H. Belting: Faces. Eine Geschichte des Gesichts

Cover
Titel
Faces. Eine Geschichte des Gesichts


Autor(en)
Belting, Hans
Erschienen
München 2013: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
343 S., 134 Abb.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Evelyn Runge, Martin Buber Society of Fellows in the Humanities and Social Sciences, The Hebrew University of Jerusalem, Israel

Der Kopf der Frau ist leicht geneigt, ihre Konturen sind verwischt. Wie alt sie ist, ob sie froh, unglücklich oder nachdenklich ist, ob das in Grautönen gehaltene Bild eine Fotografie oder eine Zeichnung ist – all das ist nicht konkret auszumachen. Wie schwierig es ist, das menschliche Gesicht zu fassen – bildlich, sprachlich, in verschiedensten künstlerischen Ansätzen und Materialien, und sogar im leiblichen Beieinandersein –, zeigt der Kunsthistoriker Hans Belting in seinem Buch „Faces. Eine Geschichte des Gesichts“. Auf dem Cover befindet sich das eingangs beschriebene Bild.

Das Gesicht wird „erst zum Gesicht, wenn es mit anderen Gesichtern in Kontakt tritt, sie anschaut oder von ihnen angeschaut wird“ (S. 7). Es ermöglicht Kommunikation, durch Mimik, durch den Blick, die Stimme – und doch ist es schwer, „das Gesicht“ zu beschreiben. Denn es ist höchst individuell, und zugleich ermöglicht es verschiedene soziale Rollen. Das rätselhafte Frauengesicht auf dem Cover stammt aus Ingmar Bergmans Film „Persona“ (1966). Belting analysiert über die beiden Hauptdarstellerinnen die „Ambivalenz von Person (Gesicht) und Rolle (Maske)“ (S. 266), sowie den Einfluss von Sprache bzw. Stummheit auf die Wahrnehmung eines Menschen.

In seiner Einleitung unternimmt Belting den „Versuch der Eingrenzung“ (S. 7), um des Gesichts in seinem Buch überhaupt habhaft werden zu können. Seine Darstellung ist von der jeweiligen Gesellschaftsordnung abhängig, im öffentlichen Raum ist es ein anderes als in intimen Situationen (S. 7ff.). Es verändert sich mit seinem Träger im Laufe des Lebens, und auch seine bildliche oder plastische Abbildung nach dem Tod ändert sich im Laufe der Zeit. Die Maske – im wörtlichen und übertragenen Sinn – ist in Beltings Text stets präsent: Sie wird in ihrem Verhältnis zum Theater, zur bildenden Kunst, den digitalen Medien und natürlich zum menschlichen Gesicht befragt.

Die drei Sektionen des Buches untersuchen die Geschichte des Gesichts chronologisch, von der Steinzeit bis in die Gegenwart, vom Maskenuniversum kultischer Gemeinschaften bis zur disparaten Mediengesellschaft der Gegenwart: „Gesicht und Maske in wechselnden Ansichten“, „Porträt und Maske. Das Gesicht als Repräsentation“ sowie „Medien und Masken. Die Produktion von Gesichtern“. Die Titel der Sektionen kann man als jeweilige Auffassung des Gesichts einer bestimmten Epoche in Öffentlichkeit, Literatur und Künsten lesen: Die Geschichte des Gesichts ist auch eine Geschichte wechselnder Medien. Wie sehr das menschliche Gesicht und seine künstlerischen Bearbeitungen Autoren jeglicher Epoche und Fachdisziplin beschäftigten, zeigt die Vielzahl an Theoretikern, Wissenschaftlern und Künstlern, auf die Belting sich bezieht. Sein Ziel ist, mit „Faces“ die Kulturgeschichten des Gesichts zu schreiben. Er konzentriert sich dabei vor allem auf Europa, geht im dritten Kapitel aber auch auf globalisierte Bilder wie Andy Warhols multiple Versionen von Marilyn Monroe (USA) und Mao Tse-Tung (China) ein (S. 228ff., S. 283ff.).

