St. Kleiner u.a. (Hrsg.): Guter Rat

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Titel
Guter Rat. Glück und Erfolg in der Ratgeberliteratur 1900–1940


Herausgeber
Kleiner, Stephanie; Suter, Robert
Erschienen
Berlin 2015: Neofelis Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Isabelle Haffter, Seminar für Kulturwissenschaften, Universität Luzern

Ratgeberliteratur mit Anleitungen zu einem glücklicheren und erfolgreicheren Leben hat spätestens seit der „neoliberalen Wende der 1980er Jahre“ (S. 36) und den damit einhergehenden sozioökonomischen und -kulturellen Transformationsprozessen Hochkonjunktur. Sie wird ihre Relevanz vermutlich auch in Zukunft durch die fortschreitende Digitalisierung von Selbsttechnologien und die ungebrochene Popularität der „Positive Psychology“ beibehalten, wenn nicht sogar steigern.

Vor dem Hintergrund solcher öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten entwickelt der Sammelband „Guter Rat. Glück und Erfolg in der Ratgeberliteratur 1900–1940“ die These, dass Glück und Erfolg „regulative Leitideen für Lebensläufe im 20. Jahrhundert“ seien, da sie „als Resultat unausgesetzter Arbeit am Selbst gelten“ (S. 9). Die Beiträge präsentieren historische Analysen exemplarischer Ratgeberliteratur im Spannungsfeld von „Gegenwartsgestaltung und Zukunftsplanung, Psychologie und Lebensphilosophie […] kollektive[n] Ansprüch[en] und individuelle[n] Wünsch[en], ökonomischer Realität und phantasmatischer Anspruchshaltung“ (ebd.). Dieser Zugang zum Thema ermöglicht es, Glück und Erfolg als spezifische Alltagspraktiken und Subjektivierungsformen im 20. Jahrhundert zu rekonstruieren und zu reflektieren.

Im Zentrum der Beiträge steht der Zeitraum 1900 bis 1940, der als zentrale Epoche für die Etablierung und Institutionalisierung des Ratgebergenres gedeutet wird. Er wurde von der Forschung bisher vernachlässigt, da das Augenmerk vor allem auf der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lag. Im europäischen und angloamerikanischen Raum bildete sich das bis heute gültige Ratgeberformat jedoch schon zwischen 1900 und 1945 heraus. Einen Grund für den kontinuierlichen Zuwachs nach 1900 sehen die Herausgeber Stephanie Kleiner und der 2014 verstorbene Robert Suter in den soziokulturellen Ausdifferenzierungsprozessen seit Ende des 19. Jahrhunderts. Eine Folge davon sei zum einen der soziale Aufstieg gewisser Gruppierungen (zum Beispiel männliche Angestellte), an die sich die Mehrheit der Ratgeber richtete, zum anderen die Auflösung historisch gewachsener Traditionen und Institutionen gewesen. Zum bestehenden Forschungsstand, der die Zwischenkriegszeit als eine unsichere und orientierungslose Phase deutete, beabsichtigt der Sammelband, ergänzend Alternativen von „Praktiken subjektiver Handlungsmacht“ (S. 25) und deren kreativen Möglichkeiten und innovativen Chancen aufzuzeigen.

Die Beiträge sind nach zwei wesentlichen Erkenntnisinteressen gegliedert: Die Aufsätze von Rudolf Helmstetter, Wim Peeters und Heiko Stoff konzentrieren sich insbesondere auf die „Mediologie“ der Ratgeber, das heißt auf deren mediale Logiken und Erscheinungsformen wie zum Beispiel das Buch, der Vortrag oder die Radio- und Zeitschriftenkolumne. Dazu gehören auch die Selbstvermarktungsstrategien der Autoren und Autorinnen, die sie im Austausch mit ihrem Lesepublikum entwickelten. Die Beiträge von Stefanie Duttweiler, Astrid Ackermann, Stefan Rieger und Lu Seegers stellen dagegen die Geschichte der Ratgeber aus einer praxeologischen Perspektive vor. Der Fokus dieser Texte richtet sich auf die „zeitspezifische[n] Wissensformen, gouvernementale[n] Praktiken der Selbstführung und Modi des Selbstverhältnisses“ (S. 34f.). Dabei sollen die Charakteristika einer permanenten sich wechselseitig bedingenden Praxis von (Selbst-)Disziplinierung und Hervorbringung des Subjekts erläutert werden.

