B. A. Catlos u.a. (Hrsg.): Can We Talk Mediterranean?

Cover
Titel
Can We Talk Mediterranean?. Conversations on an Emerging Field in Medieval and Early Modern Studies


Herausgeber
Catlos, Brian A.; Kinoshita, Sharon
Reihe
Mediterranean Perspectives
Erschienen
Anzahl Seiten
XXI, 153 S.
Preis
€ 79,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nikolas Jaspert, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

In den letzten Jahren hat sich die Mediterranistik, also die systematische und transdisziplinäre Erforschung des Mittelmeeres, in Deutschland zu einem dynamischen Forschungsfeld entwickelt, das eine Vielzahl einschlägiger Sammelbände und Monographien hervorgebracht hat.1 Wer sich über diese Aktivitäten informieren möchte, wird in dem von zwei anerkannten nordamerikanischen Gelehrten herausgegebenen schmalen Band nicht fündig. Genauso wenig erfährt man über die lebendige im Mittelmeerraum selbst betriebene Forschung – sei sie aus Südeuropa oder Nordafrika.2 Aus dieser Perspektive bedeutet „to talk Mediterranean“ vor allem, im Binnendiskurs englischsprachiger Beiträge aus den USA und England miteinander zu reden. Dass dieses Gespräch aber durchaus fruchtbar und anregend sein kann, zeigt dieser Band ebenfalls. Er besteht im Kern aus der Verschriftlichung eines kurzen wissenschaftlichen Workshops (eine Einführung, vier Vorträge und ein Round-Table-Gespräch) mit dessen abschließender Bewertung sowie einer kommentierten Bibliografie. Ein schmaler Band zu einem großen Thema also, der dennoch in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich ist.

Denn zum einen mag es bezeichnend sein, dass man inzwischen einen programmatischen Sammelband über den Mittelmeerraum fast ohne jeden Rekurs auf Publikationen aus dem Mittelmeerraum schreiben kann. Dies ist nur möglich, weil die englischsprachige, und namentlich die nordamerikanische, Forschung unter dem Label des „Mediterranean“ eine außerordentliche Dynamik entfaltet, wie sich nicht zuletzt an der Berufungspolitik vieler amerikanischer Universitäten zeigt, die immer häufiger Positionen mit der Denomination Mediterranean History ausschreiben. Zum anderen ist es auffällig, wie intensiv, aber auch wie seriös sich die Autorinnen und Autoren dieses Bandes um Begriffe und Zugänge der historischen Mittelmeerforschung bemühen. Die Aufsätze zeugen vom redlichen Ringen mit einem Forschungsfeld, das eine komplexe, nicht zuletzt durch den Kolonialismus geprägte Geschichte aufweist, auch in der Gegenwart hochgradig politisch aufgeladen ist und nach wie vor unter einem Mangel an terminologischer Klarheit leidet. Gerade das Protokoll der Diskussionen und die abschließenden Reflexionen zeugen vom intellektuellen Selbstbezug eines im Aufbruch befindlichen Forschungsfelds. Die meisten Beiträge umfassen eine individuelle Positionierung im Stil der französischen Égo-Histoire, in der selbstreflexiv der eigene Zugang zur Mittelmeerforschung diskutiert und begründet wird. Dieser Grundzug zieht sich durch den gesamten Band, von den „personal reflections“ (S. 4) eines der Herausgeber bis zu der sehr persönlich gehaltenen kommentierten Bibliografie aus der Hand Peregrine Hordens, dessen beruhigendes „We should not worry too much“ (S. 122) die Intensität der auf dem Workshop geführten Diskussionen über Gegenwart und Zukunft der Mittelmeerforschung erahnen lässt.

In der Tat ist die Spannbreite dessen, was in diesem Band unter dem Begriff „Mediterranean“ verstanden wird, groß. Während einer der Herausgeber (Brian Catlos) Gemeinsamkeiten miteinander verwandter Kulturen fokussiert, greifen andere Autoren das in der deutschsprachigen Forschung in jüngerer Zeit etwas in Misskredit geratene Konzept der Hybridität auf. Cecily J. Hilsdale wiederum versteht unter dem irreführenden Begriff einer „Thalassal Optic“ eben keine wirklich auf die See orientierte Perspektive, sondern vielmehr transkulturelle, mediterrane Verflechtung. Unübersehbar ist das Bemühen, diese divergierenden Interpretationen mit dem zum Kanon erhobenen, im Jahr 2000 erschienenen Werk The Corrupting Sea von Peregrine Horden und Nicholas Purcell in Einklang zu bringen. Mehrfach ehrfürchtig mit „CS“ abgekürzt, ist die Studie der unhinterfragte Standardtext, an dem sich viele Autor/innen abarbeiten.3

