C. Ando u.a. (Hrsg.): Ancient Mediterranean Law and Religion

Cover
Titel
Public and Private in Ancient Mediterranean Law and Religion.


Herausgeber
Ando, Clifford; Rüpke, Jörg
Reihe
Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 65
Erschienen
Berlin 2015: de Gruyter
Anzahl Seiten
VIII, 255 S.
Preis
€ 99,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Scheibelreiter, Institut für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte, Universität Wien

Den Interdependenzen von Recht und Religion, der „two grand normative domains of life in the ancient Mediterranean“ (S. 1), widmen sich in jüngerer Zeit einige Publikationen.1 Der vorliegende Band macht das Begriffspaar des „Öffentlichen“ und des „Privaten“ zum Ansatzpunkt eines Vergleichs. Wie die kurze Einleitung von Clifford Ando (S. 1–9), aber auch die Auswahl der Beiträger2 erkennen lässt, wird in dem vorliegenden Band – den Akten einer Tagung aus dem Jahr 2013 am Max Weber-Institut in Erfurt – weniger eine dogmatisch-juristische denn eine sozialhistorische Perspektive eingenommen.

Im ersten Beitrag greift Edward M. Harris das Thema der religiösen „Verunreinigung“ durch Tötungsdelikt auf („The Family, the Comunity and Murder: The Role of Pollution in Athenian Homicide Law“, S. 11–35), wobei er nach einer sehr instruktiven Übersicht über die athenische Blutgerichtsbarkeit (S. 11–14)3 glaubhaft die These widerlegt, dass die Bedeutung des miasma im 5. und 4. Jahrhundert v.Chr. im Zuge eines säkularer werdenden Rechtsdenkens abgenommen habe. Dieser vor allem von Parker4 vertretenen Ansicht kann Harris Beispiele aus den platonischen Nomoi (so auch im nutzbringenden Appendix 2, S. 30–32) und dem Corpus der athenischen Prozessreden entgegenhalten (S. 14–22). Trotz der überzeugenden Kritik an Parkers „evolutivem Modell“ setzt Harris in seiner Argumentation bei Parkers These an, dass in Bezug auf das miasma eine „abscence of any evidence in the Iliad / Odyssee“ zu konstatieren sei (S. 13 sowie im Appendix 1, S. 28–30). Dem ließe sich etwa die Ankündigung des Odysseus entgegenhalten, nach dem Freiermord freiwillig ins Exil zu gehen, um dort zu opfern (Od. 23,266–284), die im Kontext einer Entsühnung stehen könnte. Ebenso lässt sich die tisis (Rache) des Odysseus an den Freiern als wenn – auch nicht gerechtfertigte, so doch notwendige – Reaktion auch auf die als Bettler erduldeten, wiederholten Demütigungen und Schmähungen interpretieren.5

Adriaan Lanni behandelt in „Public and Private in Classical Athenian Legal Enforcement“ (S. 37–52) die Fragestellung, ob eine Unterscheidung zwischen den Sphären „öffentlich“ und „privat“ im attischen Recht sinnvoll getroffen werden kann. Nach einer vor allem auf der Darstellung Todds6 fußenden Einführung ins athenische Gerichtswesen (S. 38–40) demonstriert Lanni das auch für andere antike Rechtskulturen belegbare Phänomen, dass sich die Strafkompetenz des Gemeinwesens erst sukzessive aus der Reglementierung privater Zugriffsrechte entwickelt habe, wie sie in der Selbsthilfe gegenüber dem Ehebrecher7 oder dem nächtlichen Dieb bestehen bleiben. Innovativ ist Lannis Beobachtung, dass die auf Parteienvortrag fußenden Prozesse als Instrumente sozialer Kontrolle fungieren konnten, denn: „In essence, when you walked into an Athenian Courtroom, your entire life was on trial.“ (S. 49)

Auch Esther Eidinow stellt – anhand des Beispiels der individuellen und kollektiven religiösen Praxis innerhalb der Polis – die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer kategorischen Trennung von „öffentlicher“ und „privater“ Sphäre („Faneran poesei ten autou dianoian tois theois: Some Ancient Greek Theories of [Divine and Mortal] Mind“, S. 53–73). Eidinow unterstreicht die diesbezügliche Bedeutung sozialer Netzwerke als Ansatz für einen alternativen methodischen Zugang zur Bewertung von Religionsausübung.8