Der Beitrag von Stefanie Duttweiler untersucht erkenntnisreich die Ratgeberkommunikation zur Blütezeit der Ratgeber in den 1920er-Jahren. Charakteristische Ziele der Ratgeber waren beruflicher Erfolg, die „Schulung des Willens“ (S. 42) oder das Erlangen von Glück aus sich selbst heraus. Zentrale Begriffe wie „Glück und Erfolg, Kraft und Tat, Wille und Selbstbemeisterung“ (S. 43), die sich vordergründig an „alle“ richteten, adressierten in erster Linie jedoch eine männliche Leserschaft. Ausgehend von ihrer Analyse versucht die Autorin eine sozialwissenschaftlich angelegte Typologie populärer Ratgeber der 1920er-Jahre zu entwickeln, um deren Subjektivierungsformen begriffsspezifisch veranschaulichen zu können: Der Typus „Erbauungsliteratur“ regte den Leser zur moralischen und ethischen Selbsterziehung an, wohingegen die sogenannte „Trainingsliteratur“ das als schwach vorausgesetzte Subjekt dazu bringen sollte, sich durch unablässige Übung zu meistern. Schließlich zielte die „Managementliteratur“ mittels visueller Hilfsmittel wie präziser Arbeitspläne auf eine „Selbstführung“ des Subjekts ab.

Astrid Ackermann veranschaulicht in ihrem Beitrag, dass sich das Ratgebergenre seit den 1920er-Jahren ausdifferenzierte und vermehrt Autoren und Autorinnen ihre Verhaltenslehren an eine weiblich urbane Leserschaft richteten. Damit ergänzt sie Duttweilers Ratgebertypologie um eine Genderperspektive. Die häufige Anleitung zu einem scheinbar weiblichen „kleinen Glück“ im Alltäglichen war ein trügerischer Traum von Spielräumen zur Selbstoptimierung, der dem als männlich konnotierten „großen Glück“ des wirtschaftlichen Erfolgs diametral entgegenstand. Er bekräftigte geschlechterspezifische Stereotype und führte allgemein zur Stabilisierung gesellschaftlicher Machtbeziehungen.

Wim Peeters literaturwissenschaftlicher Beitrag befasst sich mit Hugo Schramm-Macdonalds Erfolgsratgeber Der Weg zum Erfolg durch eigene Kraft (1889) und kommt zu einem aufschlussreichen Ergebnis: Kennzeichnend für einen guten Rat zum Erfolg sei eine gute Erzählung , die aus diskursiv bereits bestehenden Selbsthilfenarrativen und Erfolgsgeschichten gespeist wird, an eine repetitive Erfolgsideologie anknüpft und nur im Detail, in den herangeführten Beispielerzählungen, variiert. Dabei kritisiert Peeters an den von ihm untersuchten Ratgebern eine gewisse „A-Historizität“ gegenüber „ihrer eigenen Traditionsbildung“ (S. 106).

