F. Schmutterer: Carl Ritter und seine "Erdkunde von Asien"

Titel
Carl Ritter und seine "Erdkunde von Asien". Die Anfänge der wissenschaftlichen Geographie im frühen 19. Jahrhundert


Autor(en)
Schmutterer, Felix
Erschienen
Anzahl Seiten
378 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Wunder, Institut für Geschichtswissenschaften, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Carl Ritter (1779–1859) gilt neben Alexander von Humboldt als der Begründer der wissenschaftlichen Geographie, auch wenn sein Bekanntheitsgrad nicht annähernd an den seines berühmten Zeitgenossen heranreicht. Mit Felix Schmutterer (= S.), auf dessen Nürnberger Dissertation die vorliegende Studie zurückgeht, widmet sich nun ein Althistoriker der Auswertung von Ritters magnum opus – der „Erdkunde von Asien“. Im ersten Moment mag dies zwar überraschen, jedoch verarbeitete Carl Ritter in seinem monumentalen Werk neben zeitgenössischem auch mittelalterliches und antikes Quellenmaterial. S. stellt die Quellenarbeit Ritters in den Mittelpunkt seiner Studie und macht es sich zum Ziel, die funktionale Einbindung der antiken Textzeugnisse zu untersuchen.

In der Einleitung stellt S. heraus, dass dem Fachverständnis Ritters entsprechend Geographie die Wissenschaft des „irdischerfüllten Raums“ sei (S. 12). Dies erklärt die zahlreichen historischen Exkurse im Werk Ritters und wirft die Frage auf, inwieweit die „Erkunde von Asien“ der Historiographie zuzuordnen ist. Beantworten lässt sich diese Frage nach S. nur durch eine detaillierte Analyse der methodischen Arbeitsweise Ritters. Darüber hinaus wird auch der länderkundliche Kenntnisstand des Autors betrachtet und bewertet.

Der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Ritters „Erdkunde von Asien“ stellt S. einen Überblick der Forschungsgeschichte voran. Es folgt ein Abriss der biographischen Daten Ritters, Erläuterungen zu seinem Fachverständnis sowie ein knapper Abschnitt, der sich mit einflussreichen Zeitgenossen des berühmten Geographen befasst.

Hinsichtlich des Umfangs stellt die „Erdkunde von Asien“ mit ihren rund 20.000 Seiten ein bis heute unerreichtes Werk dar, für dessen Abfassung der Autor 37 Jahre benötigte (Übersicht S. 66/67). Vor diesem Hintergrund kommt der Materialeingrenzung in S. Studie eine besondere Bedeutung zu. Analysiert werden jene Teile des Werkes, die sich mit dem geographischen Raum der griechisch-römischen Antike decken und für dessen Beschreibung Ritter ausreichend antike Textzeugnisse zur Verfügung standen. Im Wesentlichen betrifft dies Nordafrika – insbesondere die Nilregion – sowie das Gebiet zwischen Zweistromland und Hindukusch.1

Die inhaltliche Erschließung von Ritters Werk wird durch seine verwirrende Struktur erheblich erschwert. Dies liegt zum einen darin begründet, dass Ritter eine Orientierung an den gegenwärtigen politischen Grenzen seiner Zeit ablehnte, zum anderen ist es auf die Binnengliederung der einzelnen Bände zurückzuführen, der nach S. (S. 70) keine nachvollziehbare Hierarchie zu Grunde liegt.

Die Kapitel in S. Arbeit, die sich der Analyse der verschiedenen Regionen widmen, sind stets nach dem gleichen Schema aufgebaut. Zu Beginn liefert der Autor eine Darstellung der historischen Situation zur Lebenszeit Ritters und führt die verwendete zeitgenössische Forschungs- und Reiseliteratur an. Im Anschluss folgt die quellenkritische Auswertung der Ausführungen Ritters.

Bereits bei der Untersuchung des Afrika-Bandes zeigt sich, dass Ritter zwar eine breite Basis zeitgenössischer Texte verarbeitet, diese jedoch immer wieder durch antike Informationen ergänzt. Laut S. kann die Verwendung des antiken Materials somit nicht durch einen Mangel an zuverlässigen Informationen erklärt werden, sondern es ist vielmehr von einer bewussten Schwerpunktsetzung Ritters auszugehen (S. 127). Dieser scheint die Vertrauenswürdigkeit der antiken Berichte außerordentlich hoch eingeschätzt zu haben, nutzte er sie doch etwa als Grundlage für die topographische Beschreibung von Landschaften oder zur Lokalisierung von Städten.2

Auch jenseits der topographischen Aspekte kann S. bereits anhand des Afrika-Bandes weitere Verwendungszwecke für nicht zeitgenössisches Quellenmaterial ausmachen. Wenig überraschend, beruhen die zahlreichen historiographischen Exkurse, die die Geschichte einzelner Völker oder Königreiche rekonstruieren, auf antiken Informationen. Hinzu kommen Passagen, in denen antike (und auch mittelalterliche) Volksbezeichnungen etymologisch ausgedeutet und hierbei zum Teil sehr frei neu definiert werden, um so die Kontinuität von ethnogenetischen Prozessen hervorzuheben.3 Als weiterer Punkt sind die archäologischen Beschreibungen anzuführen, die nach S. (S. 118) zudem auch die interdisziplinäre Arbeitsweise Ritters bezeugen.