Elisabeth Begemann untersucht in „Ista tua pulchra libertas: The Construction of a Private Cult of liberty on the Palatine“ (S. 75–98) die Argumentation Ciceros gegen die dedicatio eines Teils seines – nach seiner Verbannung konfiszierten – Privatgrundstücks an die Göttin libertas. Mit der Weihung war dieser Teil der Liegenschaft als res divini iuris dem privatrechtlichen Verkehr und damit auch der Rückerlangung durch Cicero entzogen (zur Sachverhaltsdarstellung vgl. S. 77–81). Wie Begemann darlegt, beruht Ciceros Taktik in „de domo sua“ vorwiegend darin, die Verehrung der libertas hier als Privatkult des Clodius und insofern als „inappropriate in more than one way“ zu kennzeichnen (S. 87). Interessant wäre hier freilich noch eine Auseinandersetzung mit den rechtlichen Grundlagen der dedicatio9 und ihren privatrechtlichen Konsequenzen gewesen.
Letzteres wird im Folgekapitel („M. Tullius … aedem Fortunae August(ae) solo et peq(unia) sua. Private Foundation and Public Cult in a Roman Colony“, S. 99–113) gleichsam „nachgereicht“, wenn William Van Andringa den Begriff der res divini iuris mit einer Paraphrase von Gaius, Inst. 2,2–9 einleitet (S. 99–100). Thema der profunden Untersuchung auch der Formel solo et pecunia sua10 ist die Annäherung Privater an den öffentlichen Raum, wie sie anhand der Bautätigkeit des reichen Bürgers Marcus Tullius in Pompeji physisch greifbar wird; insofern sei dies als Indiz einer wachsenden Identifikation Privater mit dem Gemeinwesen im frühen Prinzipat zu werten.

Judith Evans Grubbs eröffnet ihren Artikel „Making the Private Public: Illegitimacy and Incest in Roman Law“ (S. 115–141) mit einer gerafften Darstellung zu patria potestas und der augusteischen Ehegesetzgebung (S. 115–119)11, ehe der rechtliche und gesellschaftliche Status unehelicher Kinder behandelt wird, wobei Evans Grubbs auch insbesondere die Konsequenzen der Constitutio Antoniniana in ihre Untersuchung mit einbezieht und Quellen wie den Gnomon des Idios Logos (S. 130) oder die Collatio (S. 135–136)12 heranzieht.

Harry O. Maier, „Public and Private in Emergent Christian Discourse“ (S. 143–163) stellt die metaphorische Verwendung vom „gut geführten Haushalt“ in der frühchristlichen Literatur, etwa für die „gut verwaltete Kirche“13, in den Mittelpunkt seiner Studie. Anhand dreier literarischer Beispiele (die Paulusbriefe an Timotheus und Titus, die sogenannten Häresien des Irenäus von Lyon, Briefe des Ignatius von Antiochia) zeigt Mayr sehr anschaulich die dort getroffene Kontrastierung von öffentlich praktiziertem Christentum mit heimlich-häuslich ausgeübten, und somit der Irrlehre verdächtigen Kulthandlungen.

Rubina Raja stellt in „Staging private religion in Roman public Palmyra. The role of the religious dining tickets (banqueting tesserae)“ (S. 165–186) die in Palmyra gefundenen „Eintrittsmarken“ als Quellen vor (S. 166–175), welche zur Teilnahme an einer Kultveranstaltung ermächtigten. Wie Raja mehrfach hervorhebt (S. 168, 175), muss die auf einer tessera abgebildete Gottheit nicht mit derjenigen ident sein, welche am Fundort verehrt wurde. Dies lasse auf die Benutzung eines Heiligtumes durch unterschiedliche Kultverbände schließen. Anhand eines Kriterienkatalogs14 regt Raja auch an, näher zu definieren, wann überhaupt vom Vorliegen eines selbständigen Kultverbands gesprochen werden könnte.

Natalie B. Dohrmann vergleicht in „Can Law Be Private? The Mixed Message of Rabbinic Oral Law“ (S. 187–216) die mündliche rabbinische Tradition mit dem verschriftlichen römischen Recht der Spät- und Epiklassik. Allerdings benutzt sie letzteres nur als Folie15 für eine Kontrastierung mit dem tannaitischen Recht und der Tätigkeit der Rabbiner, welche sie treffend als „walking talking Torah“ (S. 191 Anm. 16) charakterisiert.

