A. der Weduwen: Dutch and Flemish Newspapers

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Titel
Dutch and Flemish Newspapers of the Seventeenth Century 1618-1700.


Autor(en)
der Weduwen, Arthur
Erschienen
Leiden/Boston 2017: Brill Academic Publishers
Anzahl Seiten
1554 S.
Preis
€ 350,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Bellingradt, Institut für Buchwissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Die Erforschung des frühneuzeitlichen Nachrichtenwesens in Europa gilt seit Jahrzehnten als ein attraktives Betätigungsfeld unterschiedlicher interdisziplinärer Interessen. Zugleich lässt sich jedoch europaweit auch feststellen, dass die Erfassung, Katalogisierung und datenbankgestützte Ausweisung jener (handschriftlichen und mittels einer Drucktechnik hergestellten) Schrift- und Bildmedien noch in den Kinderschuhen steckt. Ein Blick auf die vielen retrospektiven Nationalbibliographien in Europa, die in den letzten circa 30 Jahren begonnen wurden, macht dies besonders deutlich. So sind trotz der Vielzahl an Katalogisierungs- und Erfassungsprojekten beispielsweise in den VD-Projekten in Deutschland (Verzeichnisse der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke zum 16., 17. und 18. Jahrhundert) bislang weder seriell-periodische Publikationen noch Akzidenzdrucke systematisch integriert. Das ist im konkreten Fall für den deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit umso misslicher, als ein sehr umfangreiches (teils bio-)bibliografisches Fundament aus diversen Erfassungs- und Erschließungsprojekten bereits vorliegt. Es sei hierbei lediglich an die jahrzehntelangen umfangreichen Quellensicherungen und biobibliografischen Aufbereitungen zur periodisch-seriellen Druckpublizistik des 17. und 18. Jahrhunderts durch das Institut für Deutsche Presseforschung in Bremen erinnert1, an größere Datenbank-Portale wie „Anno“ und „Europeana Newspaper“2, sowie an die Editionsleistungen zum illustrierten Flugblatt.3 Auch angesichts von „big data“-Debatten innerhalb der Digital Humanities gilt im Jahr 2018 noch, dass die eigentliche Fülle an Publikationen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, vor allem die Flugpublizistik und Zeitungsperiodika, bislang nur schwer zugänglich, großteils nicht vernetzt, oder in den meisten Fällen noch nicht einmal bibliografisch erfasst sind.

Obwohl angesichts verschiedener Online-Datenbanken wie dem „Short-Title Catalogue Netherlands“ (STCN), „Bibliopolis“ oder neuerdings „Delpher“ insgesamt das Vorhaben einer retrospektiven Nationalbibliographie zur frühneuzeitlichen Epoche der nördlichen und südlichen Niederlande auf einem relativ guten Weg zu sein scheint4, mangelt es insbesondere an einer systematischen Katalogisierung von den nach Auflage und Regelmäßigkeit eigentlichen Bestsellern der Zeit, den Druckperiodika. Arthur der Weduwen positioniert sich mit den beiden wortwörtlich gewichtigen Bänden „Dutch and Flemish Newspapers of the Seventeenth Century“ innerhalb dieses Desiderats. Auf circa 1.500 großformatigen Seiten präsentiert der Autor eine mit einigen Extras versehene Bibliographie aller momentan nachweisbaren, periodisch-seriellen mit einer Drucktechnik hergestellten und in niederländischer Sprache erschienenen Zeitungsformate des 17. Jahrhunderts. In Zahlen ausgedrückt: 49 Zeitungstitel, von denen 43 periodisch und 6 seriell erschienen, werden in 16.232 Exemplaren (aus 84 Sammlungs-Standorten) dokumentiert. Jeder der 49 Zeitungstitel besitzt eine eigene Signatur des in St. Andrews ansässigen, mittlerweile mehrere europäische Perspektiven entwickelnden Erfassungs- und Datenbankprojektes „Universal Short Title Catalogues“ (USTC) und ist jeweils mit einer Kurzeinleitung zu Charakteristika und Geschichte des jeweiligen Zeitungsunternehmens versehen.5 Während der Überblicksbeginn von „Dutch and Flemish Newspapers of the Seventeenth Century“ mit dem Jahr 1618 an das Erscheinen des ersten relevanten gedruckten Zeitungsperiodikums, nämlich die wöchentlich erscheinende „Courante uyt Italien, Duytsland, &c“ aus Amsterdam, gebunden ist, stellt das Jahr 1700 eher eine künstliche, aber arbeitsökonomisch für einen Einzelforscher verständliche Betrachtungsgrenze dar. Bekanntlich florierten niederländische Zeitungsunternehmungen auch noch im 18. Jahrhundert.

