J.-H. de Boer u.a. (Hrsg.): Universitäre Gelehrtenkultur

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Titel
Universitäre Gelehrtenkultur vom 13.–16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch


Herausgeber
de Boer, Jan-Hendryk; Füssel, Marian; Schuh, Maximilian
Erschienen
Stuttgart 2017: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
589 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Sowodniok, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn

Seit nunmehr etwa dreißig Jahren hält der kulturwissenschaftliche Blickwinkel Einzug in die einzelnen Bereiche der Geschichtswissenschaften und damit auch in die Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. Als Markenzeichen dieses neuen Ansatzes gilt eine starke Disziplinenvielfalt, denn für weitreichende Fragestellungen nach Repräsentationsformen, Selbstverständnis oder dem akademischen Ritus und Alltag bedarf es einer Vielzahl neuer Methoden, die anderen Fächern entlehnt und für die eigene Fragestellung nutzbar gemacht werden, wo das Instrumentarium der konventionellen Geschichtsforschung nicht mehr auszureichen scheint.

Angesichts dieses Methoden- und Themenpluralismus sah man das Bedürfnis einer wissenschaftlichen Bestandsaufnahme, woraus das DFG-geförderte Projekt des Netzwerks „Institutionen, Praktiken und Positionen der Gelehrtenkultur des 13. bis 16. Jahrhundert“1 hervorging, dessen Zielstellung es war solch eine Zusammenstellung anzugehen. Das Ergebnis ist dieses von den Herausgebern als Methoden- und Quellenhandbuch betitelte Werk.

Die Zielsetzung war dabei eine recht einleuchtende. Man entschied sich gegen die Repräsentation der aktuellen Universitätsforschung des Mittelalters in einem typischen Aufsatzband und stellte sich vielmehr die Frage nach einem gemeinsamen Ansatz für die Vielfalt des darzustellenden Feldes. Nach der Aussage der Herausgeber fand man diesen in den Quellen, bei denen jede Forschung beginnt (S. 13). Die Auswahl dieser typischen Quellen wurde dabei, gemäß dem derzeitigen Forschungsinteresse an Materialität, über den klassischen Kanon der Schriftquellen hinaus auf spezifische Objekte bzw. Objektgruppen ausgedehnt, ohne die eine wirklich aktuelle und vollständige Erfassung der Forschungslandschaft kaum sinnvoll gewesen wäre. So gestaltet sich das Ergebnis nun tatsächlich als eine Art Nachschlagewerk für all jene, die sich entweder mit der mittelalterlichen Universitätslandschaft Europas (auf jene musste man sich dann doch beschränken, auch wenn der Titel der „Gelehrtenkultur“ auf einen weiteren Begriff von Bildung, Wissenschaft und Schulen deuten mag) beschäftigen oder im Laufe ihrer Arbeit im Objekt- bzw. Kulturwissenschaftlichen Bereich mit eben jener in Berührung kommen. Es wurden 26 Quellenarten zusammengestellt, darunter so geläufige wie Statuten, Siegel, Reden und typische Lehrwerke. In der Absicht, ein Abbild der Kultur zu zeigen, findet man aber auch Bilder, Musik, Grabmäler und Lehrzensur.

Jeder Quellenart wurde ein „Basisartikel“ zugedacht, der immer nach demselben Muster aufgebaut ist. Eine kurze Begriffsdefinition bildet den Einstieg, bevor diese in einem Teil zur „Genese, Funktion, Vorkommen“ vertieft wird. Darauf folgt eine Einführung in die typische Form aber auch Ausdifferenzierungen, sowie die gebräuchliche Terminologie. Der dritte Teil der jeweiligen Artikel bietet das wohl spannendste des ganzen Bandes, indem für jede dieser Quellen das eigentliche Forschungspotenzial umrissen wird. Man möchte hier zeigen, welche Fragestellungen für diese Quellen lohnend sind, was gerade im Fokus steht, aber auch welche Desiderate eventuell noch bestehen. Am Abschluss eines jeden Artikels folgt jeweils eine exemplarische Bibliographie zum Thema für den eigenen Einstieg. Diese Basisartikel sind jeweils von einer Person des Netzwerks verfasst, die durch einschlägige Forschungsarbeiten ausgewiesen ist, sodass es nicht verwundert Frank Rexroth als Autor für den Artikel über „Privilegien“ oder Marian Füssel für „Insignien“ vorzufinden. Für einige Quellenarten wurden Gastautoren wie Martin Wagendorfer oder Susana Zapke bemüht.

Diese Expertenautorenschaft bietet einen sehr tiefen Einblick für die einzelnen Quellengruppen, jedoch fällt dadurch bei den einzelnen Artikeln auch häufig ein gewisser Schwerpunkt bei der eigenen Forschungsarbeit auf. Der Band bemüht sich alle europäischen Universitäten in den Blick zu nehmen, jedoch schränken de Boer, Füssel und Schuh wohlbedacht bereits im Vorwort ein, dass dies nicht immer und für jede Quelle möglich oder sinnvoll ist. Auch sind einige Quellengruppen bereits so vielfältig erforscht oder bieten so viele Ansatzpunkte, dass nur Beispiele geboten werden können. Dies muss man bei der Lektüre immer bedenken, wenn für die Matrikel im Reich hauptsächlich jene aus Ingolstadt beispielhaft bemüht und auf andere lediglich kurze Schlaglichter geworfen werden oder der Schwerpunkt bei den Insignien eventuell schneller im 16. Jahrhundert mündet, als man es sich als Leser gewünscht hätte.

