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Titel
Mittelalterliche Judenrechte. Norm und Anwendung im Magdeburger Rechtskreis (1250–1400)


Autor(en)
Pacyna, Jana
Reihe
Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts 8
Erschienen
Halle (Saale) 2016: Mitteldeutscher Verlag
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Scholl, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Die Arbeit von Jana Pacyna wurde 2012 von der Universität Jena als Dissertation angenommen. Dass sich die Studie mit der rechtlichen Stellung von Juden im Magdeburger Rechtskreis auseinandersetzt, ist aus zwei Gründen begrüßenswert: Zum einen sind in der jüngeren Vergangenheit kaum Gesamtdarstellungen erschienen, die sich explizit mit der rechtlichen Stellung von Juden im mittelalterlichen Reich befassen; so ist an neueren übergreifenden Studien zu diesem Thema lediglich die 1999 publizierte Arbeit von Christine Magin zu nennen, die sich mit dem Status von Juden in spätmittelalterlichen Rechtsbüchern befasst.1 Folglich ist die Forschung auf diesem Gebiet noch vielfach auf die älteren Pionierarbeiten von Guido Kisch angewiesen.2 Zum anderen stellt die Geschichte der Juden speziell Mittel- und Ostdeutschlands im Mittelalter in weiten Teilen ein Desiderat dar, was sich u.a. daran zeigt, dass keiner der bisher erschienenen 24 Bände der Reihe „Forschungen zur Geschichte der Juden“ dieser Thematik gewidmet ist.

Im Zentrum der Untersuchung stehen die von christlicher Seite formulierten Judenrechte, die das rechtliche Verhältnis zwischen Christen und Juden klären sollten, und deren praktische Anwendung im Sächsisch-Magdeburgischen Rechtskreis zwischen 1250 und 1400. Erschwert wird das Verständnis der Arbeit allerdings dadurch, dass grundlegende Hintergrundinformationen nicht geliefert werden: So fehlt beispielsweise der Hinweis darauf, wie weit der Sächsisch-Magdeburgische Rechtskreis zwischen 1250 und 1400 reichte. Da Jana Pacyna zudem explizit als Ziel formuliert, über die rein rechtsgeschichtlich-normative Ebene hinaus auch die Anwendung der Judenrechte in der Praxis in den Blick zu nehmen (S. 7), wäre es zwingend erforderlich gewesen, einleitend zu klären, wo innerhalb des untersuchten Rechtskreises überhaupt Juden lebten. Dies geschieht jedoch ebenfalls nicht; man erfährt nur, dass die Städte Magdeburg und Halle „bedeutende jüdische Gemeinden beherbergten“ (S. 26). Auf den Seiten 68 und 74f. wird diese Nachricht um einige wenig zusammenhängende, aus dem Standardhandbuch „Germania Judaica“3 zusammengetragene Informationen zu jüdischem Leben in den beiden Städten ergänzt. Ob und wo über Magdeburg und Halle hinaus Juden lebten, wird nicht eigens thematisiert.

Gegliedert ist die Arbeit in vier Großkapitel, von denen das erste die Einleitung und das vierte Zusammenfassung und Ausblick darstellen. Der Hauptteil der Studie besteht somit aus nur zwei Kapiteln (mit weiterer Unterteilung), von denen das erste Kapitel „Juden im Magdeburger Raum – Die Überlieferung in den Chroniken“ knapp 40 Seiten einnimmt, während auf das zweite „Der Rechtliche Status der Juden im Magdeburger Raum – Die Überlieferung in den Rechtsquellen“ ca. 160 – von insgesamt 236 – Seiten Text entfallen. 150 Seiten davon wiederum nimmt Kapitel III.2. „Rechtsbücher, Rechtsweisungen und Schöffensprüche“ ein.

Die von Jana Pacyna vorgenommene Gliederung nach Quellentypen bzw. einzelnen Rechtstexten erscheint nicht nur wegen der daraus zwangsläufig resultierenden Ungleichgewichtung der Kapitel unglücklich: Schließlich ist es wenig überraschend, dass sich die meisten Informationen zur rechtlichen Stellung von Juden in Rechtsquellen finden. Sinnvoller und leserfreundlicher wäre eine Gliederung nach den Themenfeldern gewesen, die in den Rechtstexten zur Sprache kommen (z.B. Klage von Juden gegen Christen, Judeneide, Marktschutzrecht etc.). Die Gliederung nach Quellentypen bzw. -texten hat jedoch zur Folge, dass ein Thema wie der Judeneid an mehreren Stellen im Buch behandelt wird, z.B. auf S. 134f. im Kapitel III.2.2.2. „Sächsisches Weichbild und Weichbildvulgata mit Glosse“, auf S. 151–163 (im selben Kapitel) und auf S. 206–209 im Kapitel III.2.2.6. „Magdeburger und Hallenser Schöffensprüche“. Einen roten Faden findet man als Leser so kaum. Die über die gesamte Studie verstreuten Stellen zu einzelnen Themenfeldern mittels eines Registers zu erschließen, ist ebenfalls unmöglich, da ein solches fehlt.

