J. Krumrey: The Symbolic Politics of European Integration

Cover
Titel
The Symbolic Politics of European Integration. Staging Europe


Autor(en)
Krumrey, Jacob
Erschienen
Basingstoke 2018: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
X, 250 S.
Preis
€ 119,59
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ines Soldwisch, Historisches Institut, Lehrstuhl für Neuere Geschichte, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Jacob Krumrey hat ein umfassendes, gut kontextualisiertes Buch geschrieben, das sich der bisher immer noch zu sehr vernachlässigten Symbolpolitik der Europäischen Gemeinschaften in den 50er- und 60er-Jahren widmet. Treffend beschreibt das Zitat von Jean Monnet über die Gründung der EGKS auch den Blickwinkel, den Krumrey für seine Untersuchung gewählt hat. „The true significance of the European Coal and Steel Community is not coal, and it is not steel; it is Europe“ (S. 1).

In seiner Einführung (S. 1–13), betitelt mit „The EC as a Theater State“, begründet Krumrey sein methodisches Vorgehen. Er will die Europäischen Gemeinschaften als ein Ergebnis von Inszenierung untersuchen, um der von Monnet schon benannten Synekdoche nachzuspüren. Mit Hilfe eines kulturgeschichtlichen Ansatzes will Krumrey sich auf Momente konzentrieren, die bisher weniger in den Focus wissenschaftlicher Betrachtung getreten sind: „the EC’s protocol and ceremonies, and its marketing and image in the media“ (S. 2). Über diesen Ansatz, die Europäische Integration über die symbolische Repräsentation zu begreifen, hofft Krumrey, eine Antwort auf die Frage zu geben, wie technokratische Diskussionen und Entscheidungen über Kohle, Stahl und Zollabbau zum Symbol des „European Dreams“ werden konnten. Krumrey stützt seine Untersuchung dabei auf Forschungsliteratur, publizierte Quellen und auf archivalische Überlieferungen unter anderem der Foundation Jean Monnet pour l’Europe, den Historical Archives of the European Union, des Bundesarchivs, der National Archives and Records Administration (United States), der National Archives of the UK und des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes.

Der Autor gliedert seine Untersuchung in drei Teile, um die Inszenierungen auf unterschiedlichen Akteursebenen der politischen Bühne Europas zu identifizieren und zu beschreiben, 1. die Inszenierung der Diplomatie der Gemeinschaft, 2. die Inszenierung der Gemeinsamen Versammlung und 3. der Wettbewerb um eine europäische Hauptstadt als mögliche Inszenierung eines europäischen politischen Zentrums. Im ersten Teil (S. 15–108) widmet sich der Autor unter der Überschrift „Europe on the Diplomatic stage“ der Repräsentation und Inszenierung ausgesuchter Akteure und ihrem Werben für das europäische Aufbauwerk in Amerika, Großbritannien und in der EG selbst. Was den Erfolg und die Akzeptanz der Vertreter der EGKS in der Wahrnehmung staatlicher Akteure, besonders in den Vereinigten Staaten, ausmachte, war laut Krumrey „aggrandizement by ambiguitiy“ (S. 19). Die Neuartigkeit einer Gemeinschaft wie der EGKS auf der politischen Bühne schuf Unsicherheit im diplomatischen Umgang, den sich die zentralen Akteure wie etwa Jean Monnet, René Mayer, Walter Hallstein, Étienne Hirsch und Paul Finet zu Nutze machten (vgl. S. 24f.). Und hier unterschied sich die EGKS auch von anderen internationalen Organisationen als internationale Akteure: Das Zwischenspiel zwischen traditioneller und öffentlicher Diplomatie führte zu mehr Aufmerksamkeit nicht nur bei staatlichen politischen Akteuren in Washington, sondern auch in den Medien (vgl. S. 30ff.), führte sogar zur Idealisierung der EGKS als „European proto-government“, mit Jean Monnet als „Mr. Europe“ und Walter Hallstein als „Europe´s first prime minister“ (S. 23). Dies rief abseits der Begeisterung der Amerikaner nicht nur bei de Gaulle während der Krise des leeren Stuhls, sondern auch bei anderen europäischen Regierungsvertretern Unbehagen hervor (S. 64ff.), konnte aber den Siegeszug der Präsentanten eines „neuen“ Europas kaum aufhalten.