Für eine sinnvolle Strukturierung des Bandes ordnete man den Basisartikeln drei Überkategorien zu: der Verwaltung, Lehren und Lernen (also Ideengeschichte) und Repräsentation. Diese spiegeln im Wesentlichen die drei großen Themenkomplexe der Universitätsgeschichtsforschung. Da es natürlich keine absoluten Zuordnungen geben kann und sich einige Themen oder Fragestellung aus den verschiedenen Gruppen überschneiden, hat man auf ein einfaches Querverweissystem gesetzt. Sobald etwas auch für eine andere Quellenart interessant ist oder mit ihr in Verbindung steht, wird diese fettgedruckt in Klammern in den Text eingefügt und der Leser weiß, welche Artikel eventuell noch relevant bzw. interessant sein können, unabhängig von ihrer Zuordnung in die drei großen Teile des Buches.

Den drei Teilen des Handbuches wurde jeweils ein Überblickartikel vorangestellt, der in das Feld einführen soll. In zwei Fällen handelt es sich dabei um Texte mehrerer Autoren, die dann jeweils einen Aspekt der Thematik beleuchten, was das Lesen auf Grund teilweise erheblicher Stilbrüche nicht immer einfach gestaltet. Diese Einführungsartikel sind inhaltlich unglaublich dicht gefasst, da sie dem Anspruch genügen wollen, ein umfassendes Bild solch großer Themen wie genossenschaftliche Eigenorganisation oder wissenschaftliche Ideengeschichte des Mittelalters zu vermitteln, und das auf jeweils zwischen 10 (Verwaltung) und 23 Seiten (Lehren und Lernen). Das macht sie für Einsteiger sehr anspruchsvoll und damit für Studierende zur Herausforderung. Auch ihnen folgt am Ende eine Bibliographie für die Vertiefung.

Was bei sämtlichen Bibliographien auffällig wird, ist der Anteil der eigenen Forschungsarbeit der Autoren, manchmal auch zu Lasten etwas aktuellerer Literatur anderer Beispiele. Das scheint allerdings in den wenigsten Fällen den Autoren geschuldet, die den Schwerpunkt auf Fragen oder Argumentationen aus ihren eigenen Arbeiten legen – was legitim ist, da gerade ihre Perspektive gefragt war –, sondern der Wahl der Zitationsweise. Entgegen den deutschen Gepflogenheiten hat man sich im gesamten Band für die Nachweise im Text entschieden, was Vorteile, aber auch Nachteile mit sich bringt. Für den eben angesprochenen Punkt bedeutet es allerdings, dass alle nachgewiesenen Werke automatisch in der Artikelbibliographie auftauchen, auch wenn nur ein kleiner Aspekt aus diesem Aufsatz zur Sache beiträgt. Dagegen gelangen gerade im Falle von ergänzenden Schlaglichtern aus den Basisartikeln, bei denen dem Autor keine umfassende Kenntnis der Literatur vorlag, alte Standardwerke in die Bibliographie statt solcher, die für den Leser eventuell hilfreicher gewesen wären. Dies gilt allerdings nicht für jene Titel, die abseits der Einführungstexte Eingang in die Bibliographien fanden, die beinahe ausnahmslos die wichtigen Standardwerke abbilden und für die Arbeit mit den Quellen und Methoden von Nutzen sind. Vielleicht wäre ein von den Bibliographien getrenntes Nachweissystem in einigen Fällen besser gewesen, um solche Unschärfen zu vermeiden. Bei der Umsetzbarkeit gibt es da allerdings Grenzen. Dass man sich für den Nachweis im Text entschieden hat, fällt ansonsten jedoch positiv ins Auge, zwingt es die Autoren doch konzise und immer auf den Punkt zu formulieren und vermeidet Exkurse oder thematische Nebenschauplätze. Für die Nutzbarkeit der Bibliographien fallen auch strukturell Unterschiede auf. Während sich einige Autoren um Klarheit bemühen und ihre Quellen und Editionen nach Bezugsraum ordnen, fehlt dies bei anderen.

Insgesamt lässt sich über den Band sagen, dass er der Zielstellung des Projektes gerecht wird, wenn es darum geht einen Querschnitt der derzeitigen Strömungen der Universitätsforschung zu bieten, ohne dabei jemals einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. In seinem Aufbau ist er sehr gut geeignet, den Diskurs der Forscher unterschiedlicher Disziplinen zu befördern und ihnen eine einheitliche Grundlage zu bieten. Für die Arbeit mit Studierenden ohne Vorwissen (getestet mit meinen Seminarteilnehmern) ist er auf Grund der Informationsdichte eher weniger geeignet.

Anmerkung:
1 Projektseite der DFG: http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/191312934 (18.09.2918).

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