C. Hain: Das Falksche Institut in Weimar

Cover
Titel
Das Falksche Institut in Weimar. Fürsorge und Geschlecht im 19. Jahrhundert


Autor(en)
Hain, Christian
Reihe
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 41
Erschienen
Köln 2015: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
507 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Brandes, SFB 600 Fremdheit und Armut, Universität Trier

Christian Hains Dissertation über das Falksche Institut in Weimar will die Frage beantworten, welche Rolle Vorstellungen über die Geschlechterrollen von Frauen und Männern in der Arbeit der Institution spielten. Wie wurden die Fürsorgepraktiken des Instituts durch die zeitgenössischen – vor allem durch das Bürgertum geprägten – Geschlechtervorstellungen beeinflusst? Und wie trug die geleistete Fürsorge selber dazu bei, Geschlechterbeziehungen zu formen? (vgl. S. 24f.)

Die Beantwortung dieser Fragen gliedert sich in vier Teile: In einem ersten Schritt untersucht Christian Hain die 1813 von Johannes Falk ins Leben gerufene Gesellschaft der Freunde in der Not als Träger und gewissermaßen Anbieter von Fürsorgeleistungen. Dabei arbeitet er heraus, dass entgegen vieler älterer Darstellungen in der bisherigen Forschung auch Frauen bei der Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not beteiligt waren und sie außerdem die Arbeit finanziell unterstützten.

Der Hauptteil der Arbeit befasst sich mit den konkreten Fürsorgeleistungen, die im von der Gesellschaft der Freunde in der Not getragenen Falkschen Institut erbracht wurden. Hierbei versucht Christian Hain zunächst eine quantitative Beschreibung der Empfänger der Fürsorgeleistungen, bevor er auf die verschiedenen Gründe der Unterstützungsbedürftigkeit der Jugendlichen eingeht. Hauptzielgruppe des Falkschen Instituts waren Jugendliche, die bereits konfirmiert worden waren, überwiegend männlichen Geschlechts. Nicht alle von ihnen waren arm im materiellen Sinne. Für einige Jugendliche wurde von den Angehörigen ein Pensionsgeld gezahlt. Den Heranwachsenden sollte durch die Unterstützung des Falkschen Instituts die Ausbildung in einer ihren Fähigkeiten und Neigungen, aber auch ihrer sozialen Position und eben auch ihrem Geschlecht entsprechenden Tätigkeit ermöglicht werden. Während den jungen Männern neben der Vermittlung als Lehrlinge zu Handwerkern in einzelnen Fällen auch die Ausbildung zu Lehrern oder die Vorbereitung auf die Aufnahme eines Studiums offen stand, beschränkte sich die Ausbildung der jungen Frauen auf das Erlernen von als weiblich konnotierten Handarbeiten wie Spinnen, Stricken und Nähen sowie auf die Vermittlung in eine Stelle als Magd, Dienstmädchen oder Gouvernante. Die Darstellung der Ausbildung der Jugendlichen nimmt im Hauptkapitel des Buches den größten Raum ein. Zuvor wird noch auf das Personal des Falkschen Instituts sowie auf die räumlichen Gegebenheiten und die darin geübte Trennung der Geschlechter eingegangen. Auch die Frage, wie die Einhaltung der jeweiligen Geschlechternormen durchgesetzt beziehungsweise die Übertretung der Regeln sanktioniert wurde, wird kurz behandelt.

In einem weiteren Schritt versucht Christian Hain anhand der Biographie von Johannes Falk und dessen eigener Sozialisation herauszuarbeiten, welche Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen Johannes Falk selber prägten und somit auch seine Arbeit mit den unterstützten Jugendlichen beeinflussten. Abschließend werden zwei Lebensläufe von Jugendlichen vorgestellt, die im Falkschen Institut gelebt haben. Dabei handelt es sich um den Pfarrer Johannes Denner, sowie um die älteste Tochter Falks, Rosalie Falk. Christian Hain gibt selber zu, dass es sich bei diesen beiden Lebensläufen um Sonderfälle handelt, da beide Jugendlichen – anders als der Großteil der restlichen Unterstützten – aus dem Bürgertum stammten, rechtfertigt dies aber mit der sonst schlechten Quellenlage. Dennoch erscheint die Verwendung dieser beiden Lebensläufe zur Beantwortung der Frage, „inwieweit mit Fürsorgepraktiken die späteren Überzeugungen von Geschlechtervorstellungen und der Umgang der Geschlechter miteinander […] geprägt wurden“ (S. 396) etwas weit hergeholt. Dies gilt insbesondere für Rosalie Falk, die als Tochter Falks eine völlig andere soziale Stellung hatte als die übrigen durch das Falksche Institut betreuten jungen Frauen. Nicht nur dieses Kapitel des Buches, sondern auch das ihm vorangestellte Kapitel zur Biographie und Sozialisation Falks wirkt im Gesamtkontext der Dissertation wie ein Anhängsel ohne rechte Anbindung zum Hauptteil der Arbeit. Anstatt erst im letzten Viertel des Werks ausführlich auf die Biographie Falks einzugehen, wäre eine kurze Darstellung der Biographie Falks und der Geschichte des Falkschen Instituts in der Einleitung gerade für den Leser hilfreich gewesen, der sich bisher nicht im Detail mit genau dieser Institution befasst hat.

Insgesamt betrachtet, ist Christian Hain eine gute, detailreiche und sorgfältig recherchierte Arbeit gelungen, die in vielen Punkten neue Erkenntnisse bietet (siehe zum Beispiel die Ausführungen zur Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not auf S. 58–62) und einige interessante Aspekte anspricht. So weist Christian Hain zum Beispiel mehrmals auf die Diskrepanz zwischen den Idealvorstellungen des bürgerlichen Familien- und Mutterbildes und der Lebensrealität der unteren Schichten hin (vgl. S. 152–157) – ein Thema, dass seiner Meinung nach in der bisherigen Forschung zu wenig berücksichtigt wurde (vgl. S. 24).1 Wer anhand des Titels und der Fragestellung der Arbeit eine eingehendere theoretische Auseinandersetzung mit dem Begriff „Geschlecht“ und vielleicht sogar mit Theorien der Gender Forschung erwartet hat, dürfte allerdings enttäuscht sein. Obwohl Geschlechtervorstellungen und Geschlechterrollen das erklärte Thema des Buches sind, wird in der Einleitung lediglich auf zwei Seiten der Begriff „Geschlecht“ problematisiert (S. 29f.). So bleiben manche Aussagen und Ergebnisse des Buches letztendlich wenig überraschend. Dass weibliche und männliche Jugendliche im 19. Jahrhundert aufgrund ihres Geschlechts unterschiedlich erzogen wurden und ihnen in aller Regel sehr unterschiedliche Wege ins Leben offen standen, ist keine neue Erkenntnis. Wer aber mehr darüber wissen will, wie bürgerliche Geschlechtsvorstellungen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts einen immer größeren Einfluss auf Fürsorgepraktiken ausübten, wird dieses Buch mit Gewinn lesen.

Anmerkung:
1 Dieses Thema wird für das 19. Jahrhundert auch in folgendem Aufsatz behandelt: Katharina Brandes / Eva Thielen, Familienideale in Antragsschreiben in Not geratener Eltern im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Arbeitskreis "Repräsentationen" (Hrsg.), Die ‚andere' Familie. Repräsentationskritische Analysen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 2013, S. 419–442.

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