Inhaltlich fällt die Darstellung an mehreren Stellen sehr oberflächlich aus. Ursache hierfür ist u.a., dass zur Erklärung von grundlegenden Themen der jüdischen Geschichte, zu denen eine Fülle an Forschungsliteratur vorliegt, häufig nur auf Lexikonartikel oder Überblickswerke – und wenn überhaupt in nur sehr geringem Maße auf Spezialliteratur – zurückgegriffen wird. Zur Erklärung der Kammerknechtschaft etwa werden auf S. 14 lediglich das Standardwerk von Michael Toch (überdies mit falscher Zitierung) sowie ein Aufsatz und ein Überblickswerk von Friedrich Battenberg aufgeführt (bei dem Aufsatz finden sich zudem die wenig hilfreichen Seitenangaben 17–29 und 23–33). Als auf S. 76 erneut und ohne Rückbezug auf S. 14 – solche Wiederholungen sind häufiger anzutreffen; beispielsweise sind die Fußnoten 51 und 63 identisch – die Kammerknechtschaft erläutert wird, finden sich an Literaturangaben erneut Toch sowie der Artikel zur Kammerknechtschaft aus dem Lexikon des Mittelalters.

Gravierender ist es, dass auch der Kern der Arbeit, nämlich die Auswertung der Rechtsquellen, vielfach zu wenig in die Tiefe geht. Dies zeigt sich vor allem daran, dass weite Teile des Textes lediglich aus Quellenzitaten bestehen, die dann – wenn überhaupt – nur sehr knapp erläutert werden. Diese Vorgehensweise zeigt sich schon in der Einleitung, wenn die „Grundlagen der mittelalterlichen Judenrechte“ (S. 8–11) thematisiert werden und in diesem Zusammenhang Augustinus angesprochen wird. Zu diesem findet sich jedoch nur ein einziger Satz von Pacyna selbst, nämlich: „Auf den paulinischen Römerbrief rekurrierend befasste sich Augustinus schließlich mit der Bedeutung der Juden im Hinblick auf Anerkennung und Verbreitung des christlichen Glaubens.“ (S. 10). Auf diesen Satz folgt ein Quellenzitat aus Augustinus‘ „De Civitate Dei“ im Umfang von 16 Zeilen, zu denen sich keine weitere Kommentierung bzw. Analyse mehr findet. Zwar kommt in dem Zitat, das einer Übersetzung entnommen ist, das Wort „Zeugnis“ vor. Aber dennoch hätte hier zwingend die auf Augustinus zurückgehende Zeugenschaftstheorie, nach der die Juden als Zeugen der christlichen Wahrheit in der christlichen Gesellschaft zu dulden waren, erläutert werden müssen. Aus dem einen von Jana Pacyna geschriebenen Satz sowie dem Augustinus-Zitat alleine geht jedenfalls nicht hervor, warum Augustinus und seine Theorie für die rechtliche Stellung der Juden in der christlichen Welt von Bedeutung waren.

Die oben beschriebene Vorgehensweise – langes Zitat, wenn überhaupt nur spärliche Kommentierung – zieht sich durch die gesamte Arbeit. In den Kapiteln zum Status der Juden in den Urkunden Magdeburgs und Halles etwa werden die Urkunden mit Bezug zu Juden genannt und in langen Auszügen entweder aus den Monumenta Germaniae Historica oder dem Magdeburger bzw. Hallenser Urkundenbuch4 im Haupttext zitiert. Sechs Artikel aus einem erzbischöflichen Privileg von 1399 nehmen dabei den Umfang von über einer Druckseite ein (S. 71f.). Inhaltlich erläutert oder analysiert werden die Artikel jedoch nicht. In der knappen halben Seite, die auf das Zitat folgt, finden sich vielmehr eine teilweise Wiederholung des Zitats sowie Hinweise darauf, in welchen anderen Privilegien oder Rechtsbüchern ähnliche Bestimmungen erlassen wurden. Der Höhepunkt dieses Vorgehens ist auf den Seiten 154–156 zu finden, die von S. 154 Mitte bis 156 unteres Ende ausschließlich aus Zitaten bestehen. Auch im Kapitel „Magdeburger und Hallenser Schöffensprüche“ reihen sich zitierte Schöffensprüche aneinander. Allein vom Umfang her bleibt somit als eigenständige Analyse deutlich zu wenig übrig, wenn man die schiere Menge an Zitaten abzieht, die fast ausschließlich aus gedruckten Editionen stammen und meist im Haupttext – ohne Einrückung und reduzierten Zeilenabstand – wiedergegeben werden. Die wesentliche Aufgabe von geschichtswissenschaftlichen Forschungsarbeiten und insbesondere Dissertationen besteht jedoch darin, historische Quellen mittels historisch-kritischer Analyse auszuwerten und sie nicht bloß mehr oder weniger unkommentiert aneinanderzureihen.