Seine Grundthese der „Undarstellbarkeit des Gesichts“ (S. 15) verfolgt der Autor konsequent: Bilder bleiben „im Wettlauf mit dem lebenden Gesicht als Verlierer“ zurück – das Gesicht sei der Fluchtpunkt aller Bilder (S. 15). In seiner Flüchtigkeit bleibt es ambivalent, doch diese Flüchtigkeit selbst ist eine Handlung: „Der Ausdruck eines Gesichts kommt in der Gesichtsarbeit zustande, bei welcher Mimik, Blick und Stimme wechselweise die Führung übernehmen. Das Gesicht ist daher eher eine Bühne als ein ‚Spiegel‘.“ (S. 37)

Ein weiteres Thema zieht sich als roter Faden durch alle Kapitel: der Tod. Auch er interessiert Belting in Bezug auf seine Darstellung oder Undarstellbarkeit, von Sichtbarkeit und Präsenz (vgl. u.a. S. 276f.) sowie im gesellschaftlichen Umgang. Die Entstehung des Individualporträts – und damit das Erhalten des gemalten Gesichts über den eigenen Tod hinaus – sei ein ähnliches Privileg gewesen wie „der Besitz eines eigenen Grabs“ (S. 142) statt die Bestattung in Beinhäusern. Die Auseinandersetzung mit historischen Schädelbildern und Totenmasken verdeutlicht, dass in der Gegenwart der Tod und die Toten oft den Blicken entzogen, ja tabuisiert werden. Der leiblichen Erfahrung stehen medial vermittelte Formen gegenüber (S. 137ff.). Während die Totenmaske einen Ausdruck zeigt, den wir dem Leben nicht zutrauen, ist das lebendige Gesicht ein „Ort vieler Bilder“ – durch seine Bewegung und Verwandlung.

In der zweiten Hälfte seines Buches bezieht sich Belting vor allem auf Fotografie, Film und die digitalen Medien. Die derzeitige Globalisierung des Gesichts durch seine weite Verbreitung in sozialen Netzwerken würdigt er kritisch. Manche der Argumente sind nicht neu, beispielsweise der Gedanke, das Gesicht erleide eine Entblößung durch die Filmkamera, bis hin zur These, das Gesicht stecke in der und durch die Mediengesellschaft in einer Krise (vgl. S. 258, S. 272). Nicht klar wird, ob der Autor etwa der haptischen künstlerischen Bearbeitung, durch Anfertigung von Abdrücken oder auch der leiblichen Begegnung zwischen Maler und Modell, ein positiveres Verhältnis zum Gesicht zuspricht. Das Foto übernehme die Rolle des Modells, das dem Maler noch physisch präsent gegenüber sitze (S. 279).

Die Untersuchung fußt auf mehr als einer Dekade Beschäftigung mit dem Gesicht, der Diskussion von Gedanken des Autors mit Kolleginnen und Kollegen sowie diversen Vorträgen. Mit 134 Abbildungen, davon 58 in Farbe, ist das Buch reich ausgestattet und lädt somit auch optisch zu einer tieferen Betrachtung des Gesichts und seiner Repräsentationen in unterschiedlichsten Formaten ein. Kritisch anzumerken ist, dass die Abbildungen oft nicht auf den Seiten zu finden sind, auf denen sie erwähnt werden. Mitunter sind sie sogar in einer anderen Reihenfolge im Text vermerkt als in der Bildfolge sichtbar (vgl. z.B. Abb. 5 bzw. 7 auf S. 46/47, Abb. 19, S. 75ff.). Elegant streut der Autor immer wieder Wortspiele und etymologische Erklärungen ein, die mit dem Gesicht zu tun haben: ein Gesicht machen oder es verlieren; die Maske ablegen, um zum „wahren“ Selbst zu kommen; das Verhältnis von surface – Oberfläche – und Gesicht, oder auch das moderne Berufsbild des Image-Beraters.

Beltings „Geschichte des Gesichts“ ist ein überaus gelungenes Buch, was die Weite der Gedanken und die Qualität der Abbildungen betrifft. Der Preis für das Hardcoverbuch ist moderat, und somit ist auch in diesem Sinne ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis gegeben. Trotz des sehr dichten Textes richtet sich das Werk nicht nur an ein wissenschaftliches Fachpublikum, sondern auch an interessierte Laien. Die Suche nach dem „echte[n] Gesicht“, die Belting im letzten Satz nochmals betont (S. 303), ist mit seinem Werk nicht beendet: Vielleicht initiiert gerade die von ihm kritisierte Allgegenwart von Gesichtsbilder in digitalen Medien weitere Forschungen auf diesem Gebiet.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension