A. Merk: Blockbücher des 15. Jahrhunderts

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Titel
Blockbücher des 15. Jahrhunderts. Artefakte des frühen Buchdrucks


Autor(en)
Merk, Angelika
Erschienen
Berlin 2018: de Gruyter
Anzahl Seiten
XI, 275 S.
Preis
€ 99,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Paul Schweitzer-Martin, Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde / SFB 933, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Blockbücher stellen in der Buchproduktion des 15. Jahrhundert quantitativ ein Randphänomen dar, was sich auch in der Forschung spiegelt. Der zentrale Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Studie, die 2015 am Fachbereich Geschichte und Soziologie der Universität Konstanz als Dissertation eingereicht wurde, sind ebendiese europäischen Blockbücher. Lange Zeit wurden die im ausgehenden Mittelalter durch ein xylographisches Druckverfahren entstandenen Blockbücher als Vorläufer der typographischen Inkunabeln interpretiert. Angelika Merk hingegen folgt der neueren Forschung, der zufolge es sich bei den Blockbuchdrucken um eine parallele Erscheinung zum Verfahren mit beweglichen Lettern handelt. Entsprechend wird das „revolutionäre Paradigma der Mediengeschichte wie auch das stereotyp überformte Bild des Blockbuchs hinterfragt [...] und die Rolle des Mediums Blockbuch in dieser Experimentierphase des frühen Buchdrucks genauer untersucht“ (S. 3). Zu diesem Zweck rekonstruiert Merk das kulturhistorische Entstehungsumfeld, betrachtet das mediale Verhältnis zwischen Bild und Text und formuliert Überlegungen zur Funktion und den Gebrauchskontexten der Blockbücher. Die Arbeit greift hierfür auf ein Quellenkorpus zurück, das 44 Buchtitel umfasst, die über einen Zeitraum von ca. 100 Jahren gedruckt wurden und heute in knapp 600 Exemplaren überliefert sind.

Die Autorin gibt zunächst einen Überblick über die Fragestellung, Methodik und die vergleichsweise spärliche Forschung zum Gegenstand der Studie. Bei den Blockbüchern handelt es sich größtenteils um schmale Werke mit einem Umfang von acht bis 30 Blatt. Anders als bei Inkunabeln wurden die Blätter anopistographisch (einseitig) bedruckt und jeweils zwei bedruckte Seiten zu einer Vorder- und Rückseite zusammengeklebt. Inhaltlich lässt sich ein religiös-theologischer Schwerpunkt in der Produktion erkennen, der im Vergleich zur Handschriftenproduktion wenig überrascht. Im folgenden Kapitel werden die gedruckten Titel qualitativ nach Themen und quantitativ nach der Überlieferung ausgewertet. Merk stellt dabei fest, dass in der Überlieferung Schulschriften wie die Ars minor des Aelius Donatus, die unter „nicht-religiöse, didaktische Literatur“ (S. 18) fallen, durch den Gebrauch besonders fragmentarisch und vermutlich unterdurchschnittlich überliefert sind.

Auf die übergreifende Auswertung des Überlieferungsbestandes folgen zwei ausführliche Fallstudien, die ungefähr die Hälfte des Buches einnehmen. Hierfür wurden die Ars Moriendi-Drucke sowie die Planetenkinderbücher gewählt. Beide gehören der Überlieferung nach zu den auflagestärksten Blockbüchern, behandeln ein religiöses bzw. nicht-religiöses Thema, verfügen sowohl über lateinische als auch volkssprachige Ausgaben und decken damit viele Aspekte der Produktion ab.

Grundlegend wird anhand der Ars Moriendi-Drucke erörtert, ob die untersuchten Blockbücher als handfester Beleg für Glaubenszweifel im Mittelalter zu verstehen sind. Hierzu dienen exkursartige Überlegungen zum Purgatorium und auch zum Schwarzen Tod sowie den Flagellanten, die auch in den untersuchten Holzschnitten zu erkennen sind. Ergebnis des Kapitels ist, dass durch den Einsatz von Holzschnitten der Kreis der Rezipienten erweitert worden und durch die weniger kostenintensive Herstellung im Gegensatz zu Handschriften die Verbreitung stärker gewesen sei. Zudem scheint es sich um ein Buch der Seelsorge zu handeln, da die fünf schwersten Zweifel thematisiert werden, die im Rahmen priesterlicher Sterbebegleitung immer wieder auftauchen. Durch die angenommene starke Verbreitung dieser Drucke und die Inhalte wird postuliert, dass „Zweifel an der kirchlichen Lehre (...) das Denken weiter Teile der Bevölkerung zu beschäftigen schienen“ (S. 74).

