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Titel
Staat und politische Bildung. Von der "Zentrale für Heimatdienst" zur "Bundeszentrale für politische Bildung"


Autor(en)
Hentges, Gudrun
Erschienen
Anzahl Seiten
493 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Norbert Grube, Zentrum für Schulgeschichte, Pädagogische Hochschule Zürich

Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) der Bundesrepublik feierte vor wenigen Jahren ihr fünfzigjähriges Bestehen – zumindest formell. Denn 1963 nahm sie lediglich ihren auch heute gültigen Namen an. Zuvor hieß sie seit Herbst 1952 elf Jahre lang in Anlehnung an ihren Weimarer Vorgänger „Bundeszentrale für Heimatdienst“. Dieser Vorgängerinstitution widmet sich in fünf Hauptkapiteln die quellennahe Monographie von Gudrun Hentges mit geradezu mikroskopischen, in großen Teilen der Chronologie folgenden Blicken auf organisatorische Planungen und Strukturen, inhaltliche Konzepte und Kontroversen sowie zentrale Akteure von 1945 bis 1963. Das von Hentges in ihrer Einleitung erwähnte Stichwort der „Spurensuche“ trifft durchaus die Anlage ihrer Studie. Doch sind damit kaum konzeptionelle und methodologische Überlegungen verbunden: Auf einer sehr knappen halben Seite wird das Quellenkorpus lediglich grob aufgezählt (S. 26). Abwägungen, ob und wie die Quellenauswahl eine der Institutionengeschichte gewissermaßen inhärente Binnenperspektive manifestiert, werden nicht angestellt. Vielmehr erhalten die geführten Gespräche mit ehemaligen Protagonisten der BpB den problematischen Rang, „interessante Hintergrundinformationen“ zu liefern und „Archivalien lebendig werden“ zu lassen (S. 26).

Neben der Einleitung und dem Fazit gliedert sich die Monographie in vier Hauptteile zur Entstehungsgeschichte der Bundeszentrale für Heimatdienst, zur Behördenstruktur, Arbeitsweise und zu Aufgaben sowie zur Reorganisation 1963. Indem der vierte Teil mit der 1957 erfolgten Gründung des Ostkollegs wiederum organisatorische Veränderungen von der Entstehungsgeschichte bis zur inhaltlich-konzeptionellen Arbeit aufgreift, entstehen einige Passagen der Redundanz.

Der erste Hauptteil beschränkt sich weitgehend auf die bekannten besatzungspolitischen Etappen – vom Morgenthau-Plan bis zu den Direktiven JCS 1067 und 1779 (1947) – und auf bildungspolitische Prämissen in der amerikanischen und britischen Zone. Auch westdeutsche Vorbehalte gegen den vermeintlichen westlichen ‚Demokratie-Oktroi‘ werden angesprochen. Die französische Zone und als Bezugsfolie auch die kommunistische Umerziehung in der Sowjetischen Besatzungszone fehlen allerdings in dieser Perspektive. Der Befund, dass die Westalliierten „kein in sich konsistentes Konzept der Reeducation“ vorlegten (S. 64), kommt angesichts der bisherigen Forschungserkenntnisse nicht überraschend. Allerdings nahmen die Akteure der Bundeszentrale für Heimatdienst augenscheinlich auf Elemente der westalliierten Reeducation-Politik Bezug. Die dabei angewandten Legitimationsstrategien und Argumentationsmuster expliziter weiterzuverfolgen, wäre wünschenswert gewesen.