Der zweite Teil (S. 109–154) „A Parliament for Europe“ befasst sich mit der Gemeinsamen Versammlung und ihrem Wandel zu einem Europäischen Parlament. Auch hier wird deutlich, wie sehr persönliche Überzeugungen und Inszenierungen die Entwicklung von einer beratenden Versammlung zu einem Parlament bestimmten. Das immerwährende Werben um die Wichtigkeit der Versammlung als Vertretung der Bürger führte zu einer veränderten Wahrnehmung der direkt beteiligten Akteure, die sich als Parlament begriffen und sich seit 1958 auch Europäisches Parlament nannten (S. 111). Von Beginn an inszenierte sich die Versammlung der EGKS als Parlament, auch in ihrer Mimikry nationaler Parlamente, etwa bei der Eröffnungszeremonie einer Sitzungsperiode (S. 117ff.). Doch nicht nur hier wurde das Selbstverständnis der Mitglieder des EP, als arbeitendes Parlament von den Nationalstaaten ernst genommen zu werden, deutlich. Jede verabschiedete Entschließung wurde aktiv inszeniert. „Whatever its legal powers, the Assembly´s performance was already that of a European parliament“ (S. 127).

Der dritte Teil (S. 155–218) beschreibt eindrucksvoll, warum „The Race for the Capital of Europe“ so wichtig für die Eigen- und Fremdwahrnehmung eines einigen Europas war. Das „Kampf“ um eine europäische Hauptstadt wurde intensiv geführt. Krumreys Ausführungen geben einen Einblick in die komplexen diplomatischen Verhandlungen, die über die Sitzfrage der verschiedenen europäischen Institutionen, angefangen mit dem Sitz des Europarats in Straßburg 1949 (S. 157ff.) bis hin zur Diskussion eines Sitzes der Versammlung/des Europäischen Parlaments, letztendlich entschieden. Deutlich werden die unterschiedlichen nationalen, kulturellen und politischen Ansprüche an die „Capital of Europe“.

Die Zusammenfassung (S. 207–217) betont noch einmal die Besonderheit der Europäischen Gemeinschaften gegenüber anderen internationalen Organisationen, zieht Parallelen zu nationaler Symbolpolitik und Parallelen zu Symbolpolitik internationaler Organisationen der Nachkriegszeit. Auch wenn die Mimikry nationaler Parlamente auf symbolischer Ebene selten funktionierte, haben es die zentralen Akteure der Europäischen Gemeinschaften geschafft, Europa ein öffentliches Bild zu geben und Europa zu einem Begriff zu machen. Durch Inszenierung haben sie die Europäische Integration der ersten Jahre in neuer Weise dramatisiert und in der politischen Diskussion verankert. Dieser Weg ist nicht konsequent weitergegangen worden. Der Epilog beklagt somit aus gutem Grund das symbolische Defizit der heutigen Europäischen Union.

Die zentrale These Krumreys lässt sich zusammenfassen: Wirtschaftliche Entscheidungen und Zusammenschlüsse auf europäischer Ebene, wie die EGKS und die Euratom, konnten zu einem identitätsstiftenden Moment der europäischen Einigungspolitik werden, weil die politischen Eliten der 50er- und 60er-Jahre sie als solchen inszenierten, in Nachrichten, in anderen öffentlichen Verlautbarungen, in der Inszenierung der politischen Akteure in Europa und darüber hinaus. Die Gründung und der Erfolg der EGKS und nachfolgend der Euratom und EWG bis hin zur EG waren eben keine logischen Schritte der Nationalstaaten, um die wirtschaftliche Kooperation voranzubringen, in diesem Sinne also keine Selbstläufer. Geholfen hat in der Kommunikation mit Nationalstaaten, in den Verhandlungen mit ihnen, aber auch im Umgang mit der Öffentlichkeit und der Presse, die Neuartigkeit dieser Institutionen, die auf dem politischen Parkett zunächst auch Verunsicherung auslöste, wie mit ihren Vertretern und Repräsentanten umzugehen sei. Diese Unsicherheit hat manchmal eben auch zu einer größeren Wahrnehmung geführt, gerade in Amerika, Großbritannien und auch Frankreich, freilich aus unterschiedlichen Motiven heraus. Nur dadurch, dass die politischen Eliten ihre Aufbauarbeit aktiv als europäisches Phänomen und als Europas Zukunft konstruierten und inszenierten, konnten sie zu einem Synonym für erfolgreiche europäische Integration werden und nicht zwischen Nationalstaaten geschlossene Verträge bleiben. Das hat ihren Erfolg ausgemacht.

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