A. Tropper: Rewriting Ancient Jewish History

Cover
Titel
Rewriting Ancient Jewish History. The History of the Jews in Roman Times and the New Historical Method


Autor(en)
Tropper, Amram
Reihe
Routledge Studies in Ancient History 10
Erschienen
London 2016: Routledge
Anzahl Seiten
VIII, 220 S.
Preis
€ 131,10
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Judith Göppinger, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Wie es der Titel des Buches bereits vermuten lässt, beschäftigt sich Amram Tropper hauptsächlich mit der Methode des geschichtswissenschaftlichen Arbeitens. Es wird der Wandel von der „traditionellen“ zur „neuen“ Methode in der Analyse jüdischer Quellen aus der Antike seit den 1950er-Jahren nachgezeichnet, die einzelnen Schritte der Methodik werden klar beschrieben und schließlich anhand von Fallstudien aus den rabbinischen Quellen und aus Flavius Josephus aufgezeigt. Vor allem wird deutlich, welche Schwächen der veralteten die „neue“ Methode überwinden kann.

Begonnen wird mit einer Definition von „Geschichte“, die eben kein umgangssprachliches Synonym für (wahre) Vergangenheit ist, sondern aus wissenschaftlicher Perspektive besten Falls eine eingängige und sinnvolle Interpretation und Analyse der nur durch Quellen greifbaren Vergangenheit sein kann (S. 3f.). Jegliche Darstellung von Vergangenheit ist demnach immer sprichwörtlich partiell: unvollständig und voreingenommen. Diese heute in der Wissenschaft durchgesetzte Grundannahme wird von Tropper mit der traditionellen Sicht auf Quellen und Vergangenheit kontrastiert. Die „alte“ Methode zeichne sich vor allem durch ein unbegrenztes (und unbegründetes) Vertrauen in die Quellen und die daraus gewonnenen Fakten aus. Besonders die Methode der Quellenkritik, die auf philologischer Textkritik basiert, habe zu der Ansicht geführt, dass die authentische, also unbedingt wahre Version eines Textes durch Korrektur und Konjektur der Transkriptionsfehler wiederhergestellt werden könne.

Klassischerweise bestehen historische Methode und Historiographie nach Tropper aus drei miteinander verbundenen Schritten: Fragestellung und Sammlung relevanter Quellen, deren Analyse und der Interpretation der aus den Quellen gewonnenen Fakten in einer umfassenden geschichtlichen Darstellung. Der Fokus liegt vor allem auf dem zweiten Schritt, der Analyse der Quellen. Er teilt diesen in drei weitere auf: Authentizität, Hermeneutik und Glaubwürdigkeit. Diese Schritte seien zwar auch in der „traditionellen“ Methode verfolgt worden, allerdings unter falschen Vorannahmen. Beispielsweise wurden verschiedene Versionen eines Textes als gleichermaßen authentisch angesehen und auf einen gemeinsamen, nicht mehr erhaltenen Urtext zurückgeführt. Diese Vorlage sei rein hypothetisch und nicht überprüfbar. Grundlegend für diese Annahme sei die Vorstellung, dass rabbinische Texte keinerlei substantieller Änderung mehr unterliegen, sobald sie einmal schriftlich fixiert worden sind. Können Unterschiede nicht auf Fehler der Kopisten zurückgeführt werden, müssen sie also unterschiedliche mündliche Traditionen überliefern. Diese Vorstellung, dass geschriebene Texte nur kleinen Veränderungen und Modifizierungen unterliegen, ist laut Tropper nicht haltbar, da die kreative literarische Freiheit wie die ideologischen Agenden der AutorInnen völlig negiert werden (S. 27f.). Vielmehr sei von edierten Parallelen auszugehen: verschiedene Versionen sind nicht unabhängig, sondern abhängig voneinander und die Unterschiede lassen sich nicht auf eine andere mündliche Tradition, sondern auf die kreative Freiheit der Tradenten zurückführen. Weder Josephus und noch weniger die Rabbinen waren an einer bloßen, trockenen Überlieferung der wahren Geschehnisse, sondern an der Schaffung eines eigenen Werkes, mit eigener Agenda und eigenem Stil interessiert.

Was die Hermeneutik angeht, so untersuche die „traditionelle“ Methode zwar die Felder von Sprache, Kontext und Umfeld, allerdings sei die rhetorische und literarische Natur der Quellen unterschätzt worden (S. 34f.). Tropper betont, dass die literarische Gestaltungsfreiheit, die ideologischen Interessen und die unbewusste Voreingenommenheit der AutorInnen durchaus gesehen worden seien, die Quellen aber dennoch als authentische historische Berichte galten, die lediglich literarischen Ausgestaltungen unterliegen. Durch Wegstreichen dieser Ornamenta könne der wahre Kern freigelegt werden. Der Autor wendet sich jedoch deutlich gegen die Annahme, dass der historische Kern so einfach von der ornamentalen Hülle getrennt werden kann. Die von ihm propagierte „neue“ Methode rückt die literarische Qualität eines Textes in den Mittelpunkt, da sie Bedeutungen und Assoziationen generiert. Auf diese Weise steht der Kontext einer Quelle im Mittelpunkt, die Verbindungen eines jüdischen Textes zur ihn umgebenden, vornehmlich nichtjüdischen Kultur werden sichtbar. Gerade im Hinblick auf die rabbinischen Texte führt das zu neuen Erkenntnissen und weg vom Bild der abgeschotteten, exklusiven und homogenen jüdischen Gemeinden, die zu Subkulturen innerhalb einer weiten kulturellen Landschaft werden (S. 47).