Im zweiten Teil wendet sich die Autorin der Herausbildung von Organisation und konzeptioneller Akzentuierung der Bundeszentrale für Heimatdienst in vielfältigen politischen Konflikten und Aushandlungen zu. Die erste Gründungsinitiative durch das eher an angloamerikanischen Vorbildern orientierte Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten schlug fehl, verfolgten doch Bundesinnenministerium, Bundeskanzleramt und Bundespresseamt (BPA) aufgrund eigener Ambitionen und Aktionen zum politischen Wissensmanagement konkurrierende Agenden. Letztlich stimmten unter der Ägide Konrad Adenauers Otto Lenz und Hans Globke im März 1951 zu, die Bundeszentrale dem nach dem Rücktritt Gustav Heinemanns kanzlertreuen Bundesinnenministerium unterzuordnen (S. 106, S. 120f.), so dass zum 1. März 1953 die Bundeszentrale unter der Leitung Paul Frankens (S. 76–91) ihre Arbeit aufnahm. Strittig blieben jedoch stets An- und Abgrenzungen der Bundeszentrale für Heimatdienst zur Regierungspropaganda des BPA und einzelner Bundesministerien. Denn die Demokratieerziehung aller Bevölkerungsschichten sowie antikommunistische, abendländische, nationale und gemeinschaftliche Vorstellungen schrieben sich auch die Akteure der von Otto Lenz protegierten Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise und der Gesellschaft Freies Europa (S. 167f.) auf ihre Fahnen. Hentges zeigt nicht nur Anknüpfungen der Zentrale für Heimatdienst an die staatsbürgerliche Erziehung seit der Weimarer Zeit (S. 133) auf, sondern teils akribisch die personelle Kontinuität aus der NS-Zeit. Dies gelingt ihr in informativen Exkursen, etwa über den NS-Funktionär Werner Rietz (S. 180–185), ab 1954 Leiter der rechtsextremen und nationalistisch unterlaufenen Stätte der Begegnung, über den ehemaligen estnischen Ministerpräsidenten Hjalmar Mae (S. 261–265) oder die Publizisten Jürgen Hahn-Butry (S. 294–305) und Waldemar Lentz (S. 277).

Diese biographischen Miniaturen, ausführlich auch über Paul Franken als erstem Direktor der Zentrale für Heimatdienst, ziehen sich durch das gesamte Buch. Daran kann man die große Stärke dieser Darstellung erkennen, die zugleich die zentrale Schwäche ist: Der detailgenauen, im besten Sinne aufklärerischen Untersuchung über die organisatorischen, strukturellen, inhaltlichen und biographischen Verästelungen droht der große analytische Faden abhanden zu gehen, so dass Redundanzen die Folge sind.

Denn die schon genannten Konflikte um Organisation und Arbeitsweise der Bundeszentrale stehen auch im Zentrum des dritten Kapitels, etwa der bis 1969 währende Streit um die Besetzung des Beirats oder die fortwährenden Abgrenzungen gegenüber der Informations- und Kommunikationsarbeit der Bundesministerien (S. 205–258), vom Auswärtigen Amt mit den Goethe-Instituten und Inter Nationes bis zum Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen. Dagegen kommen die eigentlichen Arbeitsmethoden der Heimatzentrale auf fünfzig Seiten etwas zu kurz. Eher deskriptiv werden die in hoher, teilweiser millionenfacher Auflage hergestellten verschiedenen Printbroschüren und Beilagen sowie die Materndienste, Filme und Spiele aufgezählt. In Anlehnung an das US-National Advertising Council vertrieb die Zentrale ihre Schriften über die Nutzung bestehender Artikeldienste oder finanzierte in Illustrierten platzierte Beiträge. Auf diese Weise werden eindrucksvoll diverse Versuche des Agenda-Settings der Bundeszentrale aufgezeigt. Doch die Fragen, ob und wie diese medialen Produkte der Zentrale überhaupt die Adressaten erreichten, wie die Botschaften also in der Bevölkerung zirkulierten und wie die verbreiteten Inhalte im Rezeptionsgang umgeformt wurden, bleiben außen vor. Die Evaluation durch Meinungsforschung wird lediglich phasenweise erwähnt (etwa S. 271), und es bleibt weitgehend unklar, was damit gemeint ist. Die Wahrnehmung von Schriften der Zentrale für Heimatdienst wird eher indirekt aufgegriffen anlässlich der Konflikte um Publikationen zum Geschichtsunterricht als politische Bildung von Renate Riemeck, ab 1949 Vormund von Ulrike Meinhof und Akteurin in der Anti-Atombewaffnungsbewegung der Bundeswehr, und von Walter Jacobsen zum Antisemitismus in der Bundesrepublik. Diese Konflikte entzündeten eine Grundlagendebatte über Genehmigung und ‚Vorzensur‘ von Schriften zur politischen Bildung durch das Bundesinnenministerium und hatten, wie Hentges aufzeigt, organisationale Folgen, da schließlich die Reorganisation unter dem heute gültigen Namen „Bundeszentrale für politische Bildung“ erfolgte.

