J. Riedmann (Hrsg.): Die Innsbrucker Briefsammlung

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Titel
Die Innsbrucker Briefsammlung. Eine neue Quelle zur Geschichte Kaiser Friedrichs II. und König Konrads IV


Herausgeber
Riedmann, Josef
Reihe
MGH Briefe des späteren Mittelalters 3
Erschienen
Wiesbaden 2017: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
VII, 342 S.
Preis
€ 80,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Thumser, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Es war eine wirklich außergewöhnliche Entdeckung. Als der Innsbrucker Mediävist Josef Riedmann im Jahr 2004 das Manuskript eines Handschriftenkatalogs der örtlichen Universitäts- und Landesbibliothek durchsah, um es im Hinblick auf seine „Druckwürdigkeit“ zu begutachten, stieß er im Cod. 400 auf eine Sammlung von Briefen der staufischen Herrscher Friedrich II. († 1250) und Konrad IV. († 1254) mit vornehmlich süditalienischen Gegenständen, von denen laut der Beschreibung des Bearbeiters Walter Neuhauser eine erhebliche Anzahl anhand der gängigen Hilfsmittel nicht nachweisbar war.1 Riedmann ging dem nach und konnte den Befund nur bestätigen: Unter den 209 Stücken der Briefsammlung befinden sich 27 Schreiben Kaiser Friedrichs II. sowie sage und schreibe 100 seines Sohnes Konrad IV., die bis dahin völlig unbekannt waren. Ist dies schon für den kaiserlichen Vater als ein Sensationsfund anzusehen, so gilt es noch viel mehr für den Sohn. Von ihm als Aussteller waren bislang insgesamt nur rund 70 Urkunden und Briefe bekannt, nun aber wurde diese Zahl um 150 Prozent übertroffen.

13 Jahre nach der Entdeckung – eine durchaus vertretbare Zeitspanne – hat Josef Riedmann die Innsbrucker Briefsammlung, wie die Kompilation kurz nach ihrer Auffindung benannt wurde, bei den Monumenta Germaniae Historica (MGH) vollständig in einer kritischen Edition publiziert. Die Einleitung zu der Ausgabe enthält eine knappgefasste kodikologische Beschreibung des kleinformatigen Pergamentkodex. Es handelt sich um eine aus drei ursprünglich unabhängigen Teilen zusammengesetzte Handschrift, in die neben der Briefsammlung die „Institutiones minores“ des spätantiken Grammatikers Priscian sowie die um 1250 verfasste „Summa dictaminum“ Ludolfs von Hildesheim eingegangen sind. Alle drei Texte wurden in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts geschrieben. Zusammengeführt und gebunden wurden sie im 15. Jahrhundert in der Kartause Allerengelberg (heute Karthaus) im Südtiroler Schnalstal. Die Mönche schufen sich mit diesem Ensemble ein Hilfsmittel zur Ars dictaminis, der mittelalterlichen Briefstillehre, die auch damals noch hochaktuell war. Auf welchem Weg die verschiedenen Teile in das um 1325 gegründete Kartäuserkloster gelangt waren, lässt sich nicht nachvollziehen. Nach der Auflösung der Gemeinschaft im Jahr 1784 wurde ihr Handschriftenbestand der Innsbrucker Universitätsbibliothek übergeben.

Ausführlicher fällt in der Einleitung die Beschreibung des dritten Teils der Handschrift aus, der die Innsbrucker Briefsammlung enthält. Riedmann unternimmt dabei eine eingehende paläographische Analyse der durchweg in gotischer Textualis gehaltenen Schriften und gelangt zu dem Ergebnis, dass der Text wohl in den 60er- oder 70er-Jahren des 13. Jahrhunderts in Süddeutschland oder im Alpenraum entstanden ist. Farbabbildungen von 16 ausgewählten Seiten machen die kodikologischen Ausführungen nachvollziehbar.

Weiterhin enthält die Einleitung Überlegungen zu den Vorlagen der Innsbrucker Briefsammlung. Riedmann spielt die Möglichkeit von Konzepten und Registern durch, macht ein Zwischenglied wahrscheinlich und gelangt zu der Feststellung, dass sie indirekt auf die sizilische Kanzlei König Konrads IV. zurückzuführen sei. Er stellt überdies Vermutungen an, wie die Texte in den Norden vermittelt wurden, möglicherweise über sizilische Exulanten, die ihre Heimat nach dem Untergang der staufischen Herrschaft im Jahr 1266 verlassen mussten. Von erheblicher Bedeutung für die Entstehungsgeschichte der Innsbrucker Kompilation ist ihre inhaltliche Nähe zu der in den 1260er-Jahren im Königreich Sizilien entstandenen, bald weitverbreiteten Briefsammlung des Petrus de Vinea. Leider bleibt Riedmann hier recht allgemein und ignoriert die einschlägigen Ausführungen von Benoît Grévin und Fulvio Delle Donne, die hierzu bereits bedenkenswerte Hypothesen geäußert haben.2