Die zweite Fallstudie zu den Planetenkinderbüchern beschäftigt sich ausgiebig mit der Entstehung, Überlieferung sowie den Hintergründen und geht in einem Exkurs auch auf das Verhältnis von christlicher Theologie und Sternenmystik ein. Für beide Fallstudien wurden der Entwicklungsprozess und die Abhängigkeit des gedruckten Textes in gelungenen Graphiken als eine Art Stemma anschaulich aufbereitet (S. 30, 93). Analog zur ersten Fallstudie werden die Holzschnitte einzeln behandelt. Merk kommt zu dem Ergebnis, dass „die Planetenkinderbücher (...) das deutliche Interesse einer spätmittelalterlichen Gesellschaft an astrologischen und kosmologischen Sachverhalten [veranschaulichen], die hier stark vereinfachend umschrieben und bildlich aufgearbeitet wurden, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen“ (S. 128f.). Weiterhin seien sie kirchlich akzeptiert und nachweislich auch von Klerikern rezipiert worden. Dabei setzen die Drucke auf eine besonders enge Verzahnung von Text und Bild. Diese hätte an einigen Stellen stärker herausgearbeitet werden können.

Das vierte Kapitel konzentriert sich auf die Ausgangsfrage der Studie und verortet die Produktion der Blockbücher räumlich und zeitlich. Hierfür wird auf kodikologische Methodik wie die Wasserzeichenanalyse zur Datierung von Drucken, aber auch auf die Auswertung von Schreibsprachen und Kolophonen zurückgegriffen. Aus diesen Analysen ergeben sich die wahrscheinlichen Produktionszentren „Niederlande-Flandern-Brabant“, „Nieder- und Oberrhein“ sowie der Sprachraum Schwaben (vgl. S. 149). Zeitlich ist eine erste Blüte für die Jahre 1460–1470 und eine weitere regionale Expansion bis zum Ende des Jahrhunderts erkennbar. Danach setzt der Niedergang der Blockbuchproduktion ein. Gestützt durch Wasserzeichenanalysen datiert die Autorin die frühsten Blockbücher in die Mitte des 15. Jahrhunderts und nicht schon in die 1430er-Jahre, wie teils die ältere Forschung. Bei der Bestimmung der Rezipienten wird vornehmlich auf materielle Spuren zurückgegriffen; so werden zum Beispiel die Marginalien aus den vorher dargestellten Fallstudien ausgewertet. Allgemein lässt sich zudem erkennen, dass es sich bei den als Blockbüchern erschienenen Titeln um solche handelt, die sich mit Sicherheit gut verkaufen ließen. Zudem ist eine Tendenz zum Einzelband erkennbar, was im Kontrast zu den Sammelhandschriften der Zeit steht.

Das darauffolgende Kapitel verortet das Blockbuch innerhalb der Überlegungen zum spätmittelalterlichen Medienwandel. Bei Blockbuch und Inkunabel handelt es sich, wie die Autorin mit Verweis auf ihre Wasserzeichen-Datierung zu Recht betont, nicht um verschiedene Entwicklungsstufen des Buchdrucks, sondern um technisch unterschiedliche Verfahren, die gleichzeitig genutzt wurden. Sowohl Inkunabeln als auch Blockbücher orientieren sich dabei an handschriftlichen Vorläufern. Die exemplarspezifischen Untersuchungen ergeben ferner, dass die Blockbuch-Drucker mit Papier aus verschiedenen Beständen arbeiteten, was die Annahme der an die Nachfrage angepassten Produktion mit zeitlichen Unterbrechungen stützt. Inhaltlich sieht die Verfasserin die Blockbücher als Vehikel der Andacht und Kontemplation, da christlich-theologischen Themen vorherrschend waren.

Zum Schluss wird mit dem Wortspiel „MedienrEvolution (?)“ (S. 178) ein Fazit gezogen. Auf die Evolutionstheorie Luhmanns rekurrierend, wird die Bedeutung der Holzschnittillustrationen für den Prozess des Medienwandels betont. Merk kommt zu dem Schluss, dass Blockbücher „nicht spurlos verschwunden [sind], da ihr innovatives, piktographisches Element, das sich in einem kulturgeschichtlich, evolutionären Prozess mit der Typographie verband, in der illustrierten Inkunabel fortlebte“ (S. 190). Auch wenn diese Einschätzung ebenso überzeugt wie die Einschätzung der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als einer Phase des Experimentierens in der Buchproduktion, muss offenbleiben, inwieweit die verhältnismäßig kleine Gruppe an Blockbüchern tatsächlich repräsentative Entwicklungen der spätmittelalterlichen Gesellschaft aufzeigen kann. Alleine die Überlieferungssituation von rund 600 Exemplaren gegenüber rund 500.000 überlieferten Inkunabeln lässt die Blockbücher im Segment der Drucke aus heutiger Perspektive marginal erscheinen.

Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen, teils farbigen Abbildungen und Reproduktionen der Holzschnitte und Blockbuchseiten, die sich sowohl im Fließtext als auch im Anhang finden lassen. Der Anhang gibt zudem einen Überblick über die bekannten Blockbuchtitel, geordnet nach inhaltlichen Schwerpunkten, mit Sprache und Datierung. Für die beiden gewählten Fallstudien sind zudem Nachweise über die einzelnen Exemplare, deren Provenienz, Verwahrungsort sowie weitere exemplarspezifische Angaben in Tabellenform aufbereitet. Dieser ausführliche Anhang ist für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Blockbüchern eine wertvolle Ressource. Leider weist das Buch jedoch kein Register auf.

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