Wie bereits angeklungen ist, gibt es auch im formalen Bereich mehrere Dinge zu beanstanden: So enthält der Text eine Reihe von Rechtschreib- und Grammatikfehlern5, die durch einen sorgfältigen Korrekturdurchgang sicherlich hätten behoben werden können. Gehäuft treten zudem Zeichensetzungsfehler auf, wobei in erster Linie die fehlerhafte Verwendung von Strichpunkten anstelle von Kommata hervorzuheben ist, was den Lesefluss erheblich stört. Sprachlich fallen neben den Fehlern zahlreiche Füllwörter auf: Alleine in zwei Absätzen auf S. 212 etwa finden sich die Formulierungen „[u]nter Umständen“, „eine gewisse Rolle“, „in einer gewissen Art“ und „möglicherweise“. Der Aussagewert der beiden Absätze tendiert somit gegen null. Die formalen Schwächen setzen sich in Literaturverzeichnis und Anmerkungsapparat fort. So fällt das Literaturverzeichnis beispielsweise durch seine Kürze von gerade einmal viereinhalb Seiten auf. Andererseits finden sich aber in den Fußnoten Titel, die keinen Eingang in die Bibliographie finden. Zudem sind in Anmerkungsapparat wie Literaturverzeichnis zahlreiche Angaben fehler- oder lückenhaft; Reihen etwa werden häufiger gar nicht oder als Teil des Titels zitiert6 und gelegentlich finden sich falsche Autorennamen.7 Im Quellenverzeichnis schließlich mutet die Einsortierung der archivalischen Quellen aus den Stadtarchiven Halle und Magdeburg unter dem Buchstaben „S“ wie „Stadtarchiv“ sehr ungewöhnlich an.

Abschließend muss somit konstatiert werden, dass die Arbeit aufgrund der genannten Kritikpunkte kaum dazu beitragen kann, das eingangs genannte Desiderat zur Geschichte der Juden in Ost- und Mitteldeutschland zu schließen. Dies ist umso bedauerlicher, als Jana Pacyna an einigen Stellen andeutet, welches Potential ihre Arbeit gehabt hätte. Beispielsweise liefert das Unterkapitel zu den Pestpogromen im Magdeburger Raum (S. 54–62) neue Anregungen, die durchaus weiterführend sind. Pacyna zeigt nämlich, dass die Berichte über Judenverfolgungen im Magdeburger Raum zur Zeit der Pest Chroniken entstammen, die erst nach den Ereignissen verfasst wurden, während die zeitgenössischen Berichte keine Verfolgung erwähnen. Insofern ist es durchaus vorstellbar, wie Pacyna als Möglichkeit in den Raum stellt, dass spätere Chronisten aufgrund der zahlreichen Verfolgungen an anderen Orten auch Magdeburg zu den Verfolgungsorten zählten oder dass judenfeindliche Ausschreitungen nach 1350 einfach auf die Zeit der Pest zurückprojiziert wurden. Leider werden solche anregenden Passagen zu häufig von den genannten Mängeln überdeckt.

Anmerkungen:
1 Vgl. Christine Magin, „Wie es umb der iuden recht stet“. Der Status der Juden in spätmittelalterlichen deutschen Rechtsbüchern, Göttingen 1999.
2 Vgl. z.B. Guido Kisch, Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters, Zürich 1955.
3 Vgl. Ismar Elbogen u.a. (Hrsg.), Germania Judaica, 3 Bde., Tübingen 1963–2003.
4 Vgl. Gustav Hertel (Bearb.), Urkundenbuch der Stadt Magdeburg, Bd. 1: Bis 1403, Halle (Saale) 1892; Arthur Bierbach (Bearb.), Urkundenbuch der Stadt Halle, ihrer Stifter und Klöster, 3 Bde., Magdeburg 1930–1957.
5 Zum Beispiel S. 33: Chroniken rekurrieren auf einen „verlorenen gegangenen Urtext“; S. 50: „Dem für den Magdeburger Raum relevante und ältere Sachsenspiegel“; S. 68: „im Heiligen Römisch Reich“; S. 79: der Erzbischof verleiht „ein Privileg, dass die Vorladung […] untersagt“; S. 94: „Garantie, die ihm […] zuteilt geworden ist“. Die Liste ließe sich fortsetzen.
6 Letzteres ist beispielsweise bei „Peter Johanek (Hg.), Städteforschung A. Bd. 59: Sondergemeinden und Sonderbezirke in der Stadt der Vormoderne“ der Fall. Dabei ist der Titel „Sondergemeinden und Sonderbezirke etc.“ als Band 59 in der Reihe „Städteforschung, Abteilung A“, erschienen.
7 Besonders eklatant ist dies in Fußnote 22, in der ausgerechnet bei der ersten Zitierung des Standardwerks von Michael Toch, Die Juden im mittelalterlichen Reich, München 1998, der Autorenname fälschlicherweise mit Karl-Leo Noethlichs angegeben wird. Dies ist umso unglücklicher, als sämtliche weiteren Kurztitelzitate „Toch: Die Juden (wie Anm. 22)“ lauten, in besagter Anmerkung aber eben Karl-Leo Noethlichs statt Michael Toch steht.

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