freiräumen, die durch Zielsetzungen wie Konfliktprävention oder Dialog entstehen, bewegen. Es wird deutlich, dass das Nationale zwar flexibel angepasst und erweitert werden kann, die Handlungsspielräume aber durch die Leitlinie der Vermittlung von Deutschland- oder Europabildern begrenzt sind. Konkrete Beispiele für Konfliktprävention werden mithilfe der „Strategien des Verknüpfens“ analysiert. Hier werden globale Asymmetrien erneut sichtbar und der Umgang mit unterschiedlichen Staatlichkeiten und Souveränitäten problematisiert. Adam kritisiert, dass Zielsetzungen der Auswärtigen Kulturpolitik universell gedacht sind und sich zu wenig an lokalen Kontexten orientieren. Zugleich sei eine verstärkte Auseinandersetzung mit den örtlichen Gegebenheiten, die sich auch in der Pluralisierung der Kulturprojekte widerspiegelt, auf die neue Zielsetzung der Konfliktprävention zurückzuführen.

Im Schlussteil des Buches werden die Auswirkungen der Kulturarbeit im Spannungsfeld zwischen dem Narrativ des Nationalen und der Aufgabe der Konfliktprävention zusammengefasst. Einerseits resultiere daraus eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten und Praktiken von Kulturmittlern, die weicher, spontaner und stärker an den lokalen Kontexten orientiert seien. Andererseits entstehen durch dieses Vorgehen wenig nachhaltige Projekte, die selten in langfristige Prozesse im Gastland übergehen. Sowohl innerhalb der Goethe-Institute als auch zwischen der Regierung und den Kulturmittlern würden zudem Machthierarchien stetig reproduziert und gefestigt. Zuletzt werde auch das Nationale als maßgeblicher Bezugsrahmen der Auswärtigen Kulturpolitik nicht hinterfragt, sondern durch Schlüsselmetaphern wie die des „Dialogs“ weitergetragen und erneuert. Adam schließt mit einem Appell an die Policy-Community: Statt in Dialogforen Differenzen hervorzuheben, fordert Adam einen Fokus auf Gemeinsamkeiten. Statt globale Machthierarchien zu stabilisieren, müssten diese offen problematisiert werden. Statt sich am Narrativ des Nationalen festzuhalten, sollte die gemeinsame Arbeit an „der geteilten Welt“ im Zentrum stehen.

Jens Adam leistet hiermit einen wichtigen Beitrag zur Anthropologie politischer Felder. Mit der Nationalismusforschung und der kritischen Analyse von Kulturpolitik berührt und kombiniert er zwei Perspektiven, für deren Umsetzung die Europäische Ethnologie prädestiniert ist. Die zum Teil leider schwer zugängliche, theoretische Sprache wird durch Feldbeispiele lebendig und der anfangs noch eher zurückhaltende, zuweilen spitzfindige Ton gegenüber den politischen Maßnahmen, weicht im weiteren Verlauf dann einer erfreulich konkreten Positionierung des Autors. Dennoch verliert er durch seinen multiperspektivischen Ansatz nie den Rahmen aus dem Blick, der die Handlungsräume der Policy-Community determiniert.

Eine kritische Perspektive auf Auswärtige (Kultur-)Politik in Konfliktgebieten, die Existenz und Verfestigung globaler Ungleichheiten, die Fortschreibung ethnisierender Narrative und die Vorstellung von abgeschlossenen Kulturräumen wird gerade jetzt und weit über das Fach hinaus dringend benötigt – umso wichtiger, dass eine solche in diesem Buch zum Ausdruck kommt.

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