M. Simonton: Classical Greek Oligarchy

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Titel
Classical Greek Oligarchy. A Political History


Autor(en)
Simonton, Matthew
Erschienen
Anzahl Seiten
XVIII, 355 S.
Preis
£ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Moritz Hinsch, Alte Geschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

Der schillernde Traditionsbegriff „Oligarchie“ hat wieder Konjunktur. Publizistik und gegenwartsbezogene Sozialwissenschaften verwenden ihn, um Prozesse der politischen Exklusion und der Ungleichverteilung sozialer Güter zu beschreiben, sowohl in der Gegenwart als auch in universalhistorischer Perspektive.1 In Kontrast zu diesem Interesse an Oligarchien und der freizügigen Entlehnung des antiken griechischen Begriffs für ‚die Herrschaft der Wenigen‘ (oligarchía) steht, dass die letzte Monographie zu griechischen Oligarchien mehr als 120 Jahre alt ist.2 Simontons Buch, die Publikation seiner 2012 in Stanford abgeschlossenen Dissertation, ist also allein deshalb von Relevanz, weil es selbstbewusst antritt, um dieses Forschungsdesiderat auszuräumen.

Simontons Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel gefolgt von einem Epilog. Zwischen der Einleitung (S. 1–74) und dem Schlusskapitel, das den Zusammenbruch oligarchischer Regime schildert (S. 224–273), stehen vier Rekonstruktionen von Strategien und Institutionen, mit denen sich Oligarchen an der Macht hielten. Denn der Machterhalt ist für Simonton das Hauptproblem seines Themas: „Most oligarchies throughout the Classical period seem to have operated on the notion that they had to struggle to survive against the popular tide of democracy“ (S. 71). Seine Fragestellung lautet dementsprechend „how anything so unpopular managed to survive for any length of time, let alone several centuries“ (S. 6). Simonton versteht das im 5. Jahrhundert v.Chr. entstandene Schlagwort oligarchia als Bezeichnung für ein „bundle of defensive and reactionary techniques“, das „the Greek elite“ als Reaktion auf den Aufstieg der politischen inklusiven Demokratie seit dem Ende des 6. Jahrhunderts entwickelt habe (S. 5). Eine von Simontons Hauptthesen ist nämlich, dass Oligarchien und oligarchisches Denken neue Phänomene der klassischen Zeit waren, keine Fortführung einer archaischen Vorherrschaft des Adels (S. 11–34). Als einende Charakteristika klassischer Oligarchien nennt Simonton erstens die Beschränkung der Regimentsfähigkeit auf die Reichen, häufig durch Zensusschranken, zweitens eine Orientierung an Sparta, das den griechischen Oligarchen als externer Unterstützer und ideelles Vorbild diente. Drittens seien alle Oligarchien – im Gegensatz zu Demokratien – unbeliebt und illegitim gewesen (S. 35–61).

Simonton fasst seine Methode mit ‚methodologischer Individualismus‘ und ‚historischer Institutionalismus‘ zusammen. Kern dieser politikwissenschaftlichen geprägten Modellbildung ist der individuelle Akteur. Er handelt planvoll, aber verfügt nur über begrenztes Wissen, woraus sich Probleme des kollektiven Handelns ergeben. Auf diese Probleme reagiert wiederum die Schaffung von Institutionen als handlungs- und informationssteuernde Regeln, die kollektives Handeln ermöglichen, aber eben auch verhindern können. Genau dazu dienten Institutionen in Oligarchien, die „authoritarian governance“ trieben, um demokratische Umstürze zu verhindern (S. 61–74).

Die lehrbuchhafte Wiedergabe des ‚Gefangenendilemmas‘ zur Illustration dieses Ansatzes weckt zunächst Befürchtungen eines methodischen Reduktionismus. Die vier folgenden Kapitel bestätigen diese nicht. Simontons Modelle kollektiven Handelns und dessen Verhinderung sind durchdacht und der Komplexität der historischen Befunde angemessen.

Im Kapitel „Oligarchic Power-Sharing“ wird die Aufrechterhaltung inner-elitärer Kohäsion durch Kontrollmechanismen behandelt, die von Abstimmungsverfahren bis hin zu Aufwandsgesetzgebung reichen (S. 75–106). Anschließend legt Simonton dar („Balancing Coercion and Co-optation“), wie oligarchische Regime Gewaltanwendung und Kooptation mischten, um potentielle Widersacher in Schach zu halten (S. 107–147). In den folgenden zwei Kapitel („The Politics of Public Space“, „The Manipulation of Information“) ergänzt Simonton sein institutionstheoretisches Konzept um einen raum- und wissenssoziologischen Aspekt. Oligarchen seien darum bemüht gewesen, die ‚Masse‘ des Volkes aus der Stadt herauszuhalten oder zumindest den „civic space“ zu kontrollieren, um eine geballte Reaktion potentieller Widersacher zu verhindern. Denn das städtische Zusammenleben bedeutete, dass politische Koordination auch jenseits der Elite möglich war und Platzanlagen den Raum für plötzlichen Aufruhr und Widerstand boten (S. 148–185). Das anschließende Kapitel bestimmt den politischen Zweck von öffentlicher Kommunikation neu. Festveranstaltungen und monumentale Inschriften dienten in der Hauptsache nicht dazu, eine das Volk täuschende „Ideologie“ zu propagieren. Vielmehr vereinzelten solche Besetzungen des öffentlichen Raums Widersacher, indem sie ihnen den kommunikativen Raum nahmen, um sich mit potentiellen Verbündeten über ihre stillschweigenden Absichten zu verständigen (S. 186–223).