Damit hätte das Buch organisationsgeschichtlich abgeschlossen sein können. Denn der vierte Teil zur Gründung und Arbeit des Ostkollegs der Bundeszentrale ab 1957 kommt phasenweise, gerade auch was die schon genannten Konflikte mit diversen Bundesministerien betrifft (z.B. S. 380–387), wie ein Appendix daher. Ob erst mit dem Ostkolleg – wie von Bonner Ministerialbeamten gefordert – die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus erfolgte, ist doch sehr die Frage – ebenso, warum erst in dieser Kapitelüberschrift explizit der Kontext des Kalten Krieges genannt wird (S. 341 und S. 344). Wohl kaum darf man annehmen, dass der Kommunismus für die Heimatzentrale vor der Gründung des Ostkollegs keine Rolle spielte. Vielmehr wurden ja vielschichtige antikommunistische Agenden verfolgt. Zu diesem Zusammenhang hätte sich abseits der organisationschronologischen Gliederung ebenso eine grundsätzliche Analyse angeboten wie vor allem hinsichtlich des Verhältnisses von Propaganda und politischer Bildung bzw. Wissenschaft. Zwar gelingt es Hentges im vierten Teil wiederum durch exkursartige Biographien von Beteiligten im Gründungskontext des Ostkollegs, etwa über den Kölner Verleger Joseph Caspar Witsch (1906–1967), Gerhard von Mende (S. 373ff.) und viele weitere Dozenten (S. 406–409), Bezüge vom NS zum Kalten Krieg und zu amerikanischen Geheimdiensten aufzuzeigen. Doch was bedeutet das für das Verhältnis von politischer Bildung und Propaganda? Diese Frage wirft Hentges phasenweise, jedoch unsystematisch immer wieder auf (S. 25 oder S. 350–354), nennt etwa im Umfeld des an der Entstehungsgeschichte des Ostkollegs beteiligten Witsch-Kreises die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (S. 363f.) und unter anderem zuvor schon den vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen unterstützten Volksbund für Frieden und Freiheit (S. 242–244). Doch die An- und Abgrenzungen und das komplexe Verflechtungsverhältnis von Propaganda und Bildung, das etwa John Dewey 1928 benannt hatte1, geraten in Hentges’ Buch kaum in den Blick. Sie hätte allein darin zum Vorschein kommen können, als dass einige Autoren der Heimatzentrale, wie Jürgen Hahn-Butry und Waldemar Lentz, zugleich im Dienst der sogenannten, von Hentges (S. 168) nur ganz kurz erwähnten Propagandagesellschaften von Adenauers erstem Staatssekretär Otto Lenz und Erich Peter Neumanns, des Allensbacher Politikberaters, standen.

Doch so sehr Hentges viele Bezüge von Akteuren der Heimatzentrale zum Nationalsozialismus nachweisen kann, so wenig überzeugend mutet ihr Versuch an, unter anderem durch das Plädoyer für ein zeitliches Nacheinander von Reeducation, die bis Ende der 1940er-Jahre dauerte, anschließender Kalter Kriegspropaganda (S. 434) und – mit Adorno – einer auf die Zukunft imaginierter „Erziehung zur Mündigkeit“ (S. 449) die Schnittmengen von Propaganda und Bildung auseinanderzudividieren. Als Leser hat man den Eindruck, dass so in einer historischen Fortschrittsperspektive ein eher unkritisch idealistischer, fast naiv machtfrei gedachter, nicht explizit definierter Bildungsbegriff gleichsam gerettet werden soll, der gleich im Vorwort von Christoph Butterwegge (S. 8) als programmatische Forderung aufscheint und damit wohl die Lesart von Hentges’ Studie markieren soll.

Anmerkung:

1 John Dewey, A New World in the Making. Impressions of Soviet Russia, in: Jo Ann Boydiston (Hrsg.), John Dewey: The Later Works, 1925–1953. Bd. 3: 1927–1928, Southern Illinois 1928/1984, S. 215–223, hier S. 222.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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