Der letzte Schritt, so Tropper, besteht in der Untersuchung der Quelle auf ihre Glaubwürdigkeit hin: Waren die AutorInnen willens und in der Lage, gewissenhaft Ereignisse zu überliefern? Wie nahe steht eine Quelle dem beschriebenen Objekt oder Ereignis? Ist eine Bestätigung durch andere, davon unabhängige Quellen möglich? Der Großteil der zur Verfügung stehenden Zeugnisse besteht aus Sekundärquellen, deren AutorInnen stark mit ihrer Umwelt verbunden sind (durch sozialen Status usw.), was die „traditionelle“ Methode laut Tropper zu sehr vernachlässigt. Besonders hart kritisiert werden die Traditionalisten für ihre (wieder unbegründete) Annahme, dass Historiographen und Rabbinen als grundsätzlich verlässliche, an der Wahrheit interessierte Berichterstatter gelten. Die „neue“ Methode hingegen beginnt ihre Untersuchung mit einer Analyse des Genres, denn „before credible data can be distilled from a source, one must understand what the source is trying to say and by what rules it is playing“ (S. 59). Obwohl dieser literaturwissenschaftliche Ansatz dazu führt, dass weit weniger Fakten aus den Quellen als verlässlich gelten, sind die gewonnen seiner Ansicht nach hingegen belastbarer. Vor allem aber werden mehr Fakten über den Kontext einer Quelle gewonnen, als über das beschriebene Ereignis selbst, das bis auf einen rudimentären Kern durch sehr freie literarische Ausgestaltung verfälscht ist, wie ein Vergleich mit unabhängigen Quellen zeigt.1 Allerdings geht Tropper nicht so weit wie Steve Mason, der das Ende der Ereignisgeschichte postulierte.2 Ereignisgeschichte sei nach wie vor möglich, allerdings nicht sehr gewinnbringend. Interessanter und erkenntnisreicher sei eine Untersuchung der Kontexte, wie es beispielsweise in der Sozialgeschichte praktiziert wird.

Die vom Autor beschriebene „neue“ Methode kehrt der Annahme den Rücken, UrheberInnen antiker Quellen seien bloße KopistInnen oder KompilatorInnen; er sieht diese vielmehr als AutorInnen, die ein eigenes, einzigartiges Narrativ schaffen wollen. Im Fall von Josephus handelt es sich dabei um ein historisches Narrativ, im Falle der Rabbinen geht es vor allem um moralische Handlungsanleitungen und das richtige, gottgefällige Leben. Die „neue“ Methode setzt nicht auf Ereignisgeschichte, sondern auf die Analyse der literarischen Ebene einer Quelle, auf die AutorInnen selbst, auf langfristige Trends in den Quellen und auf deren kulturellen Kontexte. Die Quellen sind somit nicht nur Steinbrüche für historische Fakten, die sie nicht oder in nur sehr begrenztem Umfang liefern können, sondern kulturelle Artefakte. Diese Schlussfolgerung Troppers gilt nicht nur für jüdische, sondern für Quellen in der Antike allgemein.

Troppers Buch zeigt ausgezeichnet auf, wie vorsichtig und bewusst sich WissenschaftlerInnen mit Quellen auseinandersetzen müssen und welche Erkenntnisse aus diesen gewonnen werden können – und auch, welche nicht. Durch die zahlreichen Fallstudien und Beispiele werden die methodischen Unterschiede zwischen „alt“ und „neu“ deutlich und nachvollziehbar. Geschichtswissenschaftliches Arbeiten will gelernt und gekonnt sein und setzt methodisches Wissen voraus. Viele Punkte werden mehrfach wiederholt, was beim Lesen des Buches als Ganzes mitunter ermüdet, allerdings den Vorteil hat, dass auch nur einzelne Kapitel gelesen werden können. Das Buch dürfte für Methodikseminare im Grundstudium hervorragend geeignet sein, jedoch ist die Lektüre immer ein Gewinn. Einzig störend ist die Zusammenfassung der Fußnoten am Ende der Kapitel, was das Arbeiten umständlich gestaltet. Überflüssig scheint auch der mehr als knappe Epilog, der sich mit den Hintergründen dieses Methodikwandels beschäftigt. Viele Aspekte werden auf nur drei Seiten lediglich oberflächlich angerissen, was unbefriedigend bleiben muss. So habe der Ausschluss jüdischer WissenschaftlerInnen von säkularen Universitäten zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Ende gefunden und die Methodik sich durch deren Integration in die Universitäten grundsätzlich gewandelt. Zumindest für Deutschland muss eine solche Entwicklung in Frage gestellt werden, insbesondere aufgrund der Ereignisse ab 1933. Da das Buch aber auch ohne den Epilog gelesen werden kann, sei seine Lektüre uneingeschränkt empfohlen.

Anmerkungen:
1 Tropper geht hier vor allem auf das Phänomen der inventio ein, das keinen Unterschied zwischen wahr und wahrscheinlich macht (unter Verweis auf Cicero, De Inventione).
2 Vgl. Steve Mason, Josephus, Judea, and Christian Origins: Methode and Categories, Peabody 2009, S.42ff. und ders., Contradiction or Counterpoint? Josephs and Historical Method, in: Review of Rabbinic Judaism 6 (2003), S.145–188.

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