Catherine Hezser, „Between Public and Private: The Significance of the Neutral Domain (Carmelit) in Late Antique Rabbinic Literature“ (S. 217–236) diskutiert, ob der Begriff „carmelit“, welcher im Kontext der Sabbath-Verbote in der Mishnah verwendet wird, neben „öffentlichen“ und „privaten“ Sachen eine dritte Kategorie von Sachen darstellt, und zieht dazu den Vergleich zur herrenlosen Sache (res nullius) des römischen Rechts. Doch dieses tertium comparationis stellt selbst keine unumstrittene Sachkategorie dar: Exakter wäre es vielleicht, angesichts des gewählten Beispiels der „hohen See“, welche niemandem alleine gehört, aber von allen benutzt werden dürfe, von einer res communis omnium zu sprechen16, was aber wiederum insofern eine Nähe zur „öffentlichen“ Sache aufweist, als Celsus im von Hezser (leider ohne inscriptio) zitierten Digestenfragment (S. 228 Anm. 26) D. 43.8.3 pr. (Celsus 39 dig.) vom Eigentum des populus Romanus spricht: populi Romani esse arbitror.

Ahmed El Shamsy kontrastiert abschließend in „Shame, Sin, and Virtue: Islamic Notions of Privacy“ (S. 237–249) die Bereiche des „Öffentlichen“, nach außen hin sinnlich Erfassbaren, und des „Privaten“, das nur Gott zugänglich ist und von ihm überwacht wird, als Betätigungsfelder und Motoren menschlichen Verhaltens.

Ein etwas zu kurz geratener Sachindex (S. 253–255) rundet den Band ab, ein Stellenindex fehlt. Die durchaus anregenden Einzeluntersuchungen fügen sich nur lose zu einem Ganzen, was einem Tagungsband jedoch nicht zum Vorwurf gemacht werden darf, zumal Ando auch einleitend versucht hat, so etwas wie eine Klammer zwischen den Beiträgen herzustellen (S. 4–8). Als nachteilig stellt sich die vielen Beiträgen innewohnende – im neutralen Wortsinne zu verstehende – Ignoranz gegenüber der nicht-englischsprachigen Literatur dar, wobei der Rezensent dies nur für das rechtshistorische Schrifttum beurteilen kann und bemängeln muss: Studien zur antiken Rechtsgeschichte, welche etwa von deutschsprachiger oder italienischer Sekundärliteratur kaum Notiz nehmen, bleiben notwendiger Weise in Bezug auf Forschungsstand und Diskussion desselben unvollkommen.

