I. Lauterbach: Der Central Collecting Point in München

Cover
Titel
Der Central Collecting Point in München. Kunstschutz, Restitution, Neubeginn


Autor(en)
Lauterbach, Iris
Reihe
Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München 34
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S., 15 Farb- u. 235 SW-Abb.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Heuß, Provenienzforschung, Staatsgalerie Stuttgart

Spätestens seit George Clooney den „Monuments Men“ in seinem gleichnamigen Film von 2014 ein Denkmal gesetzt hat, ist das Interesse an der Rettung europäischer Kunstschätze durch die Alliierten nach 1945 groß. Iris Lauterbach hat diesem Film ein eher emotionsloses Buch über den Münchner Collecting Point entgegengesetzt, an dem sie schon seit längerem gearbeitet hat. In verschiedenen Beiträgen hat sie seit den 1990er-Jahren einzelne Aspekte der Geschichte und Nachgeschichte der Parteibauten in München bereits behandelt1: von der Nutzung als „Verwaltungsbau“ und „Führerbau“ der NSDAP über die Einrichtung des Collecting Points durch die US-amerikanische Besatzungsmacht bis zur Gründung des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in diesen Räumlichkeiten (1946/47) – des Instituts, an dem Lauterbach seit 1991 tätig ist. Sie bezieht sich selbst auf den genannten Film, indem sie ausführt: „Das Buch beginnt gewissermaßen dort, wo Clooneys Film endet und wo nach heldenhaftem Einsatz zur Rettung der Kunstschätze in und aus der Salzmine Altaussee und anderen Auslagerungsdepots eine ebenso heroische Verwaltungstätigkeit einsetzen musste.“ (S. 11) Ebenso wie die Buchvorlage zum Film2 arbeitet Lauterbach dabei intensiv mit den Memoiren und Nachlässen der amerikanischen und französischen Kunstschutzoffiziere.

Während seit den 1990er-Jahren zahlreiche sowohl wissenschaftliche als auch populäre Schriften zum Thema Kunstraub veröffentlicht worden sind, gibt es nur wenige Analysen zu den Collecting Points oder zur amerikanischen Restitutionspolitik. Eine vergleichbare Arbeit über den Wiesbadener Collecting Point ist 2013 erschienen; sie setzt aber einen deutlich anderen Schwerpunkt. Da im Wiesbadener Collecting Point ein Großteil der Berliner Museumsbestände lagerte und das Gebäude überdies ein Museumsgebäude war, wurden die Bestände während der unmittelbaren Nachkriegszeit häufiger als in München zu Ausstellungszwecken herangezogen. Unter dem Slogan „Nofretete in Wiesbaden“ wurde so der kulturpolitische und „erzieherische“ Auftrag noch stärker in Form von öffentlichen Ausstellungen erfüllt.3 Dagegen hat Lauterbach den Münchner Collecting Point in einer früheren Publikation zurecht als „Museum ohne Besucher“ bezeichnet.4 Einen Vergleich zwischen den beiden Collecting Points zieht sie jedoch nicht.

Die Autorin hat damit ein wichtiges Thema aufgegriffen, das zahlreiche interessante Aspekte umfasst: Kunst- und Restitutionspolitik als Teil der „Reeducation“-Politik in der amerikanischen Besatzungszone, aber auch als Spielball der internationalen Beziehungen, wenn zum Beispiel höchst umstrittene Restitutionen an Italien geleistet wurden, um dort den Wahlsieg der Kommunisten zu verhindern. Während des Kalten Krieges war die Restitution von Kulturgütern immer auch ein Mittel, um Stimmung für das jeweilige politische System zu machen. Diese Instrumentalisierung von Kunst – trotz der besten Absichten der damals Beteiligten – wird immer wieder deutlich.

Die Collecting Points in der amerikanischen Besatzungszone dienten als Sammelstellen für Kulturgüter aller Art, die in den zahlreichen Depots in Schlössern und Bergwerken gefunden worden waren. Solche Collecting Points gab es auch in Wiesbaden, Marburg und Offenbach. Der Collecting Point in München war jedoch mit Abstand der größte dieser Art, durch den abertausende von Kunstwerken geschleust wurden. Die amerikanische Besatzungsmacht trug damit auch die Hauptverantwortung für die Unterbringung, die Sicherheit und die Restitution geraubter Kunstwerke.

Lauterbach erzählt die Geschichte dieses Collecting Points. Im Gegensatz zu den umliegenden Museumsgebäuden waren der „Führerbau“ und der „Verwaltungsbau“ relativ unbeschädigt geblieben und wurden daher von der amerikanischen Besatzungsmacht zur Unterbringung der Kunstschätze genutzt. Im Collecting Point München wurden sowohl die Kulturgüter aus den staatlichen Museen in Bayern als auch die Sammlungen des „Führermuseums Linz“, des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg, Hermann Görings und anderer NS-Größen eingeliefert. Die Werke wurden inventarisiert, bei Bedarf fotografiert, katalogisiert und gegebenenfalls zur Restitution vorbereitet.5 Lauterbach geht nur sehr kurz auf den Kunst- und Kulturgutraub der Nationalsozialisten ein, um dafür den Restitutionen und den politischen Diskussionen unter den Alliierten einen größeren Raum geben zu können. Im Umkehrschluss bekommt man dadurch trotzdem einen starken Eindruck von den Mengen und vor allem den Werten, die die Nationalsozialisten geraubt hatten.