Die folgenden Kapitel zur „Überleitung nach Westasien“ (Indusraum und Hindukusch) und der „Iranischen Welt“ bestätigen in weiten Teilen die bisherigen Ergebnisse der Studie. Einige wichtige Ergänzungen von S. seien nachfolgend jedoch noch angeführt: Die Konzentration der antiken und mittelalterlichen Quellenvermerke differiert erheblich und weist etwa für die Beschreibung des Induslaufes eine viel deutlichere Streuung auf als für die der Nilregion (S. 167/168). Andere Abschnitte zeichnen sich durch eine besonders breite Quellenbasis aus, die dem Werk Ritters enzyklopädischen Charakter verleihen (S. 191). Als Bemerkenswert stellt S. hier die Auseinandersetzung Ritters mit den Keilinschriften von Persepolis heraus (S. 186–188). Es handelte sich um aktuelles Fundmaterial, dass von der noch jungen indogermanischen Forschung erst in Ansätzen erschlossen worden war (S. 190). Eine weitere Form des Gebrauchs von antiken Quellen tritt schließlich noch im Exkurs über Herkunft und Gebrauch des Zuckerrohrs zu Tage (S. 265–268). Einmal mehr zeigt sich hier der umfassende Charakter von Ritters Werk, das somit um eine geobotanische Dimension erweitert wird (S. 278).

Am Ende des Buches findet sich ein Abschnitt zu den der „Erdkunde“ zugehörigen Karten, gefolgt von der Schlussbetrachtung des Autors. Angegliedert ist ein Appendix, in welchem die Ergebnisse der Studie anhand der Ausführungen Ritters zu Bagdad nochmals veranschaulicht werden. Dem übersichtlichen Quellen- und Literaturverzeichnis folgt dankenswerterweise ein differenziertes Register.

In seiner abschließenden Betrachtung charakterisiert S. Ritter als Universalgelehrten, der verschiedenste Wissensgebiete zusammengeführt habe (S. 311) und auch in Bezug auf die Länderkunde als profunder Kenner seiner Materie anzusehen sei (S. 317/318). Auch wenn Ritter sich bisweilen eng an den Berichten seiner Zeitgenossen orientiert und einen Teil der antiken und auch die orientalischen Texte lediglich kompiliert, bewertet S. die Leistung Ritters in Bezug auf das Quellenstudium außerordentlich hoch. Das historiographische Profil der „Erdkunde von Asien“ zeigt sich auf vielfältige Weise und S. plädiert daher überzeugend dafür, in der von Ritter praktizierten Geographie eine Symbiose aus Natur- und Geisteswissenschaft zu sehen. Als zentrales Ergebnis von S. Studie lässt sich festhalten, dass Ritters Arbeitsweise durchaus mit der eines Historiker verglichen werden kann (S. 312).

Resümierend lässt sich sagen, dass die vorgelegte Studie zeigt, welche Bedeutung einer kritischen Analyse des verwendeten Quellenmaterials zukommt. Durch die interdisziplinäre Betrachtungsweise ist es gelungen, den hybriden Charakter der „Erdkunde von Asien“, in welchem geographisches und historisches Wissen zusammenfließen, herauszustellen. S. ergänzt die bisherige Ritterforschung um eine neue Perspektive und liefert eine methodisch solide erarbeitete Grundlage, um Ritters Fachverständnis und Quellenumgang zu erfassen. Zudem vermittelt er dem Leser durch die zahlreichen wörtlichen Zitate aus Ritters Werk einen Eindruck des verwendeten Stils und Sprachduktus. Die Arbeit S. eignet sich somit sowohl als Lektüre für den quellennahen Einstieg in die Beschäftigung mit Carl Ritter als auch für die vertiefende Beschäftigung mit dem großen Geographen.

Anmerkungen:
1 Die Untersuchungen von S. zum Zweistromland (Mesopotamien) erbrachten keinerlei weiterführende Ergebnisse und wurden daher nicht in die Arbeit aufgenommen.
2 Als Autoren sind hier insbesondere Ptolemaios, Strabon und Herodot zu nennen.
3 Dies zeigt sich vor allem bei den Exkursen zu den „Berbern“ und „Blemmyern“ (S. 91–96).

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