Anmerkungen:
1 So sind etwa zu nennen: Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Der Einfluss religiöser Vorstellungen auf die Entwicklung des Erbrechts, Tübingen 2012; Salvo Randazzo, Religione e Diritto Romano. La cogenza del rito, Tricase 2015.
2 Wie aus den „Acknowledgements“ zu entnehmen ist, konnten die anlässlich der Konferenz gehaltenen Vorträge von Claudia Bergmann, István Kristó-Nagy und Salvo Randazzo allerdings in dem Band leider nicht berücksichtigt werden.
3 Nicht zu folgen ist Harris einzig dann, wenn er die in Zusammenhang mit der Eidesleistung abgetrennten Körperteile von Tieren (tomia) nicht als Geschlechtsteile versteht (S. 12 mit Anm. 6). Diese bei Paul Stengel, Opferbräuche der Griechen, Berlin 1910, S. 78–85 (ebenso etwa: Paul Stengel, Griechische Kultusaltertümer, 3. Aufl. München 1920, S. 136; Walter Burkert, Kulte des Altertums. Biologische Grundlagen der Religion, München 1998, S. 210) vertretene These beruht auf einer Deutung der tomia als Tierhoden. Der Schwur bei diesen entspricht einem „zeremoniellen Idiom“, da daurch die dem Meineidigen drohende, göttliche Strafe der Unfruchtbarkeit bildhaft angedeutet wird, vgl. dazu auch Clemens Geelhaar / Philipp Scheibelreiter, Eine existenziell bedeutsame Form der Vertragsabsicherung antiker Rechtskulturen? Eine vergleichende Studie zur rechtssymbolischen Bedeutung der Geschlechtsteile, Revue Internationale des droits de l’antiquite (Rida) 51 (2004), S. 31–45, bes. S. 37–40.
4 Robert Parker, Miasma. Pollution and Purification in Early Greek Religion, Oxford 1983.
5 Vgl. dazu etwa die Interpretation von Herbert Bannert, Formen des Wiederholens bei Homer, Wien 1988, S. 88–121.
6 Steven Todd, The Shape of Athenian Law, Oxford 1993.
7 Lanni bezieht sich vorwiegend auf David Cohen, Law, Sexuality and Society: The Enforcement of Morals in Classical Athens, Cambridge 1991, und Adele Scafuro, The forensic stage. Settling Disputes in Graeco-Roman Comedy, Cambridge 1997. Doch hier wäre noch einiges an Literatur nachzutragen, etwa die Studie von Ulrich Manthe, Die Tötung des Ehebrechers, in: Leonhard Burckhardt / Jürgen v. Ungern Sternberg (Hrsg.), Große Prozesse im antiken Athen, München 1997, S. 219–233. Ferner ist auf die zahlreichen einschlägigen Schriften von Eva Cantarella zu verweisen.
8 Vgl. das Resümee Eidinows (S. 70): „Rather than examining religious activity primarily at the level of the social group, it would enable and encourage a focus on the activities, interactions and experiences of the individual; the range of pysical/social networks in which an individual participates; the dynamic cognitive process, both group and individual, involved in the creation of the concepts and practices of ancient Greek religion“.
9 Vgl. hierzu etwa Johannes Platschek, Das responsum des Pontifikalkollegiums de domo Ciceronis, Quaderni Lupiensi di Storia del Diritto 3 (2013), S. 107–116, wo nachgewiesen wird, dass Cicero durch das bewusste Weglassen von Tatbestandsvoraussetzungen für die Weihung die mangelnde Legitimation des Clodius zur dedicatio und damit deren Ungültigkeit suggerieren möchte.
10 Sehr hilfreich ist der Überblick über die weiteren epigrafischen Belege der Formel (S. 106, Anm. 13).
11 Es ist fragwürdig, inwiefern die Übersetzung der lateinischen termini technici hier immer nutzbringend ist, vor allem, wenn das Englische aus lateinischen Lehnwörtern gespeist wird: Wer „Julien law on adulteries“ versteht, wird auch die „lex Iulia de adulteriis“ einzuordnen wissen.
12 In Zusammenhang mit der Collatio (S. 135–136) wird allerdings das Ergebnis von Robert M. Frakes, Compiling the Collatio Legum Mosaicarum et Romanarum in Late Antiquity, Oxford 2011, bes. 127–151 stillschweigend vorausgesetzt, wonach der Verfasser des Werkes ein Christ gewesen sei. Hier müssten jedoch rezente deutschsprachige Untersuchungen wie jene von Ulrich Manthe (in: Holger Altmeppen / Ingo Reichard / Martin J. Schermaier, Hrsg., Festschrift für Rolf Knütel zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2009, S. 737–754; ders. in: Karl Muscheler [Hrsg.], Römische Jurisprudenz – Dogmatik, Überlieferung, Rezeption. Festschrift für Detlef Liebs zum 75. Geburtstag, Berlin 2012, S. 395–412) oder italienische Studien (wie jene von Francesco Lucrezi, Studi sulla Collatio I–VII, Torino 2001–2015) zumindest erwähnt werden, welche für einen jüdischen Autor plädieren.
13 In S. 147 Anm. 18 klingt auch die Frage nach der Rechtspersönlichkeit der Kirche an, wie sie zuletzt bei Peter Pieler, Die Rechtsgestalt der Kirche, in: Brigitte Schinkele / René Kuppe / Stefan Schima / Eva M. Synek / Jürgen Wallner / Wolfgang Wieshaider (Hrsg.), Recht. Religion. Kultur. Festschrift für Richard Potz zum 70. Geburtstag, Wien 2014, S. 575–589 thematisiert wurde.
14 (1) Ritual, (2) Hierarchie innerhalb der Gruppe, (3) Teilnahme von Dritten und (4) Kultstätte (S. 183).
15 Für einen direkten Vergleich – der jedoch nicht Thema des Artikels ist – böte sich das frührömische Recht und seine Pflege und Tradierung des Rechts durch die Priester an.
16 Zur Frage ist hier nur auf das Handbuch von Max Kaser, Römisches Privatrecht, 2. Aufl., München 1971, S. 380–381 zu verweisen. Es wäre überhaupt das Zitieren rezenterer Literatur angebracht als es W.A. Hunters Werk „A Systematic and Historical Exposition of Roman Law in the Order of a Code“ ist, welches 1803 in der 4. Auflage erschienen ist.

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