Der bibliografischen Dokumentation, die chronologisch nach Erscheinungsdaten die Nachweise jedes ermittelten Exemplars eines Zeitungstitels anführt, ist ein Einleitungsessay von circa 80 Seiten vorangestellt. Hier werden in sechs Kurzkondensaten wichtige Forschungs-Kontexte präsentiert zur bisherigen Pressehistoriographie zu niederländischsprachigen Periodika der Frühen Neuzeit, zu Amsterdam als Zeitungsstadt, zu Regulationsmustern und Zensurkräften, zur Druckpublizistik-Produktion in den nördlichen und südlichen Niederlanden, zu typischen Aktivitätsformen eines Journalisten-Verleger-Publizisten („Courantier“) von gedruckten Zeitungen sowie zu allgemeinen Rezeptionsgewohnheiten und Öffentlichkeitsformen periodischer Publizität. Auf weiteren 90 Seiten der Einleitung finden sich eine Forschungsbibliographie sowie diverse statistische und visuell aufgearbeitete Anhänge u.a. zu Erscheinungstagen der Zeitungen, zu Verlegern und Druckern, zu Publikationsorten, zu den häufigsten Korrespondenzorten in den Zeitungen. Insgesamt umfasst die bibliografische Ausweisung und Dokumentation, die der Autor umsichtig methodisch reflektiert im Unterkapitel „Bibliographical Working Method“ (S. 171–179), Sammlungsbestände aus 13 Ländern.

Die vom Autor präsentierte Bibliografie, die als Ein-Mann-Projekt neben dem eigentlichen Promotionsthema zu Zeitungen des 17. Jahrhunderts über Jahre und zahlreiche Archivreisen reifte, baut natürlich auf den mittlerweile beachtlichen Forschungs- und Editionsleistungen zur periodischen Presse der frühneuzeitlichen Niederlande auf. Dennoch stellen die zwei Bände in den nächsten Jahrzehnten ein nicht zu umgehendes Referenzwerk dar. Mit der noch nicht im Online-Katalog sichtbaren aber anstehenden Eingliederung dieser Editionsleistung in die USTC-Datenbank wird die Erforschung des niederländischen Nachrichtenwesens auf ein bibliografisches Fundament gestellt, welches viele andere europäische Länder neidisch machen darf und wird. Als Frühneuzeithistoriker ist sich man nur allzu bewusst, dass viele der eigenen Erkundungen im Medienverbund der Epoche in der Regel vom Glück der Überlieferungssituation abhängen. Doch gleich nach diesem Glück bestimmt der Zustand der bibliografischen Erfassung bzw. Erschließung sowie die Zugänglichkeit über die Möglichkeiten der eigenen historiografischen Analysen. Es darf angesichts solcher lobenswerter, langatmig erstellter bibliografischer Projekte gefragt werden, wann Ähnliches zum deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit umgesetzt werden wird? Die mit hoher Gesamtauflage erschienene und mentalitätshistorische Bedeutung tragende periodisch-serielle Publizistik sowie die Fülle an Flugpublizistik vor 1800 darf nicht länger in den retrospektiven Nationalbibliografien fehlen.6 Die Erschließung und spätere Vernetzung dieser Fülle an Publikationen der Frühen Neuzeit sollte nicht eine Puzzlearbeit einzelner Archive und Bibliotheken bleiben, sondern eine im Verbund koordinierte Erfassung.

Anmerkungen:
1 Vgl. Holger Böning u.a. (Hrsg.), Deutsche Presseforschung. Geschichte und Forschungsprojekte des ältesten historischen Instituts der Universität Bremen, Bremen 2013; auch die biobibliografischen Handbücher „Deutsche Presse“, die seit 1996 erscheinen, wurden und werden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts verantwortet.
2 „ANNO – Austrian Newspapers Online“, http://anno.onb.ac.at (15.08.2018); „Europeana Newspapers – A gateway to European Newspapers Online“, http://www.europeana-newspapers.eu (15.08.2018).
3 Siehe stellvertretend: Wolfgang Harms (Hrsg.), Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, 7 Bde., Tübingen 1985–2005; John Roger Paas, The German Political Broadsheet 1600–1700, 14 Bde., Wiesbaden 1985–2017.
4 Der STCN ist offiziell die „retrospectieve nationale bibliografie van Nederland voor de periode 1540-1800“. Im Jahr 2009 wurde verlautet, dass das „STCN project“ niemals als abgeschlossen getrachtet werden könne („The STCN project was declared ‚finished‘ on 1 July 2009. A retrospective national bibliography, however, is never finished until the last book that should be included has been found and described. For a country such as the Netherlands with its enormous book production and wide national and international book distribution, that moment will never come.“ Zitiert nach: STCN, https://www.kb.nl/en/organisation/research-expertise/for-libraries/short-title-catalogue-netherlands-stcn/history-of-the-stcn (15.08.2018). Siehe zu „Delpher“ (https://www.delpher.nl), eine im Verbund mehrerer niederländischer Bibliotheken organisierte digitale Datenbank für historische Periodikaformate vom 17–20. Jahrhundert, die Projekthomepage https://library.maastrichtuniversity.nl/collections/databases/delpher/ (15.08.2018). Das Bibliopolis-Projekt verfügt über Schnittstellen zum SCTN und fokussiert auf verschiedene Aspekte der Herstellung und des Vertriebs von gedruckten Publikationen der Niederlande. Siehe http://www.bibliopolis.nl/ (28.08.2018).
5 Siehe einleitend zum ambitionierten Erfassungsprojekt USTC, welches als „database of all books published in Europe“ annonciert wird und mittlerweile auch das 17. Jahrhundert mit anvisiert: http://ustc.ac.uk/index.php/site/about (15.08.2018).
6 Vgl. hierzu die Argumentation in Astrid Blome, Zeitungen, in: Clio Guide – Ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften, https://guides.clio-online.de/guides/sammlungen/zeitungen/2018 (28.08.2018).

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