Nach 1949 wurde die Verantwortung für den Restbestand bzw. für die noch anstehenden Restitutionen schrittweise an die Bundesrepublik Deutschland übergeben. 1953 wurde die „Treuhandverwaltung von Kulturgut München“ unter der Leitung von Bernhard Hoffmann eingerichtet, die bis 1962 existierte. Danach wurde der „Restbestand Central Collecting Point“, der immer noch circa 10.000 Werke umfasste, dem Bundesschatzministerium überlassen, das die Werke und ihre Verwaltung in die Obhut der Oberfinanzdirektion München gab. Seit 1965 wird ein Teil dieses Bestandes an Museen in der Bundesrepublik ausgeliehen. Dort sind sie jeweils dezent gekennzeichnet als „Dauerleihgabe des Bundes“. Nach der Washingtoner Erklärung 1998 – dies führt Lauterbach allerdings nicht aus – wurde ab 2000 noch einmal überprüft, ob sich im Restbestand weitere geraubte Kunstwerke befinden. So kam es vereinzelt zu Restitutionen in den letzten 15 Jahren.

Lauterbach schildert diese Geschichte anhand der Institutionen und beteiligten Personen, die im Collecting Point und seinen Nachfolgeinstitutionen tätig waren. Interessanterweise zeichnet sie auch nach, welche Impulse die Tätigkeit im Central Collecting Point den einzelnen deutschen und amerikanischen Mitarbeitern für ihr späteres Berufsleben gab: Fast alle Mitarbeiter blieben nach ihrem Ausscheiden aus dem Collecting Point in irgendeiner Weise der Kunst verbunden. Viele amerikanische Kunstschutzoffiziere arbeiteten später (wieder) in amerikanischen Museen. Trotzdem bleiben diese beeindruckenden Persönlichkeiten im Buch merkwürdig blass. Der Grund ist möglicherweise, dass in den 1990er-Jahren die Chance bereits vertan war, die Protagonisten noch zu interviewen.

Mit besonderer Sorgfalt hat Iris Lauterbach für die Publikation umfangreiches Fotomaterial ausgewählt, das selbst Fachleuten zum Teil unbekannt sein dürfte. Die Fotos bleiben dabei keine Dekoration, sondern sind sehr geschickt mit dem Text verwoben. Abgedruckt werden etwa Stills aus dem sowjetischen Spielfilm „Padenie Berlina“ / „Der Fall von Berlin“ (Regie: Mikhail Chiaureli, UdSSR, 1949), die Hermann Göring in seiner Kunstsammlung zeigen. Großen Wert legt die Autorin auch auf die Architekturgeschichte. Denn im Mittelpunkt ihrer Analyse steht nicht der Kunstraub, sondern die spezifische Nutzungsgeschichte dieser beiden Gebäude in München. Iris Lauterbach hat damit ein grundlegendes Buch zur Geschichte des Central Collecting Points in München geschrieben, dem man die jahrelange Beschäftigung mit diesem Thema anmerkt. Die Geschichte der Collecting Points ist – gerade angesichts der widrigen Umstände seinerzeit – eine Erfolgsgeschichte. Trotzdem ist sie noch nicht abgeschlossen. Der Fall Gurlitt hat gezeigt, dass nicht nur Kunstwerke, sondern auch neue Quellen auftauchen können, die zu neuen Erkenntnissen und damit eventuell zu weiteren Restitutionen aus diesem Bestand führen können.

Anmerkungen:
1 Iris Lauterbach / Julian Rosefeldt / Piero Steinle (Hrsg.), Bürokratie und Kult. Das Parteizentrum der NSDAP am Königsplatz in München, München 1995, darin S. 157–180: „Austreibung der Dämonen. Das Parteizentrum der NSDAP nach 1945“; dies., Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München 1997; dies. (Hrsg.), Kunstgeschichte in München 1947: Institutionen und Personen im Wiederaufbau, München 2010.
2 Der Film basiert auf der Publikation von Robert M. Edsel, The Monuments Men. Allied Heroes, Nazi Thieves, and the Greatest Treasure Hunt in History, New York 2009.
3 Tanja Bernsau, Die Besatzer als Kuratoren? Der Central Collecting Point Wiesbaden als Drehscheibe für einen Wiederaufbau der Museumslandschaft nach 1945, Berlin 2013; siehe dazu die Rezension von Iris Lauterbach, in: H-Soz-Kult, 25.07.2014, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-21908> (16.10.2015).
4 Iris Lauterbach, „Arche Noah“, „Museum ohne Besucher“? Der Central Art Collecting Point in München, in: Andrea Baresel-Brand (Bearb.), Entehrt, Ausgeplündert, Arisiert. Entrechtung und Enteignung der Juden, Magdeburg 2005, S. 335–352.
5 Einen Einblick sowohl in das Spektrum der Kunstwerke als auch in die Restitutionskartei erlaubt die seit 2009 im Internet verfügbare Datenbank des Deutschen Historischen Museums: <http://www.dhm.de/datenbank/ccp/dhm_ccp.php?seite=9> (16.10.2015).

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