F. Adlgasser u.a. (Hrsg.): Hohes Haus!

Cover
Titel
Hohes Haus!. 150 Jahre moderner Parlamentarismus in Österreich, Böhmen, der Tschechoslowakei und der Republik Tschechien im mitteleuropäischen Kontext


Herausgeber
Adlgasser, Franz; Malínská, Jana; Rumpler, Helmut; Velek, Luboš
Reihe
Studien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie XXXV
Anzahl Seiten
436 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ernst Wangermann, Institut für Geschichte, Universität Salzburg

Dieses Buch zur Verfassungsgeschichte Cisleithaniens und der Staaten, die nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreichs daraus hervorgingen, deckt eine breite Palette von Themen ab. Nachdem die Habsburgermonarchie nach 1861 eine parlamentarische Monarchie geworden war, wurde die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Monarchen und den Volksvertretungen in den jeweiligen Ländern der Monarchie zum zentralen Thema der politischen Geschichte der Monarchie.

Über die erste Phase dieser Entwicklung, die Auseinandersetzung zwischen Monarch und Parlament während der Regierung Kaiser Franz Josephs, bietet dieses Buch wenig grundsätzlich Neues, allerdings einige aufschlussreiche Einzelheiten. Der Leser lernt z.B., wie wenig Franz Joseph innerlich bereit war, als wirklich konstitutioneller Monarch zu handeln. Der Kaiserin gegenüber behauptete er, auch nach dem Oktoberdiplom und dem Februarpatent, dass die endgültige Entscheidung über den Erlass der Gesetze ihm als konstitutionellen Kaiser zustand. Stefan Malfèr bestätigt in dem Kapitel über das Recht, Gesetze zu geben, dass das Patent vom 5. März 1860, das den Verstärkten Reichsrat einberief, die Gesetzgebungsgewalt ungeteilt in den Händen des Monarchen ließ. Er schreibt die oft ungenauen Formulierungen der Verfassungsgesetze einer wohlüberlegten Kompromisstaktik zu, die dem an der absoluten Macht festhalten Wollenden die Akzeptanz der ihm zugemuteten Rolle eines wirklich konstitutionellen Monarchen leichter machen sollte. Den schließlichen Erfolg dieser Taktik schreibt er dem politischen Geschick Schmerlings zu.

Der dritte und vierte Teil des Buches befassen sich mit der konstitutionellen Entwicklung in der nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Republik Österreich und der neuen unabhängigen Republik Tschechoslowakei. Der Unterschied in der politischen Entwicklung dieser zwei Nachfolgestaaten ist meines Erachtens bis heute nur ungenügend historisch erklärt worden. Warum überlebte die parlamentarische Demokratie länger in der tschechischen als in der österreichischen Republik? Warum machte die parlamentarische Demokratie in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise dem autoritären Regime Dollfuß‘ Platz, während sie in der Tschechoslowakei bis zur deutschen Invasion 1939 überlebte? Der Verfasser weist auf „demokratische Tradition“ hin, die diesen Unterschied erklären könnte. Das setzt jedoch voraus, dass Böhmen und Mähren innerhalb der Habsburgermonarchie mehr an demokratischer Tradition entwickeln konnten als die österreichischen Länder; und das bedürfte einer entsprechenden historischen Erklärung.

Sehr anregend ist Richard Leins Kapitel über das Ende des Parlamentarismus in der Republik Österreich im Jahre 1933. Die hier gestellte Frage „Selbstausschaltung oder geplanter Putsch?“ wird gründlich als wirklich offene Frage erörtert. Dasselbe gilt für Schmetterers Kapitel über die Gesetzgebung im österreichischen Ständestaat, für welche er die Verfassung von 1934 für relativ unbedeutend hält. Charakteristisch für die damaligen Zustände sei, dass die weitgehend von der Bundesregierung ernannten Mitglieder des Parlaments Karten erhielten, mit denen sie ihnen genehmen Personen Zugang zur Galerie verschaffen konnten, die sonst der Öffentlichkeit nicht zugänglich war.

Die späteren Kapitel befassen sich mit Problemen und Entwicklungen in der Tschechoslowakei nach dem Münchner Abkommen, nach der Invasion vom März 1939, sowie nach dem Zweiten Weltkrieg. Über die Zeit zwischen München und der deutschen Invasion ist bisher wenig veröffentlicht worden. Das verleiht dem Kapitel David Hubenys über die Beseitigung des Parlamentarismus im Jahre 1939 ein besonderes Interesse. Was die Kapitel über die „Volksdemokratie“ und den Coup von 1848 betrifft, ist vor allem hervorzuheben, dass darin die Nachwehen der Ereignisse dieses Jahres weitgehend überwunden scheinen. Die im Kalten Krieg entstandenen Emotionen beherrschen die historische Darstellung dieser Zeit nicht mehr so wie bisher. Auch die dramatischen Ereignisse des Jahres 1968 sind mittlerweile Geschichte geworden. Sie werden hier mit beachtenswerter Unparteilichkeit und historischer Distanz dargestellt. Im letzten Kapitel über Trennung der Tschechischen Republik von der Slowakei werden diese in Österreich noch zu wenig bekannten Ereignisse mit derselben Unparteilichkeit analysiert.

Im Ganzen ist dieses Buch ein wertvoller Beitrag zum Verständnis der Verfassungsideen und Verfassungsgeschichte in der späten Habsburgermonarchie und in den Nachfolgestaaten Österreich und Tschechoslowakei.

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