G. M. Fröhlich: Soldat ohne Befehl

Cover
Titel
Soldat ohne Befehl. Ernst von Salomon und der Soldatische Nationalismus


Autor(en)
Fröhlich, Gregor
Erschienen
Paderborn 2017: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
426 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Max Bloch, Köln

„Sieh an, da gibt es also auch unter diesen mir von Grund auf fremden Rechten begabte Schriftsteller...“1. So insinuierte der Weltbühne-Autor Axel Eggebrecht, als er nach getaner Lektüre das Erstlingswerk Ernst von Salomons 1930 zuklappte. Und dieses Buch hatte es tatsächlich in sich! Hier schilderte ein damals 28-jähriger Ex-Sträfling seine Geschichte: Ein um den Krieg betrogener Kadett, heimatlos nach der Flucht des Kaisers, gedemütigt von der Revolution, schließt sich den Freikorps an, kämpft im Baltikum, lässt alle bürgerlichen Begriffe hinter sich, verehrt die Gewalt als geschichtsgestaltende Kraft – und kehrt als Geschlagener in ein ihm fremd gewordenes Reich zurück. Dessen Repräsentanten geltem ihm als Erfüllungsgehilfen fremder Imperialismen, als Verräter ihrer Soldaten und als Verächter der Nation. Er wird Terrorist, politischer Partisan, Mordgehilfe. Wegen seiner Beteiligung am Attentat auf Reichsaußenminister Walther Rathenau wird er verurteilt, und in der Haft wird er zum Schriftsteller. 1927 von Reichspräsident Paul von Hindenburg amnestiert, spielt er seit Erscheinen der "Geächteten" eine Rolle in der Weimarer Literatenszene, schließt „Bekanntschaften mit oftmals linksorientierten Schriftstellern wie Bertolt Brecht, George Grosz [sic!], Axel Eggebrecht oder Thomas Wolfe“ (S. 302), bleibt in erster Linie aber jenem Thema verbunden, das sein Lebensthema wird: dem Soldatischen Nationalismus, den Gregor Fröhlich als Untertitel seiner Studie passend wählt. Die Folgewerke, "Die Stadt" (1932) und "Die Kadetten" (1933), sind demselben Thema gewidmet, wieder mit ihm als Hauptperson.

Der Schwerpunkt der Studie liegt klar auf der hier skizzierten Lebens- und Schaffenszeit vor 1933, wobei der Autor sich vornimmt, den „suggestiven Nebel von Salomons Eigendarstellungen“ zu durchdringen (S. 26) und dessen oftmals laxen Umgang mit der historischen Wahrheit aufzudecken. Fesselnd beschreibt er den Kosmos des preußischen Kadettenkorps als eine abgeschottete Männerwelt, in der pubertäre Gewaltrituale die Zöglinge auf das vorbereiteten, das ihnen als eigentlicher Sinn des Soldatentums erschien: den Krieg. Nach der Schließung der Kadettenanstalten durch die republikanische Regierung 1918 suchten „orientierungslose Jugendsoldaten, die emotional verroht, sozial isoliert sowie an Brutalität gewöhnt waren“, neue Ziele (S. 98). Salomon folgte den Freikorps, die es ihm ermöglichten, das ihm entgangene Kriegserlebnis nachzuholen. Das Psychogramm Salomons, das Fröhlich entwirft, weitet sich zum Psychogramm der Kriegsjugendgeneration an sich, und dies in sprachlich durchaus einnehmender, fast schon an Salomon geschulter Form: „In der eigenen Weltanschauung von würdevollem Ernst erfüllt, erachteten sie das bürgerliche Leben ihrer Eltern doch als Witz. Angst und Schrecken in dieser für sie scheintoten Welt erheiterte sie. Sie versuchten einen festen Halt zu finden, indem sie alles um sich herum zertrümmerten. Ihre Ordnung musste erst aus dem Chaos entstehen. Ihre politischen Feinde umarmten sie als verlorene Brüder, wenn diese nur dasselbe Maß an Radikalität wie sie selbst aufwiesen. Wen sie liebten, den behandelten sie mit besonderer Härte. […] Manche von ihnen wechselten mehrfach zwischen der nationalistischen und der linksradikalen Szene, ins bürgerliche Leben fand jedoch kaum einer von ihnen.“ (S. 29f.)

Die Organisationsgeschichte der Freikorps, die Mentalität ihrer Kämpfer und die kriegerische Ereignisgeschichte werden relativ breit verhandelt, sodass Salomon mitunter fast schon aus dem Blick zu geraten droht. Das ändert sich mit der endgültigen Niederlage im Baltikum 1919. In Frankfurt am Main wurde Salomon Mitglied der geheimnisumwitterten Organisation Consul (OC), eines rechtsradikalen, dezentral operierenden Terrornetzwerks, mit staatlichen Stellen durchaus vernetzt, aber unbeirrbar in seinem Haß auf die Republik und ihre Träger. In Fröhlichs Deutung hat die Frankfurter Zelle der OC den Entschluss zum Rathenau-Mord autonom gefällt und auf eigene Faust losgeschlagen. Eine zentrale Attentatsregie hält er – entgegen Martin Sabrow2 – für unwahrscheinlich. Salomon hatte den Tatort ausbaldowert, und auch wenn seinen eigenen Darstellungen, wonach Antisemitismus keinerlei Rolle bei ihm und seinen Mordgenossen gespielt hätte, mit Vorsicht zu begegnen ist, so hat er unter seiner Tatbeteiligung zeit seines Lebens nachweislich stark gelitten. Seine Mitwirkung an einem – misslungenen – Fememord schildert er jedoch noch 1930 mit schenkelklopfender Gelassenheit. Die Zeit zwischen seiner Haftentlassung 1927 und dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 ist kurz erzählt: die rechtsintellektuellen Salons Berlins, Salomons halbherzige Mitwirkung an der schleswig-holsteinischen Landvolkbewegung, ein theatralischer Bombenanschlag auf das Reichstagsgebäude, das Atemholen des überraschend liquiden Rowohlt-Erfolgsautors im Baskenland, ein Zwischenspiel an der Uni Wien. 1933 kehrte Salomon nach Berlin zurück.

Carl Zuckmayer wertete es in seinen Berichten für den amerikanischen Geheimdienst Office of Strategic Services (OSS) als eine „Charakterleistung“, dass Salomon, dem alle Türen offengestanden hätten, zum Regime Abstand hielt.3 Das "Gelöbnis treuester Gefolgschaft" unterzeichnete er nicht. Er half bedrängten Freunden, kämpfte als Freikorpsarchivar (erfolglos) gegen die geschichtspolitischen Vereinnahmungsbestrebungen der NSDAP, kapitulierte aus Geldsorgen aber zunehmend vor dem totalitären Staat. Er kam bei der UFA unter, schrieb Drehbücher für Propaganda- und Unterhaltungsfilme, feierte Partys mit Eva Braun, geizte nach außen auch nicht mehr mit den obligaten Führerovationen, entsagte einer im eigentlichen Sinne politischen Tätigkeit aber ganz. Die ehemaligen Freikorps-Kameraden Friedrich Wilhelm Heinz und Hartmut Plaas versuchten ihn für den Widerstand zu gewinnen. Er lehnte ab. Die Sorge um seine halb-jüdische Lebensgefährtin spielte hierbei sicher eine entscheidende Rolle. Dass ihn die Wehrmacht nicht nahm, sondern ihm nur der Volkssturm blieb, kränkte sein soldatisches Selbstgefühl. Noch mehr kränkte ihn aber der automatische Arrest, in den ihn die amerikanische Besatzungsmacht 1945 für 15 Monate nahm. Hier bildete sich ein fast schon pathologischer Antiamerikanismus heraus, der den 1951 erschienenen "Fragebogen", den ersten Bestseller der jungen Bundesrepublik, von der ersten bis zur letzten Seite durchzieht. Aus Salomon sprach „die Furcht vor kultureller Zersetzung, Selbstentfremdung und Identitätsverlust“ (S. 351), und die Abwehrreflexe gegen den „Westen“ führten Salomon an die Seite der Befürworter eines neutralisierten Gesamtdeutschlands (freilich in den Grenzen von 1937!) und anschließend in die Friedens-, Anti-Atom- und Anti-Kolonisationsbewegung. Alte Kameraden erkannten ihn kaum wieder; Che Guevera empfand er als seinen eigenen Widergänger; Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin stand er als väterlicher Mentor bei. Wie er den Deutschen Herbst 1977 gedeutet hätte, bleibt Spekulation. Er starb fünf Jahre zuvor.

Dass Ernst von Salomon heute zu den Vergessenen gehört, weil, wie Fröhlich anklingen lässt, „die 68er“ ihn auf eine Art virtuelle Proskriptionsliste gesetzt hätten (vgl. S. 398), hält der Rezensent für groben Unsinn. Salomon ist nicht nur an seiner Zeit und an sich selbst gescheitert. Er scheiterte auch und in erster Linie an den damals schon nicht mehr zeitgemäßen Ideen des Soldatischen Nationalismus, der sich aus einer verquasten Tatromantik speiste. Dass die Attraktivität eines Autors nachlässt, wenn das, wofür er stand, nur mehr als historisches Phänomen zu betrachten ist, dürfte keine überraschende Erkenntnis sein. Rückläufige Rezeption auf (heute wieder gern herbeiorakelte) Denk- oder Leseverbote zurückzuführen – Fröhlich spricht von „prodemokratischer Gesinnungsethik“ (ebd.) –, ist grundlegend falsch. Die sogenannte Neue Rechte, die nach allem wittert, was nach Ehrenrettung der ach so verkannten Konservativen Revolution riecht, hat Fröhlichs Buch ihrem Kanon selbstverständlich umgehend eingemeindet.4 Wiederkehrende Rekurse auf „rechte“ Autoren wie Panajotis Kondylis und Ernst Nolte luden hierzu ein. Fröhlichs gelungene Studie über den literarischen Chronisten und politischen Aktivisten Ernst von Salomon verdient jedoch, auch über diesen kleinen Kreis ideologischer Adepten hinaus rezipiert zu werden.

Anmerkungen:
1 Axel Eggebrecht, Der halbe Weg. Zwischenbilanz einer Epoche, Hamburg 1975, S. 253.
2 Vgl. Martin Sabrow, Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution, Frankfurt am Main 1998.
3 Carl Zuckmayer, Geheimreport, hrsg. von Gunther Nickel und Johanna Schrön, Göttingen 2002, S. 108.
4 Benedikt Kaiser, „Soldat ohne Befehl“ – Neue Biographie über Ernst von Salomon erschienen, in: Sezession, https://sezession.de/58176/soldat-ohne-befehl-neue-biographie-ueber-ernst-von-salomon-erschienen/2 (31.03.2018).