Die eigentlichen Aufsätze fügen sich in eine Tendenz der jüngeren kulturwissenschaftlich geprägten Forschung ein, die vorwiegend auf kulturelle Austauschprozesse und Verflechtungen schaut. Cecily J. Hilsdale postuliert allzu apodiktisch, dass eine mediterranistische Perspektive noch keinen Eingang in die kunsthistorische Forschung gefunden habe. Tatsächlich aber fragt sie keineswegs als erste nach den „merits and limits of approaching these distinct artistic traditions as a visual culture interconnected by the Mediterranean“ (S. 19).4 Mit Recht spricht sich die Verfasserin für eine genaue Untersuchung von Biografien materialer Objekte aus, die das Mittelmeer durchwanderten und an verschiedenen Orten als Aktanten im Sinne Bruno Latours Wirkkraft entfalteten. Heilsam ist ihre warnende Erinnerung, dass die größte Zahl mediterraner Artefakte für diese Forschungsperspektive allerdings wenig fruchtbar ist. Sharon Kinoshita deckt in verschiedenen französischsprachigen Texten des späteren Mittelalters („Callirhoe“, „Floire et Blancheflor“ u.a.m.) teils versteckte, teils sehr deutliche Anspielungen auf den mediterranen Raum und auf maritime Verbundenheit auf. Sie lenkt zugleich die Aufmerksamkeit auf sehr konkrete Reflexionen zeitgenössischer politischer Begebenheiten des Mittelmeerraums in der Literatur des beginnenden Trecento. Claire Farago präsentiert a prima vista einen Literaturüberblick zur kunsthistorischen Forschung über mediterrane Verflechtungen in der Frühen Neuzeit. Doch ist der Text mit klugen Anregungen und vorsichtiger Kritik an einer allzu ökonomisch-materiellen Wahrnehmung des Meeres angereichert. Peregrine Horden liefert eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk und einen skizzenhaften Ausblick auf dessen seit fast 20 Jahren angekündigte Folgestudie. Trotz seiner Begrenztheit vereint der Band damit vier durchaus aufschlussreiche Forschungsartikel. Vor allem aber lohnt sich seine Lektüre für alle, die einen knappen Überblick und eine gute Bibliografie der englischsprachigen mediterranistischen Forschung, einen Einblick in die Abgrenzungsbemühungen einer jungen historischen Subdisziplin oder generell Einsicht in die Zeitgebundenheit historischer Forschung gewinnen möchten.

Anmerkungen:
1 Beispielhaft sei auf die 18 Bände der Reihe „Mittelmeerstudien“, hrsg. v. Mihran Dabag u.a., 2011ff., hingewiesen.
2 Lediglich beispielhaft: Élisabeth Malamut / Mohamed Ouerfelli (Hrsg.), Les échanges en Méditerranée médiévale: marqueurs, réseaux, circulations, contacts, Aix-en-Provence 2012; Rania Abdellatifu u.a. (Hrsg.), Construire la Méditerranée, penser les transferts culturels (Ateliers des Deutschen Historischen Instituts Paris 8), München 2012; Christophe Picard, La mer des califes: une histoire de la Méditerranée musulmane (VIIe-XIIe siècle), Paris 2015; Mohammad Ghodhbane (Hrsg.), Le répertoire décoratif et iconographique en Méditerranée antique et médiévale, Tunis 2016; Borja Franco Llopis u.a. (Hrsg.), Identidades cuestionadas: coexistencia y conflictos interreligiosos en el Mediterráneo (ss. XIV-XVIII), Valencia 2016. Vgl. Publications des Membres, in: Laboratoire de Recherche Histoire des Économies et des Sociétés Méditerranéennes, http://www.hesm.tn/fr/publications-des-membres/ (22.05.2018).
3 Peregrine Horden / Nicholas Purcell, The corrupting sea: a study of Mediterranean history, Oxford 2000.
4 Beispielhaft für eine einschlägige Studie mit ähnlicher Fragestellung: Avinoam Shalem, Islam Christianized: Islamic portable objects in the medieval church treasuries of the Latin West (Ars faciendi 7), Frankfurt am Main 1998.

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