Das abschließende Kapitel zu Prozessen des „Regime Breakdown“ liest sich konsequenterweise als Inversion der vorangegangenen Erläuterungen zum Erhalt von Oligarchien. (S. 224–273). Der Epilog verkündet den schlussendlichen Sieg der Demokratie im Ringen der Systeme: „even the best institutions proved ineffective in a world where the power of the people was becoming the norm“ (S. 286). Hellenistische Inschriften, in denen die Selbstbezeichnung als dēmokratia zunimmt, sieht Simonton als Beleg für die Ausbreitung dieser Verfassungsform. Erst der exogene Schock der römischen Eroberung habe das „oligarchic project“ wiederbelebt. Doch nun wusste man, dass das Schlagwort oligarchia tunlichst zu vermeiden sei.

Simonton schreibt mit argumentativer Verve und dankenswerter Klarheit. Seine Studie muss schon deshalb den Ausgangspunkt zukünftiger Arbeiten bilden, weil sie dem Thema der griechischen Oligarchie den notwendigen Neuanfang in Konzeption und Substanz bietet. Die Studie bietet außerdem innovative Modelle kollektiven Handelns, die für die Analyse antiker Politik allgemein interessant sind. Eine Auseinandersetzung mit Simontons Thesen sollte allerdings auch Kritikpunkte grundsätzlicher Art berücksichtigen.

Die Grundlage von Simontons Modellen ist ein dezidiert normatives Verständnis von Oligarchien. Sie waren illegitim, ihre Stabilität beruhte auf Gewalt, Verrat, Desinformation. Simonton bezeichnet sie als „authoritarian states“ (S. 72 und passim) und vergleicht sie mit heutigen Diktaturen. Der griechischen Elite attestiert er eine „arrogant attitude“ und „snobbery“ (S. 148). Solche Werturteile sind durchaus sympathisch und vielleicht sogar zutreffend. Aber worin liegt ihr Erkenntnisgewinn? Es ist zwar ein Vorzug von Simontons Studie, dass sie zwischen politischer Stabilität und Legitimität konsequent unterscheidet, aber hier wären antike Wertungen ausschlaggebend gewesen, nicht moderne.

Diese Wertungen zitiert Simonton natürlich, berücksichtigt dabei aber zu wenig die ideen- und diskursgeschichtliche Dimension des Schlagworts oligarchia. Das Wort diente nie als Selbstbeschreibung eines Regiments und war, von einigen frühen Grenzfällen abgesehen3, nie positiv besetzt. Der Autor bietet keine Erklärung für den Widerspruch, dass Platon, Isokrates und Aristoteles oligarchia zwar verurteilen, ihre eigenen Verfassungsideale jedoch jener Form institutionell abgesicherter Eliten-Herrschaft entsprechen, die Simonton selbst als „oligarchy“ beschreibt. Die dem Begriff oligarchia inhärente Idee der Illegitimität, die das moderne Wort „oligarchy“ geerbt hat, wird von ihm nicht quellenkritisch problematisiert, sondern reproduziert. Das gilt unter umgekehrten Vorzeichen auch für Simontons Umgang mit dem Begriff der dēmokratia in hellenistischer Zeit.4

Schließlich machte es sich Simonton bei seinen Fallbeispielen zu oft zu einfach mit seiner Kritik und Einordnung der Quellen. Gerade die ergiebigsten literarischen Berichte schildern Bürgerkriegs-Episoden, bei denen Gewalttätigkeit, Legitimätsverlust und Desintegration naturgemäß im Vordergrund stehen. Dort, wo die antiken Texte selbst keine Einordnung vornehmen (besonders bei Inschriften), verlässt sich der Autor auf die Bestimmung der städtischen Verfassungen im Inventory of Archaic and Classical Poleis (Kopenhagen 2004) (S. 4 f.). Selbst ein breites Sammelwerk wie das Inventory kann eine solche Beweislast allerdings kaum tragen. Das gilt erst recht für den auf Grundlage des Inventory quantifizierten Rückgang von Oligarchien zugunsten von Demokratien im Appendix (S. 287–290). Hier verschleiert die nur scheinbar objektive Methode des Quantifizierens die desolate Quellenlage, der sich jede Erforschung der griechischen Oligarchie erneut stellen muss.
Kurzum: Simontons Studie ist grundlegend für die griechische Oligarchie in klassischer Zeit und beispielhaft für eine Strukturgeschichte antiker Politik. Seine pointierten Thesen und problematische Methodik geben dabei zugleich Anlass zu zukünftigen Diskussionen.

Anmerkungen:
1 Siehe besonders Jeffrey A. Winters, Oligarchy. Cambridge 2011.
2 Leonard Whibley, Greek Oligarchies. Their Character and Organisation. London 1896; Martin Ostwald, Oligarchia. The Development of a Constitutional form in Ancient Greece, Stuttgart 2000, ist entgegen seines Titels lediglich eine Untersuchung der aristotelischen Begrifflichkeit.
3 Es handelt sich um die berühmte Verfassungsdebatte bei Herodot (oligarchíe in indirekter Rede, Hdt. 3.82) und die pseudo-xenophontische Verfassung der Athener, die „oligarchisch regierten Städten“ einige Vorzüge zuspricht ([Xen.] Ath. pol. 2.17, 20). Simonton diskutiert diese Stellen kurz (S. 29–31).
4 Der Historiker Polybios etwa kennt dēmokratia als lobenden Ausdruck für ein inklusives und freies Gemeinwesen (Polyb. 2.38,6, vgl. 2.44,6; 6.57,9), zugleich übt er jedoch mehrfach grundsätzliche Kritik an „Demokratien“ (vgl. 7.10,1; 10.25,6; 11.13) und bevorzugt die aristokratia als gute Form der oligarchia (6.4,3 mit 6.51,2 und 23.14,1).

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