Der begriffs- und sozialgeschichtliche Beitrag von Rudolf Helmstetter stellt dar, wie Erfolg um 1900 vom amerikanischen success-Modell eines selfmade man ins Deutsche übersetzt wurde und darin einen Bedeutungswandel erfuhr. Hatte man bisher unter Erfolgen einen „glücklichen Ausgang“ (S. 74) von politischen oder militärischen Unterfangen verstanden, so wurde Erfolg in seiner Singularisierung ab 1900 zum Schlagwort für wirtschaftlich erfolgreiche Lebensentwürfe. Die religiös anmutende Obsession der Leserschaft gegenüber „trivial-magisch[en]“ (S. 74) Erfolgsgeschichten begründet Helmstetter mit der stimulierenden Ratgebertechnik das Begehren, den Willen und die Disziplinierung zum Erfolg im Leser wecken zu können. Diese „Erfolg-Propaganda“ (S. 61), die äußere Handlungsräume ausblendete, vermochte ihre mobilisierende Wirkungsmacht in Deutschland womöglich erst seit den 1920er-Jahren richtig zu entfalten, vermutet Helmstetter, als die demokratischen Rahmenbedingungen für sozialen Aufstieg gegeben waren. Der tatsächliche Einfluss sei empirisch jedoch schwer nachzuweisen, resümiert der Autor. Auch die These einer „Geschichtsblindheit“ (S. 87) gewisser Ratgeberautoren gegenüber den realpolitischen Umbrüchen, insbesondere im Nationalsozialismus, müsste, wie Helmstetter selber kritisch anmerkt, anhand eines größeren Quellenkorpus empirisch überprüft werden. Helmstetters These einer „Geschichtsblindheit“ steht denn auch in gewissem Widerspruch zu Seegers Untersuchung zur Verflechtung von Ratgeberwissen und NS-Ideologie, wie der folgende Abschnitt zeigt.

Lu Seegers' Beitrag über den Lebens- und Eheberater Walther von Hollander rundet den Sammelband gelungen ab. Neu an Seegers' Forschungsansatz ist die Fokussierung auf Hollanders Bedeutung im Nationalsozialismus. Nachdem er bereits in der Weimarer Republik tätig gewesen war, konnte er seine Karriere im „Dritten Reich“ weiter ausbauen, ohne der NSDAP beizutreten. 1940 erschien sein Ratgeber Das Leben zu Zweien. Ein Ehebuch. Geschichten und Betrachtungen. Mit Blick auf die Frage, „welche Geschlechterbilder und Vorstellungen vom persönlichen Glück Hollander vermittelte und inwieweit sie mit NS-Ideologemen verknüpft“ (S. 184) waren, formuliert die Autorin die These, dass seine ambivalente Rhetorik von „inhaltlicher Polyvalenz über Euphemisierungen bis hin zu einer bewussten Anerkennung nationalsozialistischer Ideologeme“ (ebd.) reichte. So legitimierte Hollanders Eheglückskonzept zum einen die eugenische NS-Politik für die Ehepartnerwahl, zum anderen überführte er das Individualitätsverständnis der 1920er-Jahre in die NS-Zeit, indem er die sogenannte „Lebenstechnik“ aus „Selbstdisziplin und Selbsterziehung“ beschwor.

Insgesamt leistet der Sammelband einen wertvollen Beitrag zur Erforschung der Geschichte der Ratgeberliteratur und liefert einen detailreichen Überblick über den Untersuchungszeitraum. Anhand der thematischen Schwerpunkte gelingt es den Autorinnen und Autoren aufzuzeigen, wie der Ratgeber als ein bis ins 15. Jahrhundert zurückreichendes Medium auf die jeweiligen zeitspezifischen Umstände reagierte und sowohl Kontinuitäten als auch Brüche das Genre von der Weimarer Republik über die NS-Diktatur bis in die frühe Bundesrepublik charakterisierten. Für eine theoretische Einbindung des Themas wäre es allerdings hilfreich gewesen, in der Einleitung den Begriff des „Glückswissens“ (S. 29) genauer zu erläutern und diesen in Bezug auf die aktuellen Forschungsansätze innerhalb der Wissensgeschichte einzuordnen. Der Sammelband ist der erste von insgesamt drei Bänden der Reihe „Glück und Erfolg im 20. Jahrhundert“. Nach der gewinnbringenden Lektüre darf man gespannt sein, inwieweit die künftige Forschung am Thema weitere erkenntnisreiche Resultate zutage bringen wird.