Die Edition der 208 Nummern hält sich an das bewährte Muster der MGH. Jedes Stück wird von einem relativ ausführlichen, stets präzise formulierten Regestentext angeführt. Auf die Verzeichnung der alten Drucke und Regesten – soweit solche überhaupt vorliegen – folgt der Editionstext, der sich eng an die unikal überlieferte Vorlage hält. Die üblichen Normalisierungen von Interpunktion sowie Klein- und Großschreibung erleichtern die Lektüre. Konjekturen waren nur in beschränktem Maße notwendig, da der Text der Vorlage sehr zuverlässig ist und kaum Schreiberversehen aufweist. Der kritische Apparat beschränkt sich deshalb vielfach auf die Lesarten der Parallelüberlieferung. Im Sachapparat werden zwar die Anleihen aus der Vulgata und anderen Werken nachgewiesen, darüber hinaus wären allerdings eingehendere Erklärungen, welche die Kontextualisierung der Schreiben erleichtern würden, wünschenswert gewesen. Hingegen ist die Identifizierung von allseits bekannten Begriffen, so etwa wiederholt „Neapolis“ mit „Neapel, Kampanien“, kaum hilfreich. Sämtliche Stücke, auch jene, die bereits in Edition vorliegen, werden in ihrem vollen Wortlaut wiedergegeben, was zu begrüßen ist, schon weil die Sammlung in bestimmten Fällen einen besseren Text bietet als die bereits bekannten Textzeugen. Die Reihenfolge der Schreiben in der Edition entspricht, wie heute bei derartigen Ausgaben weithin üblich, jener in der Handschrift. Alles in allem ist Riedmann eine sehr gute Wiedergabe der nicht immer ganz leicht verständlichen Texte gelungen.

Die Innsbrucker Briefsammlung ist als eine Mischsammlung anzusehen, die sich aus mehreren unterschiedlich ausgerichteten Komponenten zusammensetzt. Den Beginn machen die im 12. Jahrhundert gefälschte „Constitutio de expeditione Romana“ Karls des Großen und einige gegen Friedrich II. gerichtete Papstbriefe. Es folgen, unterbrochen von einer Exordiensammlung, die Schreiben Friedrichs II. und Konrads IV. Am Ende stehen weitere Briefe der beiden Herrscher, die nun der Briefsammlung des Petrus de Vinea am nächsten stehen. Sie schließen 20 Schreiben aus der im frühen 13. Jahrhundert kompilierten und im späteren Mittelalter stark rezipierten Briefsammlung des Transmundus ein. Bei den Erzeugnissen der staufischen Kanzlei handelt es sich vornehmlich um Briefe und Mandate, Privilegien begegnen nur vereinzelt. Nahezu alle Stücke scheinen authentisch zu sein, nur wenige sind als Stilübungen zu klassifizieren. Wie bei Briefsammlungen üblich, wurden die Empfänger der Schreiben in vielen Fällen weggelassen, die Datierungen durchweg. Zahlreiche Brieftexte wurden verkürzt, teilweise stark. Der Adressatenkreis der Herrscherbriefe ist groß, Päpste und Kardinäle, Könige und Fürsten, Adelige, italienische Stadtkommunen, namentlich der römische Senat, bei Konrad IV. in besonderem Maße auch sizilische Verwaltungsfunktionäre. Inhaltlich beziehen sich die Briefe Friedrichs II. vornehmlich auf seine Auseinandersetzungen mit dem Papsttum sowie politische und militärische Ereignisse. Die Schreiben seines Sohnes Konrad IV. sind weit stärker auf die tägliche Praxis von Regierung und Verwaltung des Königreichs Sizilien ausgerichtet, indem sie administrative, juristische und wirtschaftliche Fragen behandeln. Riedmann konstatiert eine doppelte Intention der Briefsammlung, zum einen ein Interesse an den zentralen Fragen des politischen Geschehens, besonders am großen Konflikt zwischen Imperium und Sacerdotium, zum anderen die Bereitstellung von Musterbriefen, anhand derer neue Schreiben formuliert werden konnten. Man sollte dies gar nicht so strikt trennen. Als Ganzes stellt die Kompilation eine Sammlung von formgerechten Schreiben dar, die als vorbildlich erachtet wurden und deshalb der Schulung in der Ars dictaminis dienten.

Die Entdeckung der Handschrift Innsbruck 400 war tatsächlich eine Sensation. Vor allem die zahlreichen völlig unbekannten Schreiben König Konrads IV. werfen ein ganz neues Licht auf seine Herrschaft im Königreich Sizilien, über die man bislang nicht allzu viel wusste. Und auch die Überlieferung zum kaiserlichen Vater Friedrich II. hat eine wesentliche Erweiterung erfahren. Sogar die Presse reagierte damals, im Bereich der Mittelalterlichen Geschichte keineswegs selbstverständlich, auf das spektakuläre Ereignis und verglich den Kodex aus dem Schnalstal mit dem Ötzi – angesichts des nahegelegenen Fundortes der Gletschermumie nicht einmal abwegig. So kann die Beschäftigung mit den Briefen nun beginnen. Josef Riedmann hat mit seiner allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Edition die Voraussetzungen hierfür geschaffen.

Anmerkungen:
1 Katalog der Handschriften der Universitätsbibliothek Innsbruck, Bd. 4: Cod. 301–400, Katalogband, bearb. von Walter Neuhauser und Lav Šubarić (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Denkschriften 327 – Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters II/4,4), Wien 2005, S. 452–470.
2 Benoît Grévin, Rhétorique du pouvoir médiéval. Les „Lettres“ de Pierre de la Vigne et la formation du langage politique européen (XIIIe–XVe siècle) (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome 339), Rome 2008, S. 111–116; Fulvio Delle Donne, Su un codice stravagante del cosiddetto Epistolario di Pier della Vigna: Innsbruck, Universitäts-Bibliothek, 400, in: Archivio Normanno-Svevo 3 (2011/